Gegen Rechtsextremismus
Die Republik steht auf: «Das hat es lange nicht gegeben»
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Hunderttausende gehen an einem einzigen Wochenende auf die Straße, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. In Groß- und in Kleinstädten. In Ost und in West. Daraus kann sich mehr entwickeln, sagt ein Forscher.
Bonita weiß ganz genau, wie es sich anfühlt, ein Mensch zweiter Klasse zu sein. «Ich bin gebürtige Südafrikanerin und habe noch die Apartheidszeit miterlebt. Ich weiß, was es heißt, keine Freiheiten zu haben und in Angst zu leben, weil die Regierung sagt: «Ihr habt hier nichts zu melden.»»
Mit 18 Jahren ging Bonita nach Deutschland. Das ist jetzt schon 28 Jahre her. Sie hat hier eine Familie gegründet, sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Sie betrachtet Deutschland als ihre Heimat. Auch deshalb, weil sie hier immer das Gefühl hatte, dass sie sicher war. Dass sie ihre Bürgerrechte hier nie mehr wieder verlieren konnte. Aber jetzt ist diese Gewissheit plötzlich zerbrochen.
«Ich habe Angst, dass es irgendwann heißen kann: Die AfD hat entschieden, dass diejenigen, die nicht hier geboren sind, wieder zurück sollen. Was heißt das dann für mich und meine Familie? Das ist meine Angst.» Deshalb ist sie an diesem Sonntag nach Köln gefahren, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren - so wie Hunderttausende Menschen in vielen anderen deutschen Städten an diesem Wochenende.
Hunderttausende auf den Straßen
Allein am Samstag sind mindestens 300.000 Demonstranten auf die Straße gegangen, darunter allein 35.000 in Frankfurt/Main und Hannover, 30.000 in Dortmund - und 9000 in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, wo AfD-Politiker Björn Höcke im Herbst als Wahlsieger die Regierung übernehmen will. Am Sonntag werden noch höhere Zahlen erreicht: In München muss die Demo wegen Überfüllung abgebrochen werden, weil die Sicherheit der Teilnehmer nicht mehr gewährleistet ist. Die Polizei geht dort von mindestens 80.000 Teilnehmern aus, der Veranstalter spricht gar von 250.000. In Köln sprechen die Veranstalter von 70.000 Teilnehmern, die Polizei bezeichnet diese Schätzung als «nicht unrealistisch».
Die geografische Breite der Kundgebungen sei bemerkenswert, sagt der Konfliktforscher Andreas Zick der Deutschen Presse-Agentur. Ost und West seien vertreten, Metropolen wie auch kleinere Städte. Außerdem beteiligten sich Menschen, die noch nie oder seit Jahren nicht mehr demonstriert hätten. «Es sind nicht nur die erwartbaren urbanen, gebildeten und engagierten Milieus, sondern eine generationenübergreifende Zivilgesellschaft.» Man spüre, dass ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen sei: «Dass Richter, die Kirchen und vor allem die Unternehmen sich so klar an die Seite der Demonstrationen stellen, hat es lange nicht gegeben.»
«Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz»
Was aber ist es, dass diesen Ruck plötzlich ausgelöst hat? In den Umfragen ist die AfD schließlich schon seit vielen Monaten stark. Es dürften die erschreckend konkreten Details sein, die dank der Recherchen des Medienhauses Correctiv über das Treffen von Rechtsradikalen in einer Potsdamer Villa im November bekannt geworden sind. Daran hatten auch mehrere AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte nach eigenen Angaben über «Remigration» gesprochen.
«Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu der Funke Mediengruppe. Sie wolle beides nicht miteinander gleichsetzen. «Aber was hinter harmlos klingenden Begriffen wie «Remigration» versteckt wird, ist die Vorstellung, Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Haltung massenhaft zu vertreiben und zu deportieren.»
Bei der Wannseekonferenz hatten am 20. Januar 1942 - am Samstag vor genau 82 Jahren - hohe NS-Funktionäre über die systematische Ermordung der europäischen Juden beraten. Das 15-seitige Protokoll der nur 60 bis 90 Minuten dauernden Sitzung ist eines der wenigen erhaltenen amtlichen Dokumente, die die Chefplaner des Holocaust in Aktion zeigen. Auffällig ist die bürokratische Tarnsprache, in der der angestrebte Völkermord verhandelt wird: Begriffe wie «Evakuierung», «natürliche Verminderung», «entsprechend behandelt» und «Lösungsmöglichkeiten» stehen alle für Mord. Die Parallele zu dem beschönigenden Begriff «Remigration» lässt frösteln.
Satirevideos im Netz
Gleichzeitig hat die Vorstellung, dass Rechtsradikale im Vorgriff auf eine blaue Machtergreifung über die Abschiebung von Millionen Menschen fantasieren, auch etwas absolut Bizarres. Eben davon ist eine ganze Reihe von Satirevideos inspiriert, die derzeit in den sozialen Netzwerken weitergereicht werden.
So filmt sich Influencerin Farro beim Schminken und übermittelt der AfD dabei im Plauderton die Bitte, die Abschiebungspläne doch bitte möglichst bald zu konkretisieren: «Es wär halt richtig korrekt von euch, wenn ihr dann irgendwie so'n Datum oder so 'ne Deadline sagt, weil ich hab' halt grad mit dem Führerschein angefangen, und das wär halt richtig fresh, wenn ihr mich kurz noch meinen Führerschein zu Ende lassen macht. Ich würd dann auch durchziehen - großes Ehrenwort an euch!»
Video-Macher Tahsim wiederum empfiehlt auf Instagram Zufluchtsorte, an denen man sich verstecken kann, wenn die Abschiebung losgeht. Eine seiner Empfehlungen: einfach der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative beitreten, da vermutet einen niemand. Er ruft dafür auch bei der Bundesgeschäftsstelle der AfD an und erkundigt sich: «Und da kann ich auch beitreten, wenn ich Migrationshintergrund habe?»
«Klare Gegenbewegung gegen den Aufwärtstrend der AfD»
Sind die Demonstrationen nun ein kurzes Aufflackern oder baut sich da eine breite demokratische Gegenbewegung auf? «Noch ist es nicht im üblichen Sinne bewegungsförmig, aber es ist eine klare Gegenbewegung gegen den Aufwärtstrend der AfD und das weitere Eindringen in Parlamente, in die Kultur und den Alltag», meint Wissenschaftler Zick. «Dazu müssen sich weitere Netzwerke und Aktivitäten ergeben. Das müssen wir abwarten. Aber egal was sich da entwickelt, es ist für den Moment eine wichtige gemeinsame Bewegung mit alten und neuen Akteuren, eine breite Allianz aus Gruppen inklusive von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Das zeigt, dass die Demokratie Bindekräfte hat und die Mehrheit keinen weiteren Rechtsruck möchte.»
Auch für Bonita, die gebürtige Südafrikanerin, steht fest, dass dieses Demo-Wochenende nur der Anfang sein darf. «Wenn wir sagen, wir haben drei Demos gemacht, jetzt sitzen wir wieder zuhause, das kann's nicht sein», sagt sie. «Ich glaube, wir müssen konstant zeigen, dass wir dagegen sind. Es kann kein Zurück mehr geben.»