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Windkraftausbau: SH beschließt neue Regeln

Windkraftausbau: SH beschließt neue Regeln

Windkraftausbau: SH beschließt neue Regeln

Frank Jung/SHZ
Kiel
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Die Windparks werden zunehmen: Wo und wie will die Landesregierung mit neuen Leitplanken steuern. Foto: Christian Charisius

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Damit Schleswig-Holstein drei statt bisher zwei Prozent seiner Landesfläche für Windkraftanlagen ausweisen kann, macht die Landesregierung mehr Kompromisse als bisher. Sie hat Eckpunkte beschlossen, nach welchen Kriterien das gehen soll.

Die Landesregierung wird „deutlich stärker als bisher in Schutzbelange eingreifen“, um weitere Standorte für Windräder auszuweisen. Das hat Sabine Sütterlin-Waack (CDU), die für die Landesplanung verantwortliche Innenministerin, betont. Anlass ist ein Beschluss des schwarz-grünen Kabinetts vom Dienstag: Es hat Eckpunkte für einen Kriterienkatalog aufgestellt, mit dem zusätzliche Gebiete für Rotoren ausgesucht werden.

15 Gigawatt bis 2030

Ziel ist es, mit diesem Nachschlag statt heute zwei künftig drei Prozent der Landesfläche mit Windkraftanlagen zu bestücken. Das soll angesichts der fortschreitenden Dekarbonisierung sicherstellen, dass die installierte Leistung bis 2030 auf 15 Gigawatt steigt. So ist es im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen vorgesehen. Bis 2025 liegt die Latte bei zehn Gigawatt.

Eine Fläche so groß wie die Hauptstadt

Ein Zuwachs von zwei auf drei Prozent der Landesfläche entspricht in etwa 160 Quadratkilometern. Das ist in etwa das Areal der Landeshauptstadt Kiel.

Fertig spätestens 2027

Sütterlin-Waack will die Regionalpläne mit den künftigen Vorranggebieten für Windkraft spätestens 2027 fertig haben. Für das zweite Quartal des nächsten Jahres kündigte sie einen ersten Entwurf für Flächenausweisungen an. Der geht dann in eine öffentliche Anhörung.

„Die Windkraft wächst weiter in die Breite und in die Höhe“, bilanzierte Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) die neuen Eckpunkte. „Es ist eine Planung, die das Bild des Landes verändert – regionalökonomisch, aber auch landschaftlich. Wir haben Kompromisse zu Gunsten des Klimaschutzes gemacht.“ Goldschmidt nannte die Windenergie „den Billigmacher der Energiewende – dem geben wir Raum.“

Naturschutz muss abspecken

Geringer gewichtet wird zum Beispiel die Umzingelungswirkung von Windrädern für Orte, der Denkmalschutz oder der Erhalt regionaler Grünzüge. Reduziert werden die Schutzbereiche von Seeadlern und Schwarzstörchen und die Abstände zu ökologisch weniger bedeutenden Wäldern. Die Abstände zu Naturschutzgebieten werden davon abhängig gemacht, welche Arten genau dort geschützt werden sollen.

Die Abstände zu den Häusern

Und dann ist da die Sache mit den Abständen zu Häusern. Die interessieren nicht nur die Menschen ganz besonders. Auch die Innenministerin stellt das Thema heraus, als sie die Eckpunkte präsentiert. „Mit uns gibt es dabei keinen Spielraum“, betont die CDU-Politikerin.

Was bleibt und was sich ändert

Und so ändert sich auch nichts daran, dass ein Windrad mindestens 400 Meter zu Splittersiedlungen und 800 zu geschlossener Wohnbebauung entfernt liegen muss. Wohl aber sieht sich das Land laut Sütterlin-Waack „durch den Bund gezwungen“, eine weitere Zusatz-Regel abzuschaffen: die 3H/5H-Bestimmung, wonach eine Windkraftanlage im Außenbereich das Dreifache ihrer Höhe und zu Siedlungsbereichen das Fünffache als Abstand einhalten muss.

Sütterlin-Waack: Bei Beibehaltung dieser landeseigenen Sonderregel würde der Bund Schleswig-Holsteins künftige Flächenkulisse für Windkraft nicht anerkennen. Das gilt als Nogo, weil der Bund jedem Land ab 2032 Flächenquoten für Windenergie auferlegt hat.

Das sagen die Windkraft-Kritiker

„Neue, über 200 Meter hohe Windkraftanlagen können nun bis auf 400 Meter an Wohnhäuser im Außenbereich heranrücken“, bilanziert die Vorsitzende des Vereins Vernunftkraft SH, Susanne Kirchhof. Sie wirft Ministerpräsident Daniel Günther vor, mit dem Aus für die 3H/5-H-Regel „ein Wahlversprechen zu brechen und das Vertrauen in die Politik zu zerstören“. Kirchhof sieht das als „rücksichtslose Enteignung der im Außenbereich wohnenden Schleswig-Holsteiner“. Es hätten sich „Brancheninteressen durchgesetzt, wo Politik doch eigentlich ausgleichend entscheiden und Schaden abwenden soll.“

Windbranche will schneller mehr Freiheit

Dem Landesverband Erneuerbare Energien geht die Landesregierung hingegen nicht weit genug. Geschäftsführer Marcus Hrach plädiert dafür, die 3H/5H-Regel sofort zu streichen – und nicht erst mit Inkrafttreten der Regionalmpläne mit weiteren Windkraftgebieten voraussichtlich 2027.

Ein früherer Verzicht gäbe Gemeinden mehr Freiheit bei der Planung. Sie können nämlich – so eine weitere Neuerung – eine Öffnungsklausel nutzen und unter strengen Voraussetzungen auch jenseits der landesweiten Flächenkulisse Rotoren vorsehen.

„Aktuelle Fläche weitestgehend bebaut“

Den Planungs-Horizont des Landes 2027 hält Hrach für „deutlich zu spät“. Seiner Ansicht nach muss die nächste Regionalplanung „deutlich vor dem Ende dieser Legislaturperiode fertiggestellt sein“. Schließlich sei die aktuell ausgewiesene Fläche „weitestgehend bebaut und beplant, so dass auf den aktuellen Plänen kaum weitere Genehmigungsanträge möglich sind.“

Neue Naturschutzregeln im Einzelnen

Im Einzelnen sehen die Einschränkungen für den Naturschutz so aus: Abstände zu Naturschutz- und Flora-Fauna-Habitat-Gebieten können von 200 auf 100 Meter verringert werden, je nachdem, welche Arten geschützt werden. Die Abstände zu Brutplätzen von Seeadlern und Schwarzstörchen werden von 3000 auf 2000 Meter reduziert. Für die meisten Wälder fällt ein Pufferabstand zwischen 30 und 100 Metern weg. Nur bei besonders hochwertigen „Naturwäldern“ bleibt er.

BUND sorgt sich um den Wald

Dass die Wälder diese Opfer bringen sollen, sieht der BUND laut Sprecherin Sina Clorius kritisch. Das werde zu Lasten gerade von Fledermäusen gehen. Ansonsten teilt sie die Ansicht, dass „pauschale Abstandsregeln nicht unbedingt sinnvoll sind“ und es mehr auf den Einzelfall ankomme. Wichtig sei, dass für den Vogelschutz Anti-Kollisionssysteme installiert, Zugkorridore freigehalten und das landesweite Biotopverbundsystem nicht durch Windräder zerschnitten werde.

Kunstgriff bei Straßen und Netzleitungen

Ein Kunstgriff, um weitere Flächenreserven zu mobilisieren, ist, dass Straßen oder Hochspannungsleitungen nicht mehr pauschal als Ausschlusskriterium gelten. Wegen der Anlagenhöhe von im Schnitt 200 Metern seien die die Abstände zwischen den e Rotoren in einem Windpark so groß, „dass lineare Strukturen problemlos dazwischen durchlaufen können, ohne die Ausnutzung der Fläche nennenswert einzuschränken“, so Sütterlin-Waacks Fachleute aus der Landesplanung.

Landesschutz- und Regionaldeiche werden mit einem pauschalen Abstand von 100 Metern binnenseits der Deichkrone berücksichtigt. Wegen etwaiger zukünftiger Deichverstärkungsmaßnahmen besteht ein Bauverbotsstreifen von 50 Metern Abstand zu Landesschutzdeichen und 25 Metern bei Regionaldeichen.

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