Föhrer Autorin

Von Föhr nach Down Under:Von der kleinen auf die große Insel

Von Föhr nach Down Under:Von der kleinen auf die große Insel

Von Föhr nach Down Under:Von der kleinen auf die große Insel

Anna Goldbach/shz.de
Wyk/Melbourne
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Sabine Nielsen lebte 45 Jahre in Australien. Foto: Anna Goldbach

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Die Föhrer Autorin Sabine Nielsen über ihr Leben in Australien, Sprache und Vorurteile, Heimatgefühle und die große Liebe.

Man hört Sabine Nielsen gerne zu, wenn sie erzählt, von dem Land, in dem sie so lange gelebt hat und von dem sie sich wünscht, sie hätte es mehr bereist. Sie lächelt viel, nippt zwischendurch an ihrem Tee. Ab und zu kann man den australischen Akzent raushören. Ironisch, wenn man bedenkt, dass sie aufgrund ihres deutschen Akzentes in Australien oftmals die Außenseiterin war. Und das, obwohl sie einen Großteil ihres Lebens in der Metropole verbrachte, die heute als eine der glücklichsten Städte der Welt gilt: Melbourne.

Sabine Nielsen wird 1952 in Wyk geboren – in dem Haus ihrer Urgoßmutter und ihres Urgroßonkels, in dem sie heute lebt. Hier verbringt sie die ersten Jahre ihres Lebens gemeinsam mit den Eltern und der großen Schwester Eike. Vier Jahre später erblickt ihre jüngere Schwester das Licht der Welt, weitere vier Jahre vergehen bis auch die jüngste der Schwestern geboren wird.

Eigentlich wollte sie ins Hotelfach

Die Eltern besitzen ein Geschäft in der Stadt, von klein auf hilft Sabine mit. „Als ich sechs Jahre alt war, war es meine Aufgabe die Sahnebonbons einzupacken“, erinnert sie sich. Schmunzelnd demonstriert sie mit welcher Sorgfalt die befüllten Tüten dann gefaltet werden mussten.

Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie heute in ihrem Geburtshaus in Wyk. Foto: Anna Goldbach

Eigentlich, so erzählt die Föhrerin, habe sie nach dem vorzeitigen Schulabschluss mit 17 Jahren ins Hotelfach gehen wollen. „Das geht doch gar nicht, das können nur Kinder von Hotelfachleuten“, lautet die bestimmende Meinung der Eltern damals. Sabine soll stattdessen das Geschäft übernehmen und dafür die entsprechende Lehre beginnen. „Das habe ich dann auch eine Weile gemacht, aber das war einfach nicht mein Ding, ich passte da nicht rein“, sagt sie heute. Auf der Berufsschule fällt es ihr schwer, Anschluss zu finden, unterstellten die Mitschüler doch, sie hielte sich für etwas besseres, weil sie die Oberschule besucht hatte.

Im Spanien-Urlaub verliebt

Doch wie das Schicksal so spielt, kommt alles anders als geplant: Als Sabine mit 19 Jahren in Spanien Urlaub macht, trifft sie Robin, einen jungen Australier, der mit seinem Campervan durch Europa tourt. Die beiden jungen Leute verlieben sich – und Robin begleitet Sabine zurück nach Föhr, lebt ein Jahr bei ihr und ihrer Familie auf der Nordseeinsel, die beiden verloben sich. „Und dann wollte er zurück nach Australien“, erinnert sich sich die Frau mit den graublauen Augen, die von feinen Lachfältchen umgeben sind. „Das war für mich eine Chance auszusteigen und etwas ganz anderes zu machen, ein Abenteuer zu erleben.“ Auswandern war für die Föhrerin nichts Neues: Viele der Insulaner zogen damals nach Amerika. „Ich glaube mein eigener Vater wäre auch gerne ausgewandert.“ Dieser sei als Kriegsgefangener in den Staaten gewesen und hätte nach Kriegsende immer zurückkehren wollen. Weil er auf Föhr jedoch das Familiengeschäft übernehmen sollte, wurde daraus nichts. Deswegen, so glaubt sie, seien ihre Eltern damals auch positiv gegenüber dem Weggang ihrer Tochter eingestellt gewesen. „Obwohl ich mit 20 eigentlich noch zu jung war, um solche großen Entscheidungen zu treffen.“

Sechs Wochen dauert die Überfahrt mit dem Schiff, die das Paar, weil es nicht verheiratet war, in getrennten Kabinen mit anderen Auswanderern verbringt. Angekommen in Melbourne, merkt Sabine Nielsen schnell, dass das „Aussie-Englisch“ sich von dem, das sie gelernt hatte, unterscheidet. „Es war schon alles sehr gewöhnungsbedürftig“, erzählt sie. Zeit, um das Land und die Menschen kennenzulernen, so wie man die Möglichkeit als Tourist hat, bleibt nicht – stattdessen kommt die junge Frau direkt in die Familie ihres Verlobten, die eine schnelle Hochzeit erwartet. Eine Wohnung ist schnell gefunden, zwei Wochen nach ihrer Ankunft wird geheiratet, am Montag darauf fängt sie ihre erste Stelle an - in der Delikatessenabteilung eines Supermarktes. Sabine Nielsen kommt ins Erzählen – von pappigen Sandwiches in der Mittagspause, Lebensmitteln, die sie verkaufen sollte, deren Bezeichnungen ihr aber fremd waren, ihrem Alltag. Spaß bereitet ihr der Job nicht, so kam es, dass sie mal hier, mal da jobbt. „Das konnte man in Australien gut und ich hatte die Gelegenheit Verschiedenes auszuprobieren.“

Briefe waren oft wochenlang unterwegs

Den Kontakt nach Deutschland zu halten, war schwierig. Briefe waren viele Wochen unterwegs, Telefonate dauerten oft nur wenige Minuten, gerade genug Zeit, um zu fragen wie es einander geht. Vier Jahre vergehen, bis sie das erste Mal wieder auf Föhr ist. Die jüngeren Schwestern besuchen Sabine nach dem Abitur jeweils für drei Monate. „Es war schon schwierig so viel zu verpassen“, sagt sie. „Andererseits war ich bemüht meine Füße dort zu finden“, überträgt die Föhrerin das englische Sprichwort „to find ones feet“ ins Deutsche. Das Ehepaar kauft in der Zwischenzeit ein Haus, in dessen Gartenhütte Nielsen als Tagesmutter für zwei Jahre eine Kinderbetreuung anbietet.

Die Jahre ziehen ins Land, der Kinderwunsch des Paares erfüllt sich nicht. Eine ihrer Schwägerinnen bringt die mittlerweile 27-Jährige dann auf die Idee ihr Abitur nachzuholen. „Da habe ich dann Englisch, englische Literatur und Deutsch belegt – das war dann quasi umsonst“, erzählt die Föhrerin und lacht herzlich. Mit dem bestanden Abitur in der Tasche beginnt sie ihr Studium.

Und dann, wider Erwarten, klappt es doch: Gegen Ende des ersten Semesters ihres Studiums stellt Sabine fest, dass sie schwanger ist. Sie lässt sich freistellen, wird im Dezember Mutter eines Jungen, Ashley. Nach einem Jahr setzt sie ihr Studium fort, betreut nebenbei den kleinen Sohn. Sie spricht Deutsch mit ihm, der Vater Englisch. „Ich hatte einfach das Bedürfnis deutsch mit ihm zu sprechen.“ Der Schwiegermutter missfällt das, sie sorgt sich, dass ihr Enkel von den anderen Kindern deshalb geärgert werden könnte. Doch die Sorge ist unbegründet. Als Ashley in die Schule kommt, beendet sie das Studium. „Da bin ich in ein Loch gefallen, ich wusste nicht was ich machen will.“ Sie entschließt sich ein Lehrdiplom zu machen, wird Lehrerin, später Deutsch-Lehrerin.

Sie war immer „die Deutsche“

Ihre Ehe beginnt zu bröckeln. Richtig glücklich ist Sabine Nielsen nicht, auch, weil sie als Deutsche auch nach all den Jahren mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Ob in der Spielgruppe oder auf der Arbeit, immer wieder eckt sie an. Hören die Australier einen leichten Akzent, folgen Nazi-Sprüche. „Inzwischen war ich also fast 25 Jahre in Melbourne, fast 25 Jahre verheiratet – es ging einfach nicht mehr.“ Sie trennt sich, zieht aus und kauft ein Haus auf dem Land.

Zu dieser Zeit beginnt Nielsen zu schreiben, auf Englisch versteht sich. „Ich musste mich neu erfinden“, sagt sie heute. Erst Liebesromane, dann Kurzgeschichten.

"Vielleicht klingt es befremdlich, aber Australien hat mich zum Schreiben gebracht!" Foto: Anna Goldbach

Sie beantragt ein Sabbatjahr, denn sie will zurück nach Deutschland – „mit dem Ziel ganz und gar zurück zukehren.“ Sohn Ashley begleitet sie, reist mit seiner Mutter unter anderem nach Prag, Hamburg und Kiel. Die Föhrerin ist auf der Suche nach einem Ort, an dem sie leben möchte, fühlt sie sich doch verbunden mit ihrer alten Heimat und verbringt viel Zeit in Wyk. „Es war herrlich, das war nach Hause kommen“, sagt sie. „Ich war wieder unter Menschen, die so dachten wie ich. Ich musste nicht mehr aufpassen was ich sagen konnte, ich konnte aufleben, ich selbst sein.“ Etwas, das ihr in Australien fehlte: 

Da bist Du immer die Deutsche.

Sabine Nielsen, Autorin

Auch in der Schule sei das so gewesen, erinnert sie sich. Ein Schüler, der „wohl zuhause zu viel gehört hat“, begann den Nazi-Salut zu machen, sobald Sabine Nielsen in der Nähe war. Manchmal begannen er und seine Freunde auch zu marschieren, wie es die Nationalsozialisten getan hatten, beschädigten sogar ihr Auto. „Das wurde alles sehr unangenehm.“ Aufklären durfte sie die Schüler nicht. Ihr Ersuch für ein Gespräch mit den Kindern wurde von der Schulleitung abgelehnt.

Heimweh nach der Heimatinsel

Und wieder macht das Leben ihr einen Strich durch die Rechnung - anstatt dauerhaft zurück nach Deutschland zu kehren, bleibt sie in Melbourne. Der Grund: Die Liebe. In einem Cafe lernt sie 2000 Andre kennen, einen Hamburger, der mit seiner Mutter als Kind nach Australien ausgewandert ist. Es funkt. Sabine Nielsen findet am anderen Ende der Welt nun das, was sie lange vermisst hat. Jemanden, der sie versteht, der denkt, wie sie.

Er war einfach anders.

Sabine Nielsen, Autorin

Mittlerweile hat die Föhrerin ihren ersten „ernsten“ Roman verfasst. Doch die Suche nach einem Verleger erweist sich als schwierig. „Ich nehme an, dass das Problem war, dass ich schon sehr alt war mit 46“, erzählt sie, verdreht die Augen, grinst und zuckt mit den Schulter, als wolle sie sagen – Alter, was ist das schon. Dazu kommt, dass der Australische Buchmarkt sehr klein ist. Andre rät ihr auf Deutsch zu schreiben. Gesagt, getan: Geplant ist eine Geschichte, die auf Föhr spielt. „Das half mir über mein Heimweh hinweg, denn ich konnte mit meinen Figuren durch Wyk spazieren, über die Insel fahren, mal in die Marsch, mal an den Strand.“

Endlich angekommen

Alles fügt sich. Sie verlässt die Schule, zieht vom Land in die Stadt, bewirbt sich ohne Hoffnung auf Erfolg beim Goethe-Institut und wird genommen. Von nun an unterrichtet sie Erwachsene. „Das war als ob man über eine Schwelle tritt und plötzlich in Deutschland ist“, beschreibt sie ihren Eindruck des Instituts – Sprache und Humor, die einander verbinden. Die Arbeit bereitet ihr Freude, Sabine Nielsen kommt an. Zumindest für die folgenden 17 Jahre.

Irgendwann steht das Haus, in dem Sabine Nielsen geboren wurde, leer. Die Entscheidung nach Deutschland zurückzukehren trifft das Paar gemeinsam, heiratet 2016 auf der Insel. Und dann, 2017, ist es soweit: Sabine Nielsen kommt, gemeinsam mit ihrem Ehemann, nachhause. Bereut hat sie das nie, im Gegenteil.

Übrigens: Mit ihrem Mann spricht Sabine Nielsen Englisch.

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Darum geht's: Eine ‘realistisch utopische’ Geschichte von einer Insel, auf der die Bürger plötzlich feststellen, dass die Zeitlosigkeit unter ihnen ausgebrochen ist - es stirbt niemand mehr. Das bringt Erschrecken und auch Freude mit sich, aber vor allem viele Probleme: Denn was macht man mit einer Insel voller alter Menschen? Wo eh schon Wohnungsnot besteht, die Pflegekräfte fehlen, das Gesundheitssystem kränkelt und überhaupt die ganze Infrastruktur nicht auf das Altern ausgerichtet ist. Und wer soll bitte die Renten in Ewigkeit zahlen? Mit einem gesunden Maß von Witz und Bauernschläue wenden die Insulaner das Dilemma zu ihrem Vorteil.

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