Analyse

Flensburgs Corona-Strategie: Nicht perfekt aber erfolgreich

Flensburgs Corona-Strategie: Nicht perfekt aber erfolgreich

Flensburgs Corona-Strategie: Nicht perfekt aber erfolgreich

Ove Jensen/shz.de
Flensburg
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Länger im Lockdown: die Flensburger Fußgängerzone. Foto: Marcus Dewanger

Vor drei Wochen noch war Flensburg Corona-Hotspot. Jetzt liegt der Inzidenzwert unter dem bundesweiten Durchschnitt.

Chaos an den Teststationen. Todesfälle, die das Flensburger Gesundheitsamt erst mehrere Tage nach dem Robert-Koch-Institut registriert hat. Und in der vergangenen Woche das Eingeständnis, dass die Zahl der aktuell Infizierten in der städtischen Statistik über einen langen Zeitraum viel zu hoch angegeben war.

Inzidenzwert lag bei fast 200

Es ist Einiges nicht rund gelaufen beim Umgang der Flensburger Stadtverwaltung mit dem Coronavirus. Dem Leiter des Gesundheitsamtes kann man keinen Vorwurf machen – es gibt keinen. Schon seit über einem Jahr ist die Stelle unbesetzt.

Und dennoch: Was sich hier in den vergangenen drei Wochen ereignet hat, das darf man als kleines Wunder von der Förde bezeichnen.

Wochenlang zählte Flensburg zu den Corona-Hotspots im Lande. Die 7-Tage-Inzidenz kratzte zwei Mal an der kritischen Marke von 200 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern. Die Zahl der Neuinfektionen ist seitdem kontinuierlich gesunken. Am Montag lag der Inzidenzwert bei 74,3. Das ist weniger als in Deutschland insgesamt. Für das Bundesgebiet meldet das RKI einen Wert von 83.

Auch in Schleswig-Holstein liegen die Corona-Hochburgen inzwischen woanders – in Segeberg und im Herzogtum Lauenburg.

Während RKI-Chef Lothar Wieler vom Beginn der dritten Welle spricht und andere Corona-Problemstädte seit Monaten dreistellige Inzidenzwerte melden müssen, ist die Zahl der Neuinfektionen in Flensburg um zwei Drittel zurückgegangen.

Es ist also an der Zeit festzustellen: Es ist in den vergangenen Wochen einiges auch ziemlich gut gelaufen in Flensburg.

Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) hat in Abstimmung mit dem Kieler Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) einige drastische Maßnahmen verfügt. Einige entpuppten sich als mehr oder weniger sinnlos – zum Beispiel die Maskenpflicht am Strand, die schnell wieder kassiert wurde.

Effektive Ausgangssperre?

Andere stießen auf Unverständnis, obwohl sie vielleicht ziemlich effektiv waren. Das gilt für die nächtliche Ausgangssperre. Für diese Maßnahme kassierte die Stadtverwaltung viel Hohn. Nachts sei das Virus doch nicht ansteckender als tagsüber, meinten viele. Durch die Ausgangssperre wurde es aber schwieriger, sich am Abend mit Freunden zu treffen und in engen Wohnungen zusammenzusitzen. Das war zwar sowieso schon verboten, aber ohne Ausgangsperre kaum zu kontrollieren.

Die Friseure haben Recht, wenn sie sagen, die Mehrzahl der Infektionen finde nicht in ihren Salons statt. Ähnliches gilt für die Inhaber all der Geschäfte, die geschlossen bleiben mussten, während man im Umland wieder auf Shoppingtour gehen konnte. Eltern und Kinder mussten zwei weitere Wochen im Homeschooling aushalten. Auch Musikschule, Museum und Tattoo-Studio blieben geschlossen.

Wahrscheinlich hat jede einzelne Einschränkung ihren kleinen Beitrag dazu geleistet, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Und die Maßnahmen haben geholfen, alle Bürger dafür zu sensibilisieren, wie ernst die Lage ist. Manche Arbeitnehmer, die bisher lieber in die Firma gegangen waren, blieben nun doch zu Hause im Homeoffice. Nachbarn unterhielten sich lieber doch nur mit Abstand über den Gartenzaun, anstatt auf einen Kaffee in die Wohnstube zu kommen. Auch von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Neuerungen wie die Veröffentlichung von Corona-Hinweisen in verschiedenen Sprachen könnten geholfen haben.

Lockerungen jetzt auch in Flensburg

Richtungsweisend wird sein, wie es in den kommenden Wochen weitergeht. Langsam fährt ja auch in Flensburg das öffentliche Leben wieder hoch. Zumindest für die Klassenstufen 1 bis 6 hat die Schule wieder begonnen. Die Kindergärten füllen sich wieder. Blumen- und Buchläden dürfen wieder öffnen. Das sind Dinge, die in anderen Landesteilen schon vor zwei Wochen wieder angelaufen sind – dort, wo die Infektionszahlen wieder steigen.

Vielleicht hilft es, dass die Flensburger in den vergangenen Wochen noch mehr als vorher verinnerlicht haben, vorsichtig zu sein. Dass sie manche Lernprozesse, zum Beispiel beim Umgang mit den Teststationen, schon hinter sich haben.

Sehr hilfreich wäre gewiss auch, wenn es im Gesundheitsamt keine Kommunikations- und Datenpannen mehr gibt. Natürlich ist die sofortige Kontaktverfolgung wichtiger als das nächste Statistik-Update. Das Debakel mit den falschen Angaben zur Zahl der aktuell Infizierten hat aber gezeigt, wie massiv solch eine Panne das Vertrauen in das Gesundheitsamt erschüttern kann. Die Stadtverwaltung hat keine einzige ihrer Maßnahmen mit den Daten begründet, die sich als falsch herausgestellt hatte.

Es ging immer um die hohe Zahl der Neuinfektionen und um die dramatische Lage in den Krankenhäusern. Nicht nur bei denjenigen Flensburgern, die sowieso schon kein Vertrauen in die Oberbürgermeisterin haben oder denen die ganze Richtung der Corona-Politik nicht passt, ist aber hängengeblieben: „Die Zahlen waren falsch, es war alles halb so schlimm.“ Das ist fatal.

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