Schleswig-Holstein

Wolfsdebatte: Darum werden die Schutzzäune in Südholstein zum Problem

Wolfsdebatte: Darum werden die Schutzzäune in Südholstein zum Problem

Wolfsdebatte: Darum werden die Schutzzäune zum Problem

Cornelia Sprenger/shz.de
Westerhorn
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Nicole Kruse sorgt sich um ihre Schafe Foto: Cornelia Sprenger

Die Schafhalter im Kreis Pinneberg sind der Meinung, dass ihnen die Zäune mehr schaden als nutzen.

Seit Mitte Oktober ist GW 924m in Richtung Osten verschwunden. Der Wolf, der 2019 die Schafhalter in Schleswig-Holstein in Angst und Schrecken versetzte. Insgesamt griff er 40 Mal Nutztiere in Schleswig-Holstein an, 17 Mal im Kreis Pinneberg. Dann wurde er plötzlich am 21. Oktober südlich von Lübeck nachgewiesen, wenig später in Schwerin.

Doch die Schäfer im Kreis Pinneberg haben immer noch ein mulmiges Gefühl, wenn sie zur Kontrolle ihrer Tiere auf die Weiden fahren, sagt Jan Zukowski.

Der Hobby-Schäfer und Sprecher der Bürgerinitiative für wolfsfreie Dörfer Südhostein hält es nur für eine Frage der Zeit, bis der nächste Wolf in die Region kommt. „Das ist jetzt nur die Ruhe vor dem Sturm.“ Denn die grundsätzlichen Probleme habe das Land seit der Rückkehr des Wolfs nicht lösen können.

 

Jan Zukowski aus Bahrenfleth ist Sprecher der „Bürgerinitiative für wolfsfreie Dörfer – Südholstein“. Foto: Carsten Wittmaack

Der Kreis ist Wolfpräventionsgebiet

Seit März 2019 gilt der Kreis Pinneberg als Wolfpräventionsgebiet. Das bedeutet, dass das Land hier die Anschaffung von geeigneten Schutzzäunen für Schaf- und Ziegenhalter zu hundert Prozent fördert.

Nur wer seine Schafe mit einem solchen Zaun gesichert hat, kann in Zukunft für gerissene Schafe und Ziegen vom Land entschädigt werden. Wer den Zaun nicht aufstellt, muss damit rechnen, das zur Verfügung gestellte Geld zurückzahlen zu müssen – selbst jetzt, wo gar kein Wolf im Gebiet unterwegs ist.

Auf diese Weise will Umweltminister Jan Philipp Albrecht verhindern, dass sich umherwandernde Wölfe an Nutztiere als Nahrungsquelle gewöhnen.

Bei GW 924m kam diese Maßnahme zu spät. „Wir haben ihn gewissermaßen zum Problemwolf herantrainiert“, sagt Hans-Albrecht Hewicker von der Kreisjägerschaft.

„Die Zäune sind mit der Zeit immer höher geworden – und der Wolf wurde immer besser darin, sie zu überwinden.“ Insgesamt zehnmal gelang es GW 924m, als wolfssicher geltende Zäune zu überwinden.

Wenn ein Wolf dreimal solche Einrichtungen übersprungen hat, gilt er als Problemwolf – und der Minister kann ihn zum Abschuss freigeben lassen, wie bei GW 924m, der allerdings nie erwischt wurde.

Schafhalter fühlen sich allein gelassen

Nicole Kruse erinnert sich gut an eine Nacht im September, als ein vom Land beauftragter Jäger unweit ihres Hofes in Westerhorn auf der Jagd auf den Problemwolf auf der Lauer lag. Die 35-jährige Landwirtin besitzt etwa 580 Schafe.

„Mein Mann ist spät abends nochmal bei dem Jäger vorbei gefahren, da schlief er in seinem Auto.“ Am nächsten Tag sei eines ihrer Lämmer tot, vom Wolf gerissen und komplett aufgefressen, nur 200 Meter von dem Jäger entfernt und trotz Schutzzaun.

Kruse: „Da fühlt man sich als Schafhalter alleine gelassen.“ Im vergangenen Jahr hat sie durch den Wolf insgesamt 16 Schafe verloren.

Schäferin Nicole Kruse zeigt, wie hoch der elektrisch geladene Wolfszaun ist. Die 1,05 Meter sollen die Schafe vor den Attacken der Wölfe schützen. Foto: Carsten Wittmaack

 

So weit, dass ein Wolf zum Problemwolf wird, soll es in Zukunft gar nicht erst kommen. Hewicker: „Das Ziel ist es jetzt, von vornherein flächendeckend gute Schutzzäune zu haben. Dann ist das Risiko gering, dass der Wolf überhaupt erst beginnt, Schafe als eine leichtere Beute als Wildtiere zu sehen.“

Nur: Die über einen Meter hohen Schutzzäune unter Stromspannung sind aus Sicht der Schafhalter weder effektiv noch praktikabel. Mehr noch: Sie stellen sogar eine Gefahr dar für die Tiere, die sie doch eigentlich schützen sollen.

Ungelöstes Problem: Schafhaltung auf dem Deich

Ein großes, bisher ungelöstes Problem ist die Schafhaltung auf den Deichen. Gerade hier, wo die Schafe für den Schutz des Binnenlandes unabdingbar sind, ist es besonders schwierig, ihre Sicherheit zu gewährleisten. Denn elektrische Zäune können auf den Weiden direkt an Elbe oder Stör nicht aufgestellt werden.

Zum einen wegen der Spaziergänger und zum anderen wegen des Wassers, das die Stromzäune regelmäßig überspülen und dadurch nutzlos machen würde.

 

Auch auf der Internetseite des Landwirtschaftsministeriums heißt es, derzeit stünden keine geeigneten präventiven Maßnahmen für Deiche und Vorland bereit. Deshalb seien die Deiche auch noch nicht Teil des Wolfspräventionsgebiets.

Es werde aber intensiv an einem derartigen Präventionssystem gearbeitet. Halter können deshalb weiterhin Ausgleichszahlungen im Fall eines Wolfsrisses bekommen – auch ohne Sicherheitszaun.

Wolfsfreie Zonen

„In Skandinavien gibt es wolfsfreie Zonen“, sagt Jan Zukowski. „Das wäre eine Lösung. Auch wenn ich bestimmt nicht dafür bin, alle Wölfe abzuschießen. Aber hier bei uns ist die Tierhaltung einfach zu dicht. Man müsste Zonen schaffen, wo der Wolf ungestört leben kann und ihn an anderen Orten vergrämen. Und wo das nicht funktioniert und der Wolf über die Zäune geht, muss er eben geschossen werden dürfen.“

In einem Gespräch zwischen Umweltminister Jan Philipp Albrecht mit der EU-Kommission erteilte die im Herbst einer generellen Forderung nach wolfsfreien Zonen in Küstenregionen eine Absage. Albrecht erklärte damals: „Eine generelle Abschussgenehmigung von Wölfen ist in keiner Form von geltendem EU-Recht gedeckt.“

Der Bundestag hat Mitte Dezember eine Neuregelung beschlossen, die den Abschuss von Wölfen erleichtert. Künftig ist der Abschuss auch möglich, wenn unklar ist, welcher Wolf genau eine Schafherde angegriffen hat.

Großer Arbeitsaufwand

Unabhängig davon bedeuten die Schutzzäune, die die Schäfer in Präventionsgebieten jetzt benötigen, einen enormen zusätzlichen Arbeitsaufwand – auch jetzt, wo gar kein Wolf da ist. „Jahrelang haben die Schäfer Zäune mit nur einer Litze verwendet, um ihre Schafe auf den Winterweiden zu halten“, erklärt Zukowski.

„Plötzlich sollen es fünf Litzen sein. Das ist ein viel höherer Zeitaufwand.“ Alleine für den Aufbau benötigt Nicole Kruse bei einer fünf Hektar großen Weide vier Stunden statt einer Stunde – und das auch nur mit Hilfe eines motorisierten Systems.

Zusätzlich muss sie zweimal am Tag den Zaun kontrollieren. „Die Zäune sind windanfällig, außerdem reicht schon ein heruntergefallener Ast, um den Stromfluss zu unterbrechen. Und wenn dann der Wolf kommt, bekommen wir kein Geld.“ Im Frühling und Sommer müssen die Landwirte zusätzlich einmal in der Woche das Gras rund um den Zaun freimähen.

Nur ein Bruchteil des Schadens gedeckt

Überhaupt decken die Ausgleichszahlungen für gerissene Schafe nur einen Bruchteil des Schadens, sagt Kruse. „Seit der Wolf bei meinen Schafen war, kann ich nicht mehr mit meinem Hütehund arbeiten. Die Schafe rasten sonst aus.“ Außerdem hätten viele Schafe durch den Stress ihre Lämmer verloren.

Und auch die Zäune selbst können zur Gefahr werden. „Durch die hohen Voltzahlen, die das Ministerium vorschreibt, sind vier meiner Schafe gestorben“, sagt Kruse. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Wildtieren, die sich regelmäßig in den Zäunen verfangen hätten und qualvoll an Stromschlägen sterben müssten.

Ende Februar beginnen Kruses Schafe mit dem Lammen. Zwölf Wochen nach der Geburt kommen die ersten Jungtiere auf die Weiden. Kruse: „Ich kann nur hoffen, dass der Wolf nicht gerade dann zurückkommt.“

Eine Karte des Landes Schleswig-Holstein zeigt Nutztierrisse in SH im Überblick:

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