Kriminalität
Urteil im Prozess um brutalen Mord im Altenheim
Urteil im Prozess um brutalen Mord im Altenheim
Urteil im Prozess um brutalen Mord im Altenheim
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Die alte und kranke Frau sollte im Altenheim in Sicherheit sein, stattdessen wurde sie Opfer eines Verbrechens. In München ist das Urteil in einem Prozess um Mord und Vergewaltigung gefallen.
Die Vorwürfe sind schwer vorstellbar: Ein kleiner, nur 1,60 Meter großer Mann, der sich selbst nur noch mit einem Rollator fortbewegen kann und an Alzheimer leidet, soll brutal über eine alte und kranke Frau hergefallen sein.
Das Landgericht München II verurteilte den 88-Jährigen am Freitag zur Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass er eine ebenfalls demenzkranke Mitbewohnerin in der Seniorenresidenz Schliersee vergewaltigt und dabei so schwer verletzt hat, dass sie an den Folgen starb.
Der 88-Jährige habe «Kraft und boxerisches Vorwissen» gehabt, sagt der Vorsitzende Richter Thomas Bott in der Urteilsbegründung. Außerdem habe das Opfer «massive Verletzungen im Halsskelett» erlitten. Als junger Mann soll der Deutsche ein guter Boxer gewesen sein und Meisterschaften gewonnen haben. Das sei möglicherweise eine Erklärung dafür, «wie es trotz seines Alters zu diesen Schäden kam», hatte ein Gutachter vor Gericht gesagt.
Laut Staatsanwaltschaft soll der alte Mann die bettlägerige Seniorin so brutal vergewaltigt und verprügelt haben, dass sie anderthalb Wochen später im Krankenhaus an einer Lungenentzündung starb - ausgelöst durch eingeatmetes Blut. Der Mann soll ihr auch mehrere Rippen gebrochen haben.
Das Gericht schloss auf einen Tötungsvorsatz. Der Mann sei «für seinen Geschlechtstrieb über Leichen» gegangen. Es sei darum «ein klassischer Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebes». Der Verteidiger des alten Mannes hatte dagegen auf Körperverletzung mit Todesfolge plädiert.
An dem Urteilsspruch hätte das aber ohnehin nichts geändert. Der Mann ist wegen seiner schweren Erkrankung schuldunfähig und muss darum nicht ins Gefängnis, sondern wird «zum Schutz der Allgemeinheit» in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
«Man wird den Vorfall wohl so sehen müssen, wie er war», sagte der Leiter der Seniorenresidenz, Robert Jekel, vor dem Richterspruch: «Nämlich ein schrecklicher Unglücksfall.»
Jekel muss im Moment oft über das Altenheim mit derzeit rund 60 Bewohnern sprechen, das er leitet. Ende März war nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft München II wegen Verdachts auf Körperverletzungsdelikte bei 88 Bewohnern des Heimes ermittelt. Einige seien verwahrlost und unterernährt gewesen, sagte eine Sprecherin der Anklagebehörde damals.
Zudem würden 17 Todesfälle untersucht. Zwei Verstorbene wurden den Angaben zufolge exhumiert. Dabei gehe es auch um die Frage, ob eine Corona-Infektion oder Unterernährung ursächlich für den Tod der Menschen war, sagte die Sprecherin.
Und erst am Dienstag war bekannt geworden, dass die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern (ARGE) den Vertrag mit dem Betreiber außerordentlich kündigen will - wegen wiederholt festgestellter Mängel bei der Versorgung der Patienten.
Jekel hatte die Stelle nach eigenen Angaben erst nach Beginn der Ermittlungen angetreten. In dem Heim hatte es 2019 einen Betreiberwechsel gegeben, laut Landratsamt richteten sich Vorwürfe teils gegen einen vorangegangenen Betreiber. Seit Betriebsbeginn im Jahre 2009 seien schon 15 Einrichtungsleiter in dem Heim eingesetzt gewesen.
Der aktuelle Heimleiter streitet alle Vorwürfe vehement ab. «Echte Pflegemängel», so sagt er, seien bei der Kontrolle nicht festgestellt worden; höchstens Fehler in der Dokumentation. Dem Prüfbericht könne auch «nicht entnommen werden, dass Menschen in der Einrichtung dehydriert waren». Es seien auch «keine fast verhungerten beziehungsweise verdursteten Menschen oder Menschen mit offenen, blutenden und eiternden Wunden angetroffen» worden.
Allerdings waren Probleme in der Einrichtung auch im Mordprozess gegen den alten Mann Thema. Mit einem Kollegen habe er die schwer verletzte, blutüberströmte Frau die Treppe runtertragen müssen, sagte ein dort tätiger Altenpfleger vor Gericht. Der Aufzug habe nicht funktioniert - angeblich, weil die Rechnungen für die Wartungsfirma nicht bezahlt worden seien.
Der defekte Fahrstuhl sei auch der Grund gewesen, warum die 85-Jährige sich überhaupt zur Tatzeit am Nachmittag in ihrem Zimmer und nicht in einem Gemeinschaftsraum aufgehalten habe. «Sie ist wochenlang nicht mobilisiert worden», sagte der Pfleger, der die Zustände in dem Heim und beispielsweise eine fehlende Einarbeitung kritisierte. «Sonst wäre es zu dieser Situation nicht gekommen.» Er hatte sich auf die Suche nach dem Alzheimer-Patienten gemacht, weil er ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte - und fand ihn und das Opfer dann nackt und blutüberströmt im Zimmer der Frau. Aus Sicht der Verteidigung haben «Missmanagement» sowie «Mangel an Personal und Struktur mit dazu beigetragen, dass es zu diesem Vorfall gekommen ist».
«Natürlich stellen wir uns regelmäßig die Frage, wie solche Vorfälle vermieden werden können», sagte Heimleiter Jekel. «Zum Glück sind solche gravierende Gewalttaten extrem selten. Auch kündigen sich solche Vorfälle, wie in diesem Fall, nicht immer an.» Aber selbst wenn es Auffälligkeiten im Vorfeld gegeben hätte, wäre es schwer gewesen, den Heimvertrag mit dem Mann zu kündigen - «mangels Verschulden». Außerdem «kann auch nicht jeder an Demenz erkrankte Bewohner vorsorglich 24 Stunden überwacht oder eingesperrt werden», betonte Jekel. «Der Vorfall hat auch mich betroffen gemacht.»
Die Staatsanwältin sagte in ihrem Plädoyer: «Selbst wenn die Zustände besser gewesen wären, wäre fraglich, ob die Tat tatsächlich hätte verhindert werden können.»