Leitartikel

„Aus der Zeit gefallen“

Aus der Zeit gefallen

Aus der Zeit gefallen

Apenrade/Aabenraa
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In den USA müssen Frauen um ihr Recht auf Abtreibung fürchten. Auch im Grenzland sind die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs eingeschränkt. Journalistin Kerrin Jens ärgert sich darüber, scheinbar in eine Zeit zurückzufallen, in der der Körper einer Frau fremdbestimmt wird.

Dass Demonstrationen mit Plakaten, auf denen „Mein Körper – meine Entscheidung“ oder „Abtreibung ist Gesundheitsversorgung“ in den USA im Jahr 2022 wieder Realität sind, ist erschreckend.

Eigentlich sollte dies seit einem Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973 nicht mehr nötig sein. In den USA sind Abtreibungen zurzeit bis zur 24. Woche erlaubt.

Wenn es nach dem Supreme Court geht, könnte es den Frauen in den USA bald erschwert werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Laut einem amerikanischen Magazin hat der Oberste Gerichtshof Pläne, sein Grundsatzurteil zu Abtreibungen von 1973 zu kippen.

Obwohl es noch keine finale Entscheidung gibt, gehen viele Frauen aus Empörung auf die Straße. Die Frauen fürchten, dass ein Recht, das sie seit fast 50 Jahren haben, zu verschwinden droht, weil eine Mehrheit von Richterinnen und Richtern des Obersten Gerichtshofs, die eine Minderheit der Bevölkerung repräsentieren, darüber entscheiden könnte.

Laut dem Entwurf soll es den Bundesstaaten überlassen werden, wie sie ihr Abtreibungsrecht regeln, was fatale Folgen hätte. So könnten die konservativen Staaten im Süden und mittleren Westen die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten.

Für Schwangere, die einen Abbruch vornehmen lassen wollen, würde dies bedeuten, dass sie in liberale Bundesstaaten wie New York oder Kalifornien reisen müssten, um eine Abtreibungsklinik zu erreichen. Der Fahrtweg von Hunderten oder Tausenden Kilometern ist mit hohen Kosten verbunden, was sich viele nicht leisten können.

Doch nur weil das Recht auf Abtreibung beschnitten wird, bedeutet es nicht, dass es weniger ungewollte Schwangerschaften gibt. Aus Verzweiflung könnten die Frauen versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehmen und werden von der Gesellschaft mit ihren Problemen, die der Oberste Gerichtshof geschaffen hat, allein gelassen.

Auch im deutsch-dänischen Grenzland hat der Bau eines Zentralkrankenhauses in Flensburg vor einigen Jahren eine Debatte ausgelöst. Die neue Krankenhausgesellschaft hatte bekannt gegeben, Abtreibungen aus religiösen Gründen nicht mehr vornehmen zu wollen.

Darüber hinaus gibt es in Deutschland noch den geltenden Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Dieser soll laut Koalitionsvertrag abgeschafft werden. Doch dass der Paragraf überhaupt noch besteht, zeigt, dass Schwangerschaftsabbrüche immer noch ein Tabuthema sind.

Ziel sollte es stattdessen sein, Abtreibungen zu enttabuisieren, indem das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gestärkt und Versorgungssicherheit mithilfe von Beratungsangeboten gewährleistet wird.

Wenn wir uns ansonsten in der Zeit rückwärts bewegen, müssen Frauen womöglich fürchten, in einigen Jahren für ihr Wahlrecht auf die Straße gehen zu müssen.

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