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„Welches Schicksal erwartet die Menschen in Arzach?“

Welches Schicksal erwartet die Menschen in Arzach?

Welches Schicksal erwartet die Menschen in Arzach?

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Apenrade/Aabenraa
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Aserbaidschan scheint sich auf voller Linie in der auch als Berg-Karabach bekannten Region durchzusetzen, und alle Fragen bleiben offen. Jan Diedrichsen macht sich Sorgen um die Zukunft der armenischen Bevölkerung. 

Das Schicksal der Menschen in Arzach hat schon lange kaum jemanden mehr wirklich interessiert. Arzach, auch bekannt als Berg-Karabach, ist eine Region im Südkaukasus, deren Geschichte eng mit den Konflikten zwischen Armenien und Aserbaidschan verbunden ist. Laut aktuellen Presseberichten zeichnet sich eine „Lösung“ des Konfliktes über den Status von Arzach ab. Diese „Lösung“ ist durch militärische Übermacht erzwungen worden. Aserbaidschan hat sich durchgesetzt – Armenien beugt sich den militärischen Unvermeidlichkeiten und scheint durch die Anerkennung von Arzach als Teil Aserbaidschans einen dauerhaften Frieden mit dem Nachbarn besiegeln zu wollen.

Zur Person: Jan Diedrichsen

Jan Diedrichsen (Jahrgang 1975), wohnhaft in Berlin und Brüssel, leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel, hat sein Volontariat beim „Nordschleswiger“ absolviert und war als Journalist tätig. 13 Jahre lang leitete er das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen und war Direktor der FUEN in Flensburg. Ehrenamtlich engagiert er sich bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) – davon bis 2021 vier Jahre als Bundesvorsitzender. Seit Juni 2021 betreibt er gemeinsam mit Wolfgang Mayr, Tjan Zaotschnaja und Claus Biegert ehrenamtlich den Blog VOICES.

Die Geschichte des Konfliktes ist wie alle Nationalitätenfragen komplex und historisch aufgeladen. In der Sowjetunion wurde die Region Arzach der aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik zugeordnet. Diese Entscheidung stieß jedoch auf den Widerstand der armenischen und überwiegend christlich gesinnten Mehrheit, die sich für den Anschluss an Armenien einsetzte. Im Jahr 1988, kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, erklärte die Region Berg-Karabach ihre Unabhängigkeit. Dies führte zu einem blutigen Krieg zwischen armenischen und aserbaidschanischen Kräften, der bis 1994 anhielt und mit einem Waffenstillstandsabkommen endete. Tausende Menschen starben, und Hunderttausende wurden vertrieben.

Seit dem Waffenstillstand von 1994 befindet sich die Region Arzach in einer De-facto-Unabhängigkeit. Obwohl die internationale Gemeinschaft die Unabhängigkeit von Arzach nicht anerkennt und die Region völkerrechtlich immer noch als Teil Aserbaidschans betrachtet wird, kontrollieren armenische Streitkräfte – mit Unterstützung Russlands – das Gebiet. Doch das Machtgefälle in der Region ist in den vergangenen Jahren deutlich zugunsten von Aserbaidschan (und dessen Verbündeten in der Türkei) gekippt. Aserbaidschan ist durch reiche Ölvorkommen eine massive Aufrüstung gelungen, und man hat dabei nie einen Zweifel daran gelassen, das umstrittene Gebiet mit der armenischen Bevölkerungsmehrheit heimholen zu wollen. Alle Vermittlungsversuche und Autonomievorschläge endeten ergebnislos. Immer wieder kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um den Status von Arzach, zuletzt im Jahr 2020.

Bereits im April vergangenen Jahres erklärte der Regierungschef Armeniens, die Schlüsselfrage für Eriwan sei nicht der Status von Arzach, sondern „Sicherheits- und Rechtsgarantien" für die dort lebenden Menschen. Mit anderen Worten: Arzach wird ein Teil Aserbaidschans sein, aber es wird harte Verhandlungen über spezifische Fragen wie den Status der armenischen Sprache geben müssen.

Wie geht es nun weiter mit Arzach und den dort lebenden Menschen? Einzelne Stimmen warnen vor Vertreibungen – wahrscheinlicher ist jedoch, dass ein Großteil der verbliebenen rund 150.000 Armenier ihre Heimat „freiwillig“ verlassen werden. In Aserbaidschan wird man sicher mit Siedlungsanreizen für „Neuzuzügler“ behilflich sein und die Bevölkerungsstruktur somit zu seinen Gunsten verändern.

Nach den ersten selbstzufriedenen Äußerungen der aserbaidschanischen Machthaber zu urteilen, beabsichtigen sie, die Armenier in Karabach (Arzach wird es dann kaum mehr als offizielle Begrifflichkeit geben) genauso zu behandeln wie andere nationale Minderheiten: wie die Lesgier zum Beispiel (indigene Bevölkerung des Kaukasus) oder die Talyschen (iranischsprachige Volksgruppe) und die Taten (ebenfalls eine iranischsprachige Volksgruppe). Das sind keine guten Aussichten.

Der autokratisch und dem islamistisch-türkischen Vorbild nacheifernde kleptokratische Machtapparat Aserbaidschans pfeift auf Minderheitenrechte und Menschenrechten im Allgemeinen. Es wird keine besonderen autonomen Gebiete oder Rechte für die Region und die Angehörigen der armenischen Bevölkerungsgruppe zu erwarten sein. Es fängt bereits mit der Frage der Staatsbürgerschaft an: Es wird für die verbliebenen Armenierinnen und Armenier in Arzach kaum einfach werden, einen aserbaidschanischen Pass zu erhalten. Die Frage der religiösen Zugehörigkeit spielt ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle: Was die christlichen Armenierinnen und Armenier in einem muslimischen Aserbaidschan erwartet, wenn es vorab keine verbindlichen Regelungen der Religionsrechte gibt, mag man sich nicht ausmalen. 

Es scheint ein teuer erkaufter Ausgleich zwischen Armenien und Aserbaidschan zu entstehen, auf den Rücken der Menschen in Arzach.

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