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Deshalb hat Russland die Ukraine angegriffen

Deshalb hat Russland die Ukraine angegriffen

Deshalb hat Russland die Ukraine angegriffen

Apenrade/Aabenraa
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Ein Feuerwehrmann in den Trümmern von Kharkiv, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, nach einem russischen Raketenangriff. Foto: Sergey Bobok/Ritzau Scanpix

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Im Krieg mit der Ukraine will sich Russland mit Gebietsansprüchen gegen die Nato absichern. Daneben geht es um Wirtschaftsinteressen, die auf große Öl- und Gasexporte Russlands beruhen. Historisch sind beide Länder eng miteinander verbunden, was ebenfalls eine wichtige Rolle für den Konflikt spielt.

Gemeinsame Geschichte, aber gegensätzliche Strömungen

Die Ukraine und Russland verbindet eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte, zugleich war die Ukraine im Laufe der Jahrhunderte auch wechselnden territorialen Besitzansprüchen anderer Staaten unterworfen. Während des Kalten Kriegs war die Ukraine eine der 15 Sowjetrepubliken. Als das Land durch den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 unabhängig wurde, war es deshalb von gegensätzlichen Strömungen geprägt, die bis heute vorherrschen.

Zum Vergrößern der Karte bitte anklicken oder antippen. Foto: Der Nordschleswiger/cvt

Heranrücken der Nato

Das Ende der Sowjetunion bedeutete das Ende des Warschauer Pakts im Osten Europas, der während des Kalten Kriegs stets als Puffer Russlands gegen den Westen gedient hatte. Inzwischen sind die ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten Mitglied der Nato, dazu zählen unter anderem die direkt an die Ukraine grenzenden Staaten Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien. Die ehemals zur Sowjetunion gehörenden baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind heute ebenfalls Mitglied der Nato, die damit immer dichter an Russland herangerückt ist.

Aus russischer Sicht stellt genau das eine Bedrohung dar. Dies hat Putin mehrfach kundgetan und gefordert, dass die Ukraine niemals Mitglied der Nato werden dürfe. Das Land ist auch in keinem anderen Militärbündnis Mitglied. Während Russland unter anderem mit Belarus und Armenien ein kollektives Militärbündnis (Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, OVKS) geschlossen hat, ist die Ukraine als neutraler Staat außen vor geblieben. Sie steht damit zwischen der Nato im Westen und der OKVS im Osten, was sie für Russland zu einem zentralen geographischen Interessenpunkt macht.

Würde die Ukraine Mitglied der Nato werden, würden die Grenzen des westlichen Militärbündnisses nicht über den Gebirgszug der Karpaten hinweg gezogen werden und stattdessen dann in einer flachen, vergleichsweise ungeschützteren Landschaft verlaufen. Außerdem wäre Belarus dann weitgehend von Nato-Gebiet umgeben. Putin möchte darum unbedingt eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine verhindern. 

Zudem läge die Nato-Grenze dann nur noch etwa 300 Kilometer von Wolgograd entfernt, was aus russischer Sicht eine Bedrohung der Öl- und Gasleitungen aus dem Kaspischen Meer darstellen kann.

Öl- und Gasvorkommen

Russland erwirtschaftet einen Großteil seiner Wirtschaftsleistung über den Export von Öl und Gas. Das Land ist weltweit der zweigrößte Ölproduzent und verfügt über die weltweit größten Gasreserven. Zudem werden im ukrainischen Hoheitsgebiet des Schwarzen Meeres nahe der Krim große Gasreserven vermutet, wodurch der südliche Teil der Ukraine für Russland besonders interessant wird. Dies ist vor allem auch vor dem Hintergrund der vergleichsweise schwachen Wirtschaftskraft des Landes relevant, da Russland ökonomisch stark von den Einnahmen aus Öl und Gas abhängig ist.

35 Prozent des russischen Gasexports geht nach Westeuropa. Viele der Gasleitungen laufen durch die Ukraine, weshalb 80 Prozent des russischen Gases durch das Land geführt werden. Russland hat ein großes Interesse daran, sich ungehinderten Zugang zu diesen Leitungen zu sichern.

Die Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport hat Russland unter anderem zur Finanzierung seines Militärs genutzt.

Geteilte Identität

Finanziell und wirtschaftlich ist die Ukraine stark von Russland abhängig, zudem spricht im Osten der Ukraine ein großer Teil der Bevölkerung Russisch und identifiziert sich in erster Linie mit Russland; während sich im westlichen Teil der Ukraine eine ukrainische Identität herausgebildet hat, die sich in Richtung des Westens orientiert. Besonders schwierig gestaltete sich für die Ukraine auch die Verwaltung der Krim, die russischsprachige Bevölkerungsmehrheit erhielt weitgehende Autonomierechte.

Annäherung an die EU

2014 wurde die Krim jedoch von Russland annektiert, während im Osten der Ukraine seitdem pro-russische Separatisten mit Unterstützung Russlands kämpfen.

Vorausgegangen war ein Streit, ob sich die Ukraine weiter der EU oder Russland annähern sollte. Der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch weigerte sich 2013, ein geplantes Abkommen mit der EU zu unterzeichnen.

Das Assoziierungsabkommen hatte unter anderem den Ausbau der Handelsbeziehungen vorgesehen. Die Weigerung führte zu Massenprotesten in Kyjiw, bei denen mehr als 100 Menschen starben. Der Präsident wurde schließlich abgesetzt, und eine Übergangsregierung unterzeichnete dann das Assoziierungsabkommen mit der EU. Damit sah Russland seinen Einfluss in der Ukraine weiter schwinden.

Propaganda und russisches Selbstbild

Teil der russischen Erzählung ist auch, dass Russland bereits heute konsequent von Feinden umringt sei und damit aus allen Richtungen existenziellen Bedrohungen ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund hätte man Russland nach Auslegung von Putin gar keine andere Wahl gelassen, als jetzt die Ukraine anzugreifen.

Wobei Putin den Einmarsch der russischen Bevölkerung gegenüber gar nicht als Angriff bezeichnet. Stattdessen redet er von einem angeblichen „Völkermord“ an der russischsprachigen Bevölkerung in den beiden selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk im Osten des Landes und kündigte an, eine „Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“ anzustreben. Es gibt jedoch keinerlei Anzeichen oder Beweise für einen Völkermord, und auch die Behauptung, dass die Ukraine von „Nazis“ befreit werden müsse, basiert auf reiner Propaganda.

Auch stellt Putin die Legitimität der ukrainischen Regierung in Frage und hat dem Land mehr oder weniger die Existenzberechtigung abgesprochen. Stattdessen betrachtet er die Ukraine historisch als Teil des russischen Imperiums und schließlich als einen künstlich hervorgebrachten Teil der Sowjetunion.

Zudem ist das russische Selbstverständnis von der Auffassung geprägt, dass es sich bei Russland immer um ein friedfertiges Land gehandelt habe, das niemals andere Nationen angreifen würde sondern stets nur zur Selbstverteidigung handelt. Diese Auffassung liegt jedoch fernab der Realität, wie unter anderem die gesetzwidrige Annexion der Krim 2014 und der Krieg in Georgien 2008 zeigen.

Mit dem Krieg in der Ukraine möchte Putin sich auch Respekt sichern. Russland soll seiner Überzeugung nach ein Land sein, das von anderen Ländern wenn schon nicht respektiert, dann zumindest gefürchtet wird. Da Putin seiner eigenen Bevölkerung ökonomisch nicht viel zu bieten hat, versucht er, sich durch Gebietsansprüche diesen Respekt in der russischen Bevölkerung zu verschaffen und Russland somit zurück auf die Weltkarte zu holen. Putin strebt an, 2024 erneut zum Präsidenten gewählt zu werden.

Quellen: Real Life Lore, Die Zeit, Tagesschau, TV2, Aarhus Bibliotekerne

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