Kardels Tagebuch: 1914-1918

Einträge von September 1918

Einträge von September 1918

Einträge von September 1918

Harboe Kardel
Frankreich
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Foto: DN

Kardels Tochter Elsbeth Kardel Knutz hat unserer Zeitung die eigenhändig abgetippten Tagebücher zur Verfügung gestellt, sodass Der Nordschleswiger bis zum Ende der Aufzeichnungen bis 2018 Kardels Tagebucheintragungen abdrucken kann. Die Einträge sind immer am 1. eines Monats 100 Jahre später abrufbar.

3. September 1918.

Ich bin in Ligny en Cambrèsis, wo unser Rudi 1916sonnige Junitage verlebte. Von hier fuhr er auf Urlaub, und wusste allen sein Schloss mit dem schattigen Garten und der kleinen Edith mit ihrem Eselsfuhrwerk so lebendig zu schildern, dass es uns ewig in Erinnerung bleiben wird. Wie ein seltener Schatz bewahrt Willi das Bild von der kleinen Edith auf, dem Schlossfräulein von Ligny.

Schon von weitem grüßte mich der spitze Turm des Schlosses. Ja, es war das Lignyunseres Rudi. Und als die Batterie untergebracht war, war mein erster gang zum Schloss. Wie vornehm lag es da, in Bäumen versteckt, abseits still und friedlich. Und ich glaube, unsern Rudi in einem Fenster zu sehen. Sein Geist war bei mir, indem ich langsam um die hohe Schlossmauer herumging. Wie vieles hat sich geändert, seitdem er mit der kleinen Edith in dem weiten Schlosspark umher tollte—obgleich doch ein ganzer Mann, hatte er doch so ein kindliches Gemüt.—Und Deutschland, für das er starb, soll es auch untergehen? Das verhüte Gott!—

Heute morgen um 7 Uhr: Plötzlicher Abmarsch von Bohain.Marsch nach Banteux. Dort wurden wir durch Oberst Werder angehalten und nach L. dirigiert. Vorne soll`s mau stehen. Wir fühlten, dass unsere Stellung wankte. Wir waren nicht mehr so ruhig wie bei den früheren feindlichen Offensiven, wo es uns ganz selbstverständlich war, dass sie nicht durchkamen.

 

6. September 1918.

Das A.O.K. hatte alle guten Quartiere belegt durch Schreiber und Ordonnanzen, für unsere Frontsoldaten mussten wir selbst Raum schaffen. Aber alle wurden zur Zufriedenheit untergebracht. Wir konnten uns mit den Franzosen brillant verständigen, der „Alte“Hans Gätgensund ich.

Um 5 Uhr morgens kam Abmarschbefehl nach Caudry.Ich wohne Rue d`Abencourtin nettem Quartier, bei Alfreda Panier, die aus Lignystammt und die auch Edith Patine kannte. Hoffentlich bleiben wir hier recht lange.

Mahlzeit! Heut` sitzen wir schon in Troisville. Wir hofften gestern Abend einen gemütlichen Abteilungsabend zu feiern, aber als wir erfuhren, dass wir am nächsten Morgen umziehen sollten, gingen wir alle bald nach Hause.

Wir haben uns sehr verschlechtert. Auf dem Papier ist so ein Umzug leicht zu machen, aber keiner, der so etwas befiehlt, ahnt, welche Unsumme von Arbeit damit zusammenhängt. Hat man eben alles sorgfältig geordnet, bums, muss man wieder weg, und andere ernten die Früchte unserer Mühen.

So wird uns systematisch die Arbeitsfreudigkeit genommen. Für unseren schweren Dienst hat man oben nicht das geringste Verständnis. Anstatt gleich richtige Entschlüsse zu fassen, wird immer umbefohlen und der leidende Teil dabei sind die Truppen.

Heut` vor einem Jahr traf unseren Rudi das tödliche Eisen.

 

8. September 1918.

Gestern Abend war ich mit Martensbei der 6. Batterie. Vize Witt erzählt von Cambrai,Sturm der Soldaten aufs Proviantlager. Hoffnung auf genussreichen Schlaf zerstört, denn------Am nächsten Morgen soll ich mit I.R. 163 erkunden. Lastautofahrt nach Proville. Westausgang Cambraiwird beschossen. Traurige Bilder: Die flüchtenden Zivilisten. Die kostbarsten Möbel verkommen.

Ich kaufe billige Wäsche. Wenn doch mein Urlaub genehmigt würde! Ich fürchte, er ist verbummelt.

 

10. September 1918.

Heut` wieder Erkundung mit I.R. 163. Martens brachte viel Schönes aus Cambraimit. Ich kann es gleich mit nach Hause nehmen, denn mein Urlaub raus. Jedenfalls hat die Division ihn genehmigt. Ich bin froh! Wie wird Mutter sich freuen!

 

25. September 1918.

Nach kaum einem Jahr bin ich wieder zu Hause. Abfahrt von Troisvilles am 11.9.abends. Langes Warten in Le CateauundAulnoye. Nach Brüsselkonnte ich nicht, ich wollte da einkaufen. So fuhr ich denn um 1.40 aus Charleroymit dem Schnellzug

nach Köln.-

 

Am 13.Sept. um 10 Uhr 19: Ankunft in Neumünsterbei Tante Dora(Mutters Schwester). Abends nach Brügge,wurde dort krank. 

Ankunft am 16.sept. in Tondern um 9 Uhr 11.

 

Am 19-21Sept. war ich auf Alsenbei Bruder Johannesund Else. Wie gerne wäre ich noch länger auf der schönen Insel geblieben!

Gestern waren Mutter,Williund ich am Emmerleff Kliff. Abends ging ich zur Vorstellung des Damen-Turmvereins im Bahnhofs-Hotel. Es gibt hier viele nette Mädchen, wie schwer wird mir der Abschied von Tondernwerden.

 

28. September 1918.

Heut` ist ein Grossregentag. Es gießt.

Und draußen rennen die Feinde gegen unsere Front an, mit aller Macht. Wie soll`suns gehen?

 

30. September 1918.

Sonntag traf ich Mietze Strehlaubeim Richtsen-Denkmal und verabredete einen Spaziergang. Wir gingen in der hellen Mittagssonne, von frischen Winden umweht, auf dem Sommerdeich nach Korntwedt.Keine menschliche Seele war dort, außer unses war schön.

Ab 5 Uhr war wieder etwas Marktbetrieb. Durch ihren Untersekundaner-Bruder machte ich die Bekanntschaft von FräuleinHaustedtund Fräulein Schröder, Lehrerinnen hier am Lyzeum. Abends waren wir bei Brodersens. Es gab da noch brillanten Kaffee und herrliche Kuchen.

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