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„Der Adler“ lernte im Lille Teater in Apenrade, die Freiheit zu lieben

„Der Adler“ lernte im Lille Teater in Apenrade, die Freiheit zu lieben

„Der Adler“ lernte im Lille Teater, die Freiheit zu lieben

Apenrade/Kopenhagen
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Für Jens Albinus bedeutet Theater, Freiräume zu erforschen. Foto: Simon Læssøe/Ritzau Scanpix

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Der Schauspieler und Regisseur erklärt im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“, warum er seinerzeit eine vierte Staffel von „Ørnen“ absagte. Ihn fasziniert vor allem das Unfertige und Unsichere. Inspiration dafür hat er mehrfach im deutschsprachigen Raum gefunden.

Jens Albinus möchte nicht „Der Adler“ sein, weshalb er möglicherweise mit der Überschrift dieses Textes auch nicht ganz einverstanden sein wird. Das hängt nicht vornehmlich damit zusammen, dass es mittlerweile fast 20 Jahre her ist, dass er als Hallgrim Ørn Halgrimsson, genannt „Ørnen“, in der gleichnamigen Fernsehserie in Dänemark wie in Deutschland bekannt wurde. Es hat viel mit seiner Liebe für Freiräume zu tun.

Nur wenn er seinen geistig behinderten Bruder Søren in dessen Wohngemeinschaft in Apenrade (Aabenraa) besucht, macht es ihm Spaß, in der Rolle gesehen zu werden.

„Dann sagen er und seine Freunde: ‚Der Adler ist gelandet‘, und dann geht es immer hoch her“, erzählt Albinus lachend.

Theater-Wahlfach an der Nygadeskole

In Apenrade hat alles vor mehr als 45 Jahren angefangen. Jens besuchte die damalige Nygadeskole, eine Volksschule von der eher altmodischen Sorte. Bevor die Kinder in die Klassen gehen durften, mussten sie sich in Reihen auf dem Schulhof aufstellen, in den Klassen dann hinter Stühlen stehen, bis die Lehrkraft sie sich setzen hieß.

Als der junge Jens Albinus 12 oder 13 Jahre alt war, ergab sich dann die Möglichkeit, ein Wahlfach in Theater zu bilden, wenn sich genug Schülerinnen und Schüler dafür finden würden. Sie fanden sich – vor allem die Schülerinnen. 

„Alle anderen haben Werken und Ähnliches gewählt, wir aber Dramatik, ich weiß nicht, woher das kam“, so Albinus. 

Unterricht am Lille Teater

Eine besondere Attraktion: Der Laienspiellehrer Franz Jøhnk baute beim Lille Theater Aabenraa im Keller des Folkehjems Kulissen, und der Unterricht fand daher nicht an der strengen Schule, sondern dort statt: „Da war alles viel lockerer.“

Bis heute hält Albinus große Stücke auf Franz Jøhnk, obwohl dieser nach seiner Aussage weder der große Schauspieler noch Regisseur, sondern handwerklich begabt war. Während der Stunden saß er meist hinten in der Ecke und paffte an seine Pfeife, heutzutage nicht mehr denkbar.

Das Lille Teater heute – Jens Albinus erinnert sich noch gut an die Gerüche. Foto: Karin Riggelsen

„Eigentlich waren wir erst einmal frei. Woran ich mich erinnere, sind die Gerüche, die altmodischen Schminkstäbchen, und die Lampen haben mich ungeheuer fasziniert.“

Jøhnk zeigte ihm, wie man mit Schiebereglern die Beleuchtung dämpfen konnte. So kam Albinus auch die erste Idee für ein eigenes Stück. Bis auf einen Anfang in Dunkelheit stand allerdings noch kaum etwas in seiner inneren Dramaturgie. Erst etliche Jahre später hat er die Idee umgesetzt.

Albinus blieb hängen

Mit Ende des Schuljahres endete auch das Wahlfach, aber Albinus blieb bei dem kleinen Amateurtheater hängen. Für ihn kam das zum genau richtigen Zeitpunkt, denn er hatte das Bedürfnis, sich allmählich vom Elternhaus loszusagen. Sein Vater, Erling Albinus, war Pastor in der Sankt Jürgen Kirche und später auch Propst in Apenrade.

Jens Albinus' Vater Erling war Pastor an der Sankt Jürgen Kirche. Foto: Karin Riggelsen

„Die waren tolle Typen bei dem Theater. Die nahmen mich einfach mit. Ich denke, jeder erlebt den Punkt, an dem Erwachsene einen plötzlich ernst nehmen. Sie sprachen mit mir wie mit anderen Erwachsenen.“

Der junge Kapellmeister

Albinus wurde Teil der Truppe, die das jährliche „Cabarue“, eine Mischung aus Cabaret und Revue, machte. Viele der anderen waren Pädagoginnen und Pädagogen, und wie es zu der Zeit üblich war, spielten die meisten ein Instrument. Doch eines Tages, er war zu dem Zeitpunkt 15 Jahre alt, fehlte ein Kapellmeister.

„Das mach ich“, sagt Albinus und ahmt die helle Stimme des jungen Jens nach. Sein Biologielehrer spielte den Bass, ein „Typ aus Tondern“ das Saxofon und ein Freund das Schlagzeug. 

Ich bekomme gute Laune, wenn ich an diese Zeit denke.

Jens Albinus

„Da waren wir plötzlich eine Kapelle, und ich hatte die Verantwortung dafür. Das war der Hammer.“

Der Scheck von Koda

Und der Kapellmeister schrieb sogar eine eigene Melodie, die gespielt wurde, während das Publikum seine Plätze fand, den „Sitdown-Blues“. Als das Lokalradio über das Lille Teater berichtete, spielt es die Melodie. Ungefähr ein Jahr später tauchte ein Brief mit einem Scheck der Urheberrechtsorganisation Koda (entsprechend Gema) auf. 

Der junge Mann ging die Fußgängerzone zur Sydbank hinauf und löste stolz den Scheck ein: „Das ist von Koda, ich habe 95 Kronen für meine Komposition verdient. Das war fantastisch.“

Freiraum im Theater

Und so stapfte er immer häufiger die Treppen vom Pfarrhaus bei Sankt Jürgen zum Folkehjem hinunter. Auf der Bühne wurde er von erwachsenen Laienschauspielern für voll genommen. Er hat nicht viel über die Rollen, die er bekam, nachgedacht. Ihm wurde erklärt, was er tun sollte, und er spielte einfach drauflos.

„Ich bekomme gute Laune, wenn ich an diese Zeit denke. Es war so ein informeller, superguter Raum zwischen Erwachsenen und Jugendlichen. Das war für mich eine große Freiheit.“

Jens Albinus als Reginn in Brynhild bei den Nibelungenfestspielen in Worms (2023) Foto: Uwe Anspach/AP/Ritzau Scanpix

Sein Vater war Pastor des alten Schlages, für den das Amt eine Berufung war. Das bedeutete auch, dass fast rund um die Uhr Leute ein und aus gingen. Und auch wenn das dem jugendlichen Jens ganz gut gefiel, so brauchte er auch immer wieder eine Atempause.

Auf die Frage, ob ihn der Freiraum oder das Theater in den Keller unter dem Folkehjem gezogen hat, antwortet er: „Das lässt sich kaum trennen. Aber Freiraum auf jeden Fall. Und das ist bei mir geblieben, dieses Gefühl, dass Theater immer ein Freiraum sein sollte.“

Schauspieler kein Berufswunsch

Während er hart – und vergeblich – trainierte, um ein guter Tennisspieler zu werden, war das Theater das „Angenehme“: „Manchmal sehne ich mich danach, denn ich stand ohne jegliche Überlegung auf der Bühne. Heute würde ich mir einen riesigen Kopf darüber machen.“

Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, fiel es ihm zu diesem Zeitpunkt im Traum nicht ein, dass die Bühne sein Berufsweg werden könnte. Als einer der Theaterkollegen sagte, einige von ihnen hätten auch eine professionelle Laufbahn einschlagen können, war Albinus fast irritiert.

„Ich fand, das, was wir hatten, war viel besser als das.“

Kopenhagen und Afrika

Auch das eher konservativ und gutbürgerlich eingestellte Elternhaus hat eine Rolle gespielt. Die Einstellung war eindeutig: Nach dem bestandenen Abitur an der Staatsschule steht die Uni auf dem Programm. Und so zog er dann Anfang der 80er-Jahre mit drei Kartons und einer Gitarre nach Kopenhagen. Er hatte die vage Vorstellung, Musik studieren zu wollen; der Kapellmeister lässt grüßen. Doch daraus wurde nichts. 

Es hat lange gebraucht, bevor Jens Albinus das Schauspiel als Berufsweg annahm. Foto: Tycho Gregers/Jyllands-Posten/Ritzau Scanpix

Es folgten zwei recht chaotische Jahre. Er jobbte, bewegte sich in sehr linksradikalen Milieus, traf ein Mädchen, mit dem er nach Afrika reiste, um dort den Sozialismus zu verbreiten. Stattdessen holte er sich Malaria, und das Geld ging ihnen aus. Heute sagte er, er habe in den Jahren seine Unschuld verloren. Der jetzt 58-Jährige holt jedoch weiterhin Stoff aus genau dieser Periode. 

Sozialistische Theater mit Schmerz

Ganz hat ihn das Theater jedoch auch in diesen beiden Jahren nicht losgelassen. Er stieß zu einer von südamerikanischen und sozialistischen Gedanken geprägten Schauspieltruppe. „Alles sehr ernst, es galt, das Volk zu befreien.“ 

„Es war alles sehr hart. Folter war immer ein Thema, und man musste tief in den Schmerz hinein. Eine Vorstellung, bei der sich niemand wehgetan hat, war keine gute Vorstellung. Wir waren sehr weit weg vom Lille Theater.“

Die ersten Jahre, nachdem ich in Aarhus aufgenommen worden war, dachte ich niemals daran, dass ich tatsächlich beruflich davon leben könnte.

Die einzige Gemeinsamkeit war, dass wieder in einem Keller gespielt wurde. Als Karriereweg war das Schauspiel, wenn überhaupt möglich, noch weiter weg als in Apenrade. Für das bürgerliche Theater hatten sie nur Verachtung übrig. 

Aufnahmeprüfung in Aarhus

Ein Mädchen dieser Truppe sah das jedoch anders und wollte deshalb die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule am Aarhuser Theater machen. Jens Albinus hatte bei ihr den Status als platonischer Freund, einen Status, den er gern ändern wollte, und so fuhr er mit. Er wurde aufgenommen, das war 1985, sie jedoch nicht. 

Er gesteht, er habe die Anekdote schon einige Male erzählt. Und ein wenig schwingt in seiner Antwort mit, dass zumindest in seinem Unterbewusstsein auch noch eine andere Motivation schlummerte. Offen eingestanden hat er sich das jedoch selbst, nachdem er die Ausbildung begonnen hatte, nicht.

„Die ersten Jahre, nachdem ich in Aarhus aufgenommen worden war, dachte ich niemals daran, dass ich tatsächlich beruflich davon leben könnte. So geht es mir in gewisser Weise heute noch.“ 

Die gebrochene Nase

Der Kontrast vom sozialistischen Agitationstheater zum „braven“ Stadttheater in Aarhus hätte kaum größer sein können. Bei einer Generalprobe für ein Jugend-Musical endete dieser Kulturzusammenstoß vor Publikum ganz buchstäblich blutig. Er sollte eine Schlägerei mit einem Kollegen simulieren. Doch statt zu simulieren, knallte er mit voller Wucht sein Gesicht in das Knie des Kollegen – und brach sich die Nase. 

Die Vorstellung mussten sie zunächst 48-mal, und dann, weil es ein Kassenschlager wurde – jedoch nicht wegen der gebrochenen Nase – 73-mal spielen. Mit den Freiräumen, die Albinus am Lille Theater lieben gelernt hatte, hatte das nur noch wenig zu tun.

„Das waren keine einfachen Jahre für mich. Ich tat mich wirklich schwer damit, mich zurechtzufinden.“

Jens Albinus

1965 als Sohn von Cand. mag. Inger Albinus und Probst Erling Albinus in Bogense geboren. Beide Eltern sind mittlerweile verstorben.

Aufgewachsen in Apenrade. Besuch der Nygadeskole und der Statsskole.

Seit 2004 in zweiter Ehe mit der Schauspielerin Marina Bouras verheiratet.

1985 bis 1989 Ausbildung an der Schauspielschule des „Aarhus Teater“. Bis 1994 dort fest angestellt.

Engagements unter anderem am Königlichen Theater, der Berliner Volksbühne und am Basler Nationaltheater.

2016 bis 2021 Leiter des „Husets Teater“.

Theater (Auswahl):

Jeppe på Bjerget (Aarhus 1993 und 2012)

Engle i Amerika (Aarhus 1995)

Was ihr wollt (Det Kongelige Theater 1996)

Hamlet (Det Kongelige Theater auf Kronborg 2003)

Hvis dette var et menneske – Monolg eines Auschwitz-Überlebenden (Manuskript, Regie und Schauspiel – Det Kongelige Theater 2010 und Husets Theater 2019)

Der Vater von August Strindberg (Berliner Volksbühne 2000)

Der seidene Schuh (Basler Nationaltheater 2003)

Inszenierung und Regie (Auswahl):

Nederdrægtighedens Historie (Kaleidoskop 1999)

Helens Himmelfærd (Grob Theater 2000)

Ausweitung der Kampfzone von Michel Houellebecq (Det Kongelige Theater 2002)

Umbettung (Schauspiel Köln 2016)

Ren – Medea (Husets Theater 2016)

Richard III. (Husets Theater 2018)

Film (Auswahl):

Idioterne (Lars von Trier 1998)

At kende Sandheden (Nils Malmros 2002)

Direktøren for det hele (Lars von Trier 2007)

Lykke-Per (Bille August 2018)

Fernsehen (Auswahl):

Der Adler (Ørnen, 2004 bis 2006)

Borgen 3. und 4. Staffel (2013 und 2022)

Der Kommissar und das Meer (2017)

37 Sekunden (2023)


 

Die Proben des „Stadtkönigs“

Und dann entdeckte er doch etwas, das ihn faszinierte. Am Aarhuser Theater gab es, wie an vielen Stadttheatern der Zeit, einen „Stadtkönig“. In Aarhus hieß er Aksel Erhardsen. Als Schaupielschülerinnen und -schüler durften sie vom dritten Rang aus bei den Proben zusehen.

„Als ich gesehen habe, wie er geprobt hat, das ist bei mir angekommen. Das hat mich angesprochen.“

Die fertigen Aufführungen berührten ihn deutlich weniger: „Wenn sie bei den Proben noch nicht sicher waren, wie gespielt werden soll, das hat für mich Sinn ergeben. Wenn sie noch auf der Suche waren, da war etwas dran.“

Zusammenarbeit mit Lars von Trier

Und die Faszination von dem, was noch unsicher ist, nicht alles festgelegt ist, sollte ihn seine Karriere hindurch begleiten. In seiner Suche danach ist er beim Regisseur Lars von Trier fündig geworden, in dessen Film „Idioterne“ (1998) er die männliche Hauptrolle spielte. Der Film wurde nach den experimentierenden Dogma95-Regeln gedreht, die Trier mit Kolleginnen und Kollegen entwickelt hatte. 

„Es war etwas, das noch nicht fertig und daher verwundbar war.“

Wichtige Begegnung in Berlin

Der Film eröffnete Jens Albinus eine neue Möglichkeit auf seiner Suche: Er kam an die Volksbühne in Berlin. Er musste Deutsch lernen, denn an der Nygadeskole der 70er-Jahre war das Fach in keiner Weise angesagt. Frank Castorf war zu diesem Zeitpunkt Intendant an der Volksbühne. Er hatte unter konservativen Theatergästen den Ruf des „Stückezertrümmerers“. Das war genau nach Albinus‘ Geschmack.

Frank Castorf Foto: Maurizio Gambarini/AP/Ritzau Scanpix

„Man muss immer auf der Suche sein und ganz radikale Haltungen äußern. Er sagte immer: Haltung, Haltung, Haltung – und auch gern die schlimmste, schrägste und erbärmlichste Haltung.“

Erste Inszenierungen

Die Erfahrungen von der Berliner Volksbühner hat er mitgenommen, als er wieder in Dänemark eigene Stücke schrieb und inszenierte. Als Schauspieler feierte er am Königlichen Theater Erfolge, bis es über eine umstrittene Hamlet-Inszenierung des schweizerischen Regisseurs Stefan Bachmann zum Bruch mit der Nationalbühne kam. Albinus ging mit Bachmann nach Basel. Der Regisseur sollte noch von Bedeutung für ihn werden.

Hadern mit der Rolle als „Adler“

2004 kam dann „Der Adler“. Die Krimiserie wurde für den Erfolg geschrieben – der dann auch kam. Die Einschaltquoten in Dänemark wie in Deutschland waren hervorragend. Die Serie gewann den internationalen Fernsehpreis Emmy. Der Preis für Albinus war, dass alles genau getaktet, bis ins Detail festgelegt war, wie er sagt, bis ein Konsens gefunden war. Der Freiraum war nicht nur eng geworden, er war verschwunden. 

„Ich habe immer solch einen Widerwillen gegen diese Effizienz. Ich konnte damit nicht gut umgehen. Ich fand die Positionen, die damals verteidigt werden mussten, schwer zu ertragen.“

Er meint unter anderem Standpunkte und Schilderungen zur Gleichstellung der Geschlechter, die heute nicht mehr tragbar wären. Sie bedeuteten, dass die weiblichen Rollen vor allem den Mann, den Adler, herausstreichen sollten: „Das habe ich nicht gut verkraften können.“

Heute meint er, es sei nicht fair dem Team gegenüber gewesen, das das Projekt entwickelt und verwirklicht hat. Es erscheint schon fast wie eine Ironie des Schicksals, dass er sich ausgerechnet als Adler so eingeengt fühlte, dass er die geplante vierte Staffel absagte.

Schreiben auf Deutsch

Der bereits erwähnte Stefan Bachmann hatte Inszenierungen von Albinus in Kopenhagen gesehen und holte ihn 2012 an das Schauspielhaus in Köln, wo er mittlerweile Intendant geworden war. Albinus wurde klar, dass er nicht auf Dänisch schreiben konnte, um den Text dann übersetzen zu lassen. Er musste auf Deutsch schreiben. 

Stefan Bachmann am Schauspiel Köln Foto: Oliver Berg/AP/Ritzau Scanpix

„Das hat mir einen solchen Spaß gemacht, weil es wiederum einen Freiraum schuf.“

Auch dieses Interview ist auf Deutsch geführt. Der Schauspieler und Regisseur war begeistert darüber, dass das möglich war; er bestand darauf. 

Der Theaterleiter

Die Produktionen in Köln hatten viel von dem, was Albinus sich vom Theater wünscht. Mittlerweile hatte sich aus seiner Sicht auch in Kopenhagen einiges gewandelt. Der alte Konsens war aufgebrochen, und er sah die Möglichkeit, solche Inszenierungen auch in der dänischen Hauptstadt auf die Bühne zu bringen. So übernahm er 2015 die Leitung des „Husets Teater“.

Jens Albinus bei der Inszenierung von „Helenes Himmelfahrt“ am Schauspiel Köln Foto: Martin Lehmann/Politiken/Ritzau Scanpix

Er sammelte eine Truppe, die genauso kompromisslos Theater spielen wollte wie er. In seiner ersten Inszenierung, Genesis, spielte er nun tatsächlich mit dem gedämpften Licht, das er sich Jahrzehnte vorher in Apenrade ausgemalt hatte. Das Stück wurde von der Kritik in einer Weise verrissen, wie er es noch nie erlebt hatte. Das Publikum wanderte in Scharen weg. 

Jetzt suche ich einen neuen Freiraum.

„Das war herausfordernd, doch teilweise auch wahnsinnig toll.“ Scheitern gehört eben für Albinus dazu. Weniger toll war es allerdings, am Tag nach der Premiere, als frischgebackener Chef dem Personal zu begegnen. 

Frau als der beste Schauspieler

Doch die Erfolge kamen, auch mit Inszenierungen, auf die Albinus stolz ist. Das Theater wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Einer der Höhepunkte war „Richard III.“ mit Tammi Øst in der Hauptrolle. 

„Ich habe das nicht gemacht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie der Schauspieler, die Schauspielerin, nein wirklich der Schauspieler in Dänemark ist, der Richard III. verkörpern kann.“ In diesem Fall gaben ihm die Kritiken recht.

Tammi Øst spielte Richard III. Foto: Thomas Lekfeldt/Ritzau Scanpix

Für ihn ist das Theater, gerade in Zeiten großer Herausforderungen, die aktuellste Kunstform überhaupt. Wenn die Probleme so groß wie derzeit sind, brauche es das Suchen zwischen den eingeübten Sätzen, die die Politikerinnen und Politiker seiner Ansicht nach herunterbeten. 

„Wir kommen da in diese Zerbrechlichkeit, wir begegnen uns als Menschen jenseits von dem, was wir zum Beispiel in diesem Haus an Positionierungen erleben.“ Mit dem Haus meint der Schauspieler Christiansborg, wo das Gespräch des „Nordschleswigers“ mit ihm stattfindet. 

Kündigung wegen Quote

Heute ist er denkbar weit davon entfernt, mit dem Theater das Volk befreien zu wollen – so wie das einst bei der sozialistischen Theatertruppe der Fall war. Es solle keinen erzieherischen Auftrag erfüllen, sich vor keinen noch so wohlgemeinten Karren spannen lassen. Sondern es soll die Freiheit in den Köpfen ermöglichen, die bereits der 13-jährige Jens zu lieben lernte. Das ist auch der Grund, weshalb er seit 2021 nicht mehr Leiter von „Husets Teater“ ist. Der alte Konsens sei durch einen neuen abgelöst worden.

Der konkrete Anlass dafür, dass er kündigte, war, dass die damalige Kopenhagener Kulturbürgermeisterin Franziska Rosenkilde von den Alternativen ihm und den übrigen Theatern auferlegte, jährlich einen Bericht über den Anteil von Dramatikerinnen und Schauspielerinnen abzulegen. Nicht dass er die Frauenquote nicht locker erfüllte, nur wollte er seine Bühnenkunst nicht daran messen lassen. Und so schwebte er ein weiteres Mal ins Ungewisse.

„Jetzt suche ich einen neuen Freiraum, und ich bin immer noch auf der Suche, aber ich fühle mich gut dabei“, sagt Jens Albinus. 

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