Leitartikel

„Zweisprachige Ortsschilder: Mehr Mut zur Grenzlandgeschichte“

Zweisprachige Ortsschilder: Mehr Mut zur Grenzlandgeschichte

Zweisprachige Ortsschilder: Mehr Mut zur Grenzlandgeschichte

Nordschleswig/Südschleswig
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Nachdem Harrislee zweisprachige Ortsschilder eingeführt hat, wächst der Druck auch auf dänischer Seite. Warum das Zeitfenster seiner Meinung nach jetzt günstig wäre, schreibt Chefredakteur Gwyn Nissen in seinem Leitartikel.

Im Flensburger Vorort Harrislee (Harreslev) ist das nächste Kapitel deutsch-dänischer Grenzlandgeschichte geschrieben worden: Zweisprachige Ortsschilder zieren seit einigen Tagen die Ortseinfahrten in der Gemeinde. Nach Flensburg (Flensborg) und Glücksburg (Lyksborg) ist Harrislee der dritte Ort mit deutsch-dänischen Ortsschildern.

Wie auch in Nordschleswig sind Bemühungen um zweisprachige Ortsschilder auch in Südschleswig ein altes Thema. In Harrislee hat die Partei der dänischen Minderheit, der SSW, 14 Jahre lang für die neuen Ortsschilder kämpfen müssen.

Jahrelang haben die anderen Parteien im Stadtrat dagegengehalten, aus Angst vor Protesten und zu hohen Kosten bei der Auswechslung. Nun sind die neuen Schilder gekommen, weil sie ohnehin erneuert werden mussten – und die Zeit reif geworden war. Und die Proteste? Sie sind bisher ausgeblieben.

Südlich der Grenze werden nach Harrislee mit Sicherheit bald weitere Gemeinden nachziehen. Damit wächst der Druck auf die Kommunen nördlich der Grenze, denn auf dänischer Seite gab es bisher keine Anzeichen dafür, dem Wunsch der deutschen Minderheit stattzugeben.

In den vergangenen Jahren hat die Diskussion über zweisprachige Ortsschilder in Nordschleswig immer wieder für einen medialen Sturm gesorgt. Zwar mit immer weniger Protesten, aber ausreichend, um die dänischen Politikerinnen und Politiker davon abzuhalten, ins Wespennest zu stechen. 

Der Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, die Dachorganisation der deutschen Minderheit, Hinrich Jürgensen, hält sich daher mit Forderungen zurück und setzt zunächst auf „die andere Seite“ und den wachsenden Druck, nach dem Motto: Warum in Harrislee, aber nicht in Hadersleben?

Der deutsche Bürgermeister in Tondern, Jørgen Popp Petersen von der Schleswigschen Partei, will ebenfalls nicht nach vorn preschen. Denn an den zweisprachigen Ortsschildern knüpft sich der Wunsch der deutschen Minderheit, dass die Schilder auch ein Anliegen der Mehrheitsbevölkerung und Politik werden – und nicht nur „eine verrückte Idee der Minderheit“.

Das Argument der dänischen Politikerinnen und Politiker ist bisher gewesen „wir behandeln euch doch gut – warum braucht ihr ein Symbol“. Was auch stimmt, doch SSW-Politiker Bjørn Ulleseit aus Harrislee sagte deutlich, „es werde ihm warm ums Herz“, wenn er die zweisprachigen Ortsschilder sehe. Ja, die Ortsschilder sind ein Symbol, sogar ein wichtiges.

Zweisprachige Ortsschilder haben eine Bedeutung, aber eben nicht nur für die Minderheit, sondern sie würden auch in der Mehrheit die Präsenz und den Respekt gegenüber der Minderheit und der Geschichte des Grenzlandes noch deutlicher machen: Es würde zeigen, dass unsere Region eine ganz besondere ist für Mehrheiten und Minderheiten. Dass wir gemeinsam etwas geschafft haben, wovon andere Grenzregionen in der Welt immer noch träumen, nämlich dass Minderheiten und Mehrheiten friedlich miteinander leben können.

Die aktuelle weltpolitische Lage wäre sogar ein günstiges Zeitfenster dafür, ein klares Signal zu senden: Dass wir es mit unserer Vorzeige-Region ernst meinen – auch symbolisch – und der Welt zeigen, dass Minderheiten-Politik auch Friedenspolitik ist. 

Die Frage ist daher nicht, ob es jemals zweisprachige Ortsschilder in Nordschleswig geben wird, sondern wann. Wann bringen die Politikerinnen und Politiker in den vier nordschleswigschen Kommunen den Mut auf und schreiben endlich Grenzlandgeschichte auf dänischer Seite? Trotz aller Befindlichkeiten – immerhin sind fast 80 Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen.

Redaktionschefin May-Britt Petersen hat in einem Leitartikel in „Flensborg Avis“ festgehalten, dass den Gegnern der zweisprachigen Ortsschilder nichts weggenommen wird – sie könnten den dänischen Namen auf dem Schild einfach ignorieren.

Dasselbe gilt für Nordschleswig. Sønderjylland wird nicht Deutsch und auch nicht weniger Dänisch, dadurch dass wir zweisprachige Ortsschilder bekommen. Im Gegenteil würde es noch deutlicher werden, dass in unserem Landesteil Toleranz und Respekt herrscht. Gemeinsam haben Mehrheit und Minderheit es weit gebracht – aber es geht noch mehr.

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