Deutsche Minderheit

Vom Volontariat in Tondern an die Seite Gorbatschows

Vom Volontariat in Tondern an die Seite Gorbatschows

Vom Volontariat in Tondern an die Seite Gorbatschows

Nordschleswig/Sønderjylland
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Bettina Schaefer präsentierte im Medienhaus in Apenrade ihr Buch über Gorbatschow. Foto: Gwyn Nissen

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Als Michail Gorbatschow stirbt, ärgert sich Bettina Schaefer darüber, dass die westliche Welt sich von ihm abwendet. Zwei Tage nach seinem Tod beginnt sie, an ihrem Buch über den russischen Präsidenten zu schreiben.

Wer war Michail Gorbatschow, und warum hat er unser Leben verändert? Ausgerechnet eine Journalistin mit Wurzeln im deutsch-dänischen Grenzland beantwortet diese Frage in ihrem Buch über den ehemaligen russischen Präsidenten.

Bettina Schaefer macht keinen Hehl daraus, was sie für „Gorbi“ empfindet. Wie viele im Westen ist er für sie ein Vorbild. Das ist auch genau der Grund, weshalb sie sich auf das Buchprojekt gestürzt hat: Als Gorbatschow am 30. August 2022 stirbt, ist die westliche Welt gänzlich abwesend – auch deutsche Politikerinnen und Politiker sind bei seinem Begräbnis nicht dabei.

Bettina Schaefer ist wütend

„Ich habe mich geärgert und geärgert“, erzählt sie bei ihrer Lesung im Medienhaus in Apenrade, wozu sie die Deutsche Bücherei Nordschleswig und „Der Nordschleswiger“ eingeladen haben.

Zwei Tage lang tut sie ihren Unmut kund. Dann trifft sie die Entscheidung, ein Buch über den russischen Staatsmann zu schreiben. Das Buch soll ein Jahr später zu seinem ersten Todestag erscheinen, als Hommage auf einen der wichtigsten Männer der Zeitgeschichte.

Bettina Schaefer ist Journalistin. Im Mai 1991 beginnt sie ihr Volontariat beim „Nordschleswiger“ in Apenrade und ist später auch in der Lokalredaktion in Tondern (Tønder) tätig.

Schulzeit in Tingleff

Den Landesteil lernt sie aber schon sehr viel früher kennen, denn Bettina Schaefer besucht Ende der 1980er-Jahre die Deutsche Nachschule Tingleff (Tinglev) und bekommt dort einen Freundinnenkreis fürs Leben. Einige davon sitzen an diesem Abend mit ihren Familien im Medienhaus und hören sich ihre Geschichte an – auch wenn sie vieles davon schon kennen.

Bettina Schaefer wahrt trotz der Faszination auch den journalistischen Abstand zu Gorbatschow und ihren Quellen, obwohl das Treffen mit dem KPdSU-Generalsekretär am 29. Januar 2019 ihr für ewig in Erinnerung bleiben wird.

Bettina Schaefer unterhält sich in einer Pause mit Gästen. Foto: Gwyn Nissen

Über Genscher zu Gorbatschow

Sie hat ihr damaliges Buchprojekt über den FDP-Politiker und früheren deutschen Außenminister Hans Dietrich Genscher gerade abgeschlossen. Bettina Schaefer hat dafür Zeitzeuginnen und Zeitzeugen interviewt – und auch Michail Gorbatschow hat beigetragen.

Die Antworten hat er ihr zwar schriftlich geschickt, doch als sie ihm als Dank ein Belegexemplar schenken möchte, darf sie ihm das Buch in Moskau persönlich überreichen. An ihrem 57. Geburtstag verbringt sie eineinhalb gemütliche Stunden mit dem Mann, der Weltgeschichte geschrieben hat.

Einfache Fragen zum Menschen

Zurück im Medienhaus in Apenrade, kann Bettina Schaefer trotz des Umbaus Teile ihrer alten Redaktionsheimat wiedererkennen. Sie liest Passagen aus ihrem Buch „Michail Gorbatschow – Wie er unser Leben veränderte“ und berichtet über ihre Arbeitsmethode: Es sind narrative Interviews – ihre Fragen sind im Buch entfernt, und dadurch entsteht eine persönliche Erzählung sehr unterschiedlicher Menschen, die einen Bezug zu Michail Gorbatschow hatten – von Politikern, Journalistinnen über Weggefährten zu einem Rockmusiker.

„Die Idee meiner Bücher ist einfach: einfache Fragen. Wer war das als Mensch? In der Weltpolitik hat der menschliche Faktor ein unglaubliches Gewicht. Das lesen wir nicht in den ,dpa'-Meldungen. Wenn der eine dem anderen vertraut, ist viel möglich. Und wenn nicht, dann kommt es zu einer militärischen Spezialoperation“, zieht Bettina Schaefer Parallelen zum heutigen Krieg in der Ukraine.

Im Westen ein Superstar – zu Hause verhasst

Michail Gorbatschow ist für die Menschen in Schaefers Buch ein Idol, ein Vorbild. Ein einfacher Mensch, authentisch, mit emotionaler Intelligenz und warmherzig. Er gab den Menschen politische Freiheit und Hoffnung. Aber er scheiterte – war im Westen ein Superstar – in Russland verhasst. Freiheit kann man sich eben nicht wie Butter aufs Brot schmieren – die Regale blieben (zu) leer.

„Er hatte zwei Gesichter: westaffin, aber eben auch Apparatschik, sonst hätte er es nicht an die Spitze geschafft“, erklärt Bettina Schaefer.

Mit Gorbatschow starb die Hoffnung

Unter Michail Gorbatschow gab es im Westen ein neues Vertrauen zum damaligen Klassenfeind. Gorbatschow hat die Welt damals von der Atomkriegsgefahr befreit. 30 Jahre später ist nicht nur Michail Gorbatschow begraben, sondern mit ihm auch ein Stück Hoffnung. Im eigenen Land wurde er zuletzt nicht mehr gehört – und auch im Westen verlor er an (politischer) Bedeutung. Bettina Schaefer hat ihm wieder eine Stimme gegeben – vielleicht hört ja jemand zu?

Das Buch von Bettina Schaefer ist Ingrid und Horst Jacobsen, ehemaliger Leiter an der Deutschen Nachschule Tingleff, gewidmet. Es ist in ihrem „Jetztzeit Verlag“ erhältlich.

Die Autorin und Gorbatschow
Bettina Schaefer hat Michail Gorbatschow sogar selbst getroffen. Foto: Privat
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