Diese Woche in Kopenhagen
„Mann ist gefordert, damit alle ausgelassen tanzen können“
Mann ist gefordert, damit alle ausgelassen tanzen können
Mann ist gefordert, damit alle ausgelassen tanzen können
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Frauen müssen, wenn sie ausgehen, immer noch wachsam sein. Verbale und physische Grenzüberschreitungen sind auch 2023 noch Alltag. Einvernehmen macht nicht die Party kaputt, sondern bedeutet Partyspaß für alle. Das meint zumindest Walter Turnowsky, der allerdings über das Party-Alter schon ein wenig hinaus ist.
Wer Freitag in Kopenhagen ausgeht, kann im Nachtclub „Baggen“ am ehemaligen Fleischmarkt „Kødbyen“ erstmalig die australische DJ Hanna D in der Hauptstadt erleben.
Bevor man hineingelassen wird, begegnet einem jedoch an der Tür eine sogenannte Pickerin oder ein Picker. Sie oder er wird fragen, ob man die Regeln des Hauses kennt:
- Wir werden uns niemals ohne Einvernehmen an jemandem reiben, beziehungsweise jemanden begrapschen oder befummeln
- Wir passen aufeinander auf
- Wir respektieren immer ein Nein
- Wir verbreiten ausschließlich positive Vibrationen (Vibes)
- Wir sind alle verantwortlich für eine gute Party
„‚Baggen‘ umarmt jegliche Art von Menschen, die bereit sind, positiv zur Party beizutragen“, heißt auf der Homepage und Facebook-Seite des Clubs, der seit 2018 diese Politik hat.
Kein sicherer Raum
An dieser Stelle ist ein kurzes Geständnis angebracht: Ich fühle mich entschieden zu alt, um – in welcher Weise auch immer – zu einer Party im „Baggen“ beizutragen. Meine Gedanken und Beobachtungen sind also die des Außenstehenden, des Boomers.
Und meine unmittelbaren Gedanken sind zwiespältig. Einerseits finde ich es ermunternd, dass nicht nur „Baggen“, sondern immer mehr Nachtclubs im Kopenhagen eine bewusste Politik eingeführt haben, damit die Party allen Spaß macht. Bedrückend finde ich, dass dies immer noch notwendig ist; Frauen (denn, ja meine Herren, es betrifft in erste Linie Frauen) auch heute noch im Nachtleben übergriffigem Verhalten ausgesetzt sind.
Der Dachverband der Restaurationsbranche, Danske Restauranter og Cafeer (DRC), hat Richtlinien erarbeitet, wie die Clubs und Discos einen sicheren Rahmen für alle schaffen können. „Safe Space“ nannte sich das ursprünglich; jetzt empfiehlt der Verband „Safer Space“, weil niemand einen ganz sicheren Raum gewährleisten kann.
Ist es wirklich eine gute Party, wenn auch nur eine Person im Raum sich bedrängt oder unwohl fühlt?
Und wenn ich so nachdenke, ist die Tatsache eigentlich noch bedrückender. Nicht nur müssen Frauen, wenn sie ausgehen, dauernd auf der Hut sein, damit sie nicht blöd angemacht oder begrapscht werden. Selbst wenn sie gezielt einen Club aufsuchen, der allen ein sorgloses Fest anbieten möchte, können sie sich nicht vollkommen sicher fühlen. Sogar das „Baggen“ empfiehlt, man solle seinen Drink nicht aus den Augen lassen.
Risiko von Drogen im Drink
Das größte Risiko, wenn man seinen Drink abstellt, sollte eigentlich sein, dass jemand anderes ihn versehentlich austrinkt. Nicht, dass jemand eine Droge hineinkippt, mit dem Ziel eines sexuellen Übergriffs, einer Vergewaltigung.
Für mich stellt das „Drugging“ eine ganz extreme Form der Abgestumpftheit dar. Man(n) befriedigt die eigenen Absichten – ohne Rücksicht darauf, was er anderen damit antut. Ich will hier nicht behaupten, dass sich eine direkte Linie vom „alltäglichen“ grenzüberschreitenden Verhalten zur Vergewaltigung mithilfe von Drogen zieht. Doch auch bei übergriffigen Zurufen und Berührungen hat man das Wohlbefinden des anderen vergessen, oder es ist einem gleichgültig.
Andere setzen bewusst darauf, ihre Selbstbild als „richtiger“ Mann durch grenzverletzendes Verhalten gegenüber Frauen abzustützen.
Und hier sind wir vielleicht bei einer der Wurzeln des Problems angekommen: Hauptsache meine Bedürfnisse (auch der Selbstbehauptung) werden befriedigt, wie es anderen dabei geht, ist mir egal, beziehungsweise ich achte nicht darauf.
Mehr Achtsamkeit
Doch liegt hier vielleicht auch ein Ansatz für eine Lösung. Wir sollten uns fragen, ob wir wirklich unseren Spaß haben können, wenn die Person, die danebensteht, keinen Spaß daran hat. Ist es wirklich eine gute Party, wenn auch nur eine Person im Raum sich bedrängt oder unwohl fühlt? Und ist der Sex wirklich gut, wenn nur der eine ihn als lustvoll empfindet?
Es geht also im Kern darum (und dies gilt nicht nur im Nachtleben), dass wir etwas mehr Fürsorge und Achtsamkeit füreinander zeigen. Junge Frauen berichten, dass sie in der Freundinnengruppe ein Auge darauf haben, wie es den anderen geht, wenn sie ausgehen. Wenn auch Männer aktiver würden, könnte das der Beginn eines Umdenkens im Nachtleben sein.
Der Kumpel, der die Klappe halten soll
Sag doch deinem Kumpel, er soll die Klappe halten, wenn er wieder mal einer Frau „geile Titten“ hinterher brüllt. Schlepp ihn weg, wenn er sich aufdrängt, obwohl sie deutlich signalisiert, dass sie ihn loswerden will. Ich bin mir sicher, du weißt, wen ich meine.
Vielleicht ist dir ja auch selbst bei seinem Verhalten unwohl, doch er ist nun einmal der Leithammel der Freundesgruppe. Es könnte ein Anlass sein, mal im nüchternen Zustand zu besprechen, ob so ein Verhalten 2023 noch okay ist.
Und auch wenn es nicht einer aus der Freundesgruppe ist, ist es ja nicht verboten darauf aufmerksam zu sein, ob sich eine Frau (oder auch ein Mann) bedrängt fühlt. Dies soll selbstverständlich keine Aufforderung zur Anstiftung einer Schlägerei sein. Doch kann man ja auf die Frau zugehen, fragen ob alles in Ordnung ist, oder sie Hilfe möchte – man kann das Personal verständigen.
Eine neue Generation
Zum Glück deutet sich an, dass ein Umdenken unterwegs ist. Seit vor zweieinhalb Jahren das Gesetz zur Einvernehmlichkeit (samtykkeloven) verabschiedet wurde, hat die Anzahl der blöden Witze über unterschriebene Verträge vor dem Sex abgenommen. Dafür hat die Anzahl der Gespräche darüber, was Einvernehmen bedeutet, zugenommen. Dies gilt vor allem unter jungen Menschen, so zumindest mein Eindruck.
So beschreibt zum Beispiel die Sprecherin des in diesen Tagen stattfindenden Roskilde Festivals, Christina Bilde, gegenüber „Politiken“ die erstmaligen Besucherinnen und Besucher als eine „fürsorgliche Generation“. Es gäbe im positiven Sinne eine „andere Verwundbarkeit“. Sie würden auch die Angebote zu Dialogen über Grenzen annehmen – und beteiligen sich an Flirt-Workshops.
Das heißt jedoch nicht, dass beim Roskilde Festival alles Friede, Freude, Einvernehmen ist. Bisher haben dieses Jahr zwei Frauen eine Vergewaltigung bei der Polizei angezeigt. Das Festival ist eben auch nur ein Spiegel der Gesellschaft. Dennoch sagte die Freiwilligenkoordinatorin des Festivals, Mika Christoffersen, in einer Diskussionsrunde, sie hoffe, die Besucherinnen und Besucher würden einige der Verhaltensregeln mit nach Hause nehmen.
Die Sexualkunde
Nun kann es weder Aufgabe des Festivals noch der Nachtclubs sein, die Menschen zu einem achtsamen Verhalten zu erziehen. Da sind schon andere gefragt. Denn klar ist, auch wenn jetzt mehr über Grenzen und Einvernehmen gesprochen wird, so ist die Botschaft bei Weitem noch nicht bei allen in der wichtigsten Zielgruppe, den jungen (und nicht mehr ganz so jungen) Männern, angekommen.
Da ist zunächst einmal Sexualkundeunterricht in der Volksschule, und damit auch den Grundschulen der Minderheit, gefragt. Es ist selbstverständlich gut zu wissen, wie man ein Kondom über eine Penisattrappe stülpt. Wichtiger ist jedoch zu lernen, wie man flirtet, sodass beide ihren Spaß daran haben. Wie man auf die unumgänglichen Abweisungen reagiert und wie Sex für beide lustvoll wird. Unterstützung für den Unterricht kann man sich bei der Organisation „Sex og Samfund“ holen.
Die gute Party
Letztendlich muss es jedoch noch früher anfangen: Den fürsorglichen und achtsamen Umgang miteinander (und hier denke ich an alle Lebensbereiche) lernt man zu Hause – oder eben nicht.
Wir nähern uns rasch dem Ende der Kolumne, dem Wochenende und damit der Zeit zum Feiern. Vor dem Feiern noch ein Zitat von der Seite des Nachtclubs „Baggen“: „Uns ist egal, wen du liebst, küsst oder bumst, solange es einvernehmlich geschieht.“
Denn es geht ja nicht darum, dass man nicht ausgelassen feiern soll, sondern, dass alle ausgelassen feiern können – egal ob Mann oder Frau; hetero, schwul, lesbisch oder transgender.