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„Europas Minderheiten: Zwischen Lippenbekenntnissen und politischen Taten“

Europas Minderheiten: Zwischen Lippenbekenntnissen und politischen Taten

Von Lippenbekenntnissen und politischen Taten

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Berlin
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75 Jahre FUEN: Das feiert die Organisation in den kommenden Tagen in Husum. Dass dies sowohl zum Feiern als auch zum Nachdenken anregen sollte, erklärt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne.

Die Föderalistische Union Europäischer Nationen (FUEN) feiert in Husum ihr 75-jähriges Bestehen. Eine Organisation, die sich seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg unermüdlich für den Schutz und die Rechte der autochthonen Minderheiten, Nationalitäten und Volksgruppen in Europa einsetzt. Der Kongress bringt Vertreterinnen und Vertreter aus ganz Europa zusammen, um das Erreichte zu würdigen – und gleichzeitig den Blick in die Zukunft zu richten. Doch wie stark sind die Minderheiten, Volksgruppen und Nationalitäten auf europäischer Ebene verankert?

Während die FUEN ihre Geschichte feiert, zeigt ein Blick auf die EU-Kommission ein ernüchterndes Bild. In den „Mission Letters“, die die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, an die designierten Kommissarinnen und Kommissare für die Amtszeit 2024–2029 verteilt hat, finden Minderheitenrechte oder Regionalsprachen keine direkte Erwähnung. Diese Briefe legen die Prioritäten der Kommissare für die nächsten fünf Jahre fest. Dass die Minderheitenpolitik außen vor bleibt, zeigt: In Brüssel ist sie kein zentrales Thema.

75 Jahre FUEN: Eine Erfolgsstory

Der FUEN-Kongress ist nicht nur Anlass zum Feiern, sondern auch zum Nachdenken. Seit 75 Jahren setzt sich die Organisation für die Rechte von Minderheiten, Nationalitäten und Volksgruppen in Europa ein. Ob die Sorben in Deutschland, die Friesen in Nordfriesland oder die ungarische Minderheit in Rumänien – die FUEN kämpft für den Schutz und die Förderung dieser Gruppen. Dabei geht es nicht nur um kulturelle Identität, sondern auch um politische Partizipation.

Trotz langjähriger Bemühungen steht der große politische Durchbruch auf europäischer Ebene noch aus. Die Minority SafePack Initiative (MSPI), die von der FUEN mit Unterstützung von über einer Million EU-Bürgern vorangetrieben wurde, fordert konkrete Maßnahmen zum Schutz der Minderheitenrechte. Die Reaktion der EU-Kommission war und ist unterirdisch. Das Ignorieren der MSPI durch die Kommission zeigt, wie wenig politischer Wille vorhanden ist, Minderheitenrechte auf EU-Ebene ernsthaft zu verankern. Das ist nicht nur eine Enttäuschung für die Betroffenen, sondern auch ein politischer Gradmesser für den Zustand der EU, wie die aktuellen Mission Letters zeigen. Die Idee eines EU-Kommissars für Minderheiten und Sprachen war wohl nie wirklich politisch realistisch – was nicht heißt, dass man diese Forderung aufgeben sollte. Aber dass nun sogar alle Hinweise aus den Mission Letters verschwunden sind, ist ein starkes Stück.

Warum scheitert das Thema Minderheiten in Brüssel?

Ein Grund dürfte die Zurückhaltung vieler Nationalstaaten sein. Minderheitenrechte werden oft als Bedrohung der nationalen Integrität gesehen und nicht als Chance für die Vielfalt Europas. Das zeigt sich besonders in Ländern, in denen nationale Minderheiten lange um ihre Anerkennung kämpfen mussten. Während in einigen Regionen wie Schleswig-Holstein der Minderheitenschutz aktiv gefördert wird, herrscht andernorts Stillstand. Auch im deutsch-dänischen Grenzland ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es gibt einen politischen Konsens: Man will helfen und den Minderheitenschutz verbessern.

Neue Ansätze: Allianz der Regionen

Die Lösung liegt nicht darin, weiter auf die Nationalstaaten und die EU-Kommission zu schimpfen, auch wenn die Behandlung der MSPI enttäuschend war. Neue Ansätze sind gefragt, die nicht im politischen Streit versanden. Eine Allianz von Regionen wie Sachsen, Schleswig-Holstein, Südtirol und Deutsch-Belgien könnte ein entscheidender Schritt sein. Diese Regionen haben bewiesen, dass Minderheitenschutz erfolgreich sein kann.

Was kann die FUEN tun?

Leichter gesagt als getan: Mit begrenzten Mitteln muss die FUEN gegen die großen Akteure der europäischen Politik antreten. Das Engagement, das die FUEN seit 75 Jahren zeigt, stößt oft auf bürokratisch-politische Mauern. Aber vielleicht könnten verstärkte regionale Allianzen helfen, die nationale Ebene und die EU-Kommission von der Dringlichkeit des Minderheitenschutzes zu überzeugen. Solche Ideen haben Potenzial, auch wenn der Weg steinig bleibt.

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