Leitartikel

„Auch Geschichte gehört dazu“

Auch Geschichte gehört dazu

Auch Geschichte gehört dazu

Apenrade/Aabenraa
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„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch setzt sich in seinem Leitartikel mit dem Umgang der deutschen Nordschleswiger mit der eigenen Geschichte auseinander.

In diesem Jahr 2021 ist an vielen Orten und auf unterschiedlichste Weise das Jubiläum der Volksabstimmungen in den beiden Abstimmungszonen Schleswigs im Jahre 1920 und die daraus resultierende Neufestlegung der deutsch-dänischen Grenze „nachgefeiert“ worden.

So gab es den Auftritt der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen am dänischen „Wiedervereinigungstag“ am 15. Juni auf den Düppeler Schanzen mit dem an die deutschen Nordschleswiger gerichteten Ausspruch „Auch ihr gehört zu Dänemark“. Und wenig später bat der Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN), Hinrich Jürgensen, im Beisein von Königin Margrethe und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier um Entschuldigung für die Rolle der deutschen Minderheit während der Nazizeit und der Besetzung Dänemarks.

Zum Glück beschränkt sich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im deutsch-dänischen Grenzland nicht auf Feiern anlässlich der 1920-Jubiläen, die durch die Anti-Corona-Grenzblockaden von einer nicht geplanten Aktualisierung des Themas Grenze begleitet wurden. So gab es in diesem Monat interessante Vorträge zur Vergangenheit und „Vergangenheitsbewältigung“ im Bereich der deutschen Nordschleswiger während des für alle Interessierten offenen Seminars „Geschichte auf dem Berg“ in der Bildungsstätte Knivsberg. Es waren dort jüngere und ältere Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei, die lebhaft mit bekannten Historikerinnen und Historikern diskutierten. Es wurde deutlich, dass in der deutschen Minderheit der Fachmann für die juristische Aufarbeitung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern von 1940 bis 1945 und der Geschichte des Fröslevlagers und der Strafanstalt Faarhus, Henrik Skov Kristensen, auf Offenheit und Interesse trifft.

Ebenso wie Doktorand Jon Thulstrup mit seinen Aussagen über ein „Verschwinden“ vieler junger Nordschleswiger in den Jahren nach 1945 aus der Gemeinschaft der deutschen Minderheit, die zuvor Kriegsdienst in Nazi-Uniformen geleistet hatten,  aufhorchen ließ. Zum Glück hat sich die Welt in Nordschleswig weiterentwickelt, dass in Mehrheit und Minderheit keine starren Geschichtsbilder mehr den Durchblick behindern. So war der Vortrag von Caroline Weber von der Süddänischen Universität in Sonderburg auch erhellend, die in ihrem Vortrag auf die Wandelbarkeit der Erinnerungskultur hinwies.

So habe zwar Mette Frederiksen auf Düppel in deutscher Sprache der deutschen Minderheit ein aufmunterndes Signal gegeben. Zugleich habe sie aber auch an andere Stelle die Rückkehr „urdänischen“ Landes gerühmt. Eine gemeinsame Sprache zum Geschehen um 1920 gebe es bis heute nicht, so die Wissenschaftlerin. Erfreulich ist, dass bei der „Nachfeier“ des Grenzjubiläums in Ripen (Ribe) kritische Fragen hinsichtlich der Epoche des Nationalismus gestellt wurden, der nach 1864 den dänischen Nordschleswigern unter preußischer Oberhoheit übel mitgespielt hat, der eine Hauptursache des Ersten Weltkriegs gewesen ist und mit der Versailles-Nachkriegsordnung eine Teilung des „multinationalen“ Schleswigs, aber vor allem eine seit 1920 stabile Grenze ergeben hat.

Festzustellen ist, dass mit dem „Abhaken“ des Grenzjubiläums die Beschäftigung mit der Geschichte der Grenzregion nicht zu den Akten gelegt worden ist. Archivleiter Hans Schultz Hansen wies in der Bildungsstätte Knivsberg (Knivsbjerg) darauf hin, dass es in der dänischen Politik vor Jahrzehnten Tendenzen gab, die dunklen Kapitel der deutsch-dänischen Geschichte auf sich beruhen zu lassen, um das deutsch-dänische Verhältnis nicht zu belasten. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Verdrängung der unangenehmen Vergangenheit kein Rezept ist. Das bezeugen Begegnungen mit Angehörigen von Opfern der Gewaltherrschaft wie bei Gedenkveranstaltungen für ermordete dänische Grenzgendarmen ebenso wie Nachrichten von deutschen Flüchtlingen, die gegen Kriegsende mitunter im Kindesalter wie eine Gruppe Mädchen und Jungen im Hof Hohenwarte bei Hoyer getrennt von ihren Angehörigen oft mehrere Jahre in Dänemark lebten und bis heute diese Zeiten vor Augen haben, als sie vor Bomben und Kämpfen gerettet wurden, aber mit ihren Familien schmerzhaft lange nicht vereint werden konnten.

„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten“, lautet ein dem berühmten deutschen Sozialdemokraten August Bebel (1840-1913) zugeschriebenes Zitat, das sicher auch heute noch Beachtung verdient.

Es ist geradezu ein Motto für die aktuelle Arbeit des Archivs der deutschen Minderheit im Deutschen Museum in Sonderburg unter Leitung von Nina Jebsen, wo in den kommenden Jahren per Internet und bei Besuchen im  Lesesaal immer mehr Akten und Bilder eingesehen werden können. Und es gilt auch für die Heimatkundliche Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG), die mit ihren Tagesfahrten, Tagungen und ihrer Jahresschrift seit Generationen innerhalb der Minderheit aber auch interessierten Außenstehenden geschichtliche Einblicke und Erlebnisse bietet. Dazu zählen schöne Dinge ebenso wie schmerzliche und unbequeme.

Auch Geschichte gehört in der Gegenwart dazu, könnte ein Aufruf heißen, damit in der Minderheit ebenso wie in der Mehrheit der Gesellschaft geschichtliche Veranstaltungen und Beschäftigung mit der Vergangenheit weiter gefördert werden.    

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