Dansk-tysk med Matlok

Königlicher Historiker: Ohne deutsche Minderheit würde heute etwas fehlen

Königlicher Historiker: Ohne deutsche Minderheit würde heute etwas fehlen

Historiker: Ohne deutsche Minderheit würde etwas fehlen

DN
Kopenhagen
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Jes Fabricus Møller im Interview mit Siegfried Matlok, das an der Kopenhagener Universität auf Amager aufgezeichnet wurde. Foto: DK4

Im DK4-Interview mit Jes Fabricius Møller geht es um das Salz im Grenzland und über die Grenze – auch 100 Jahre danach.

Der königliche Historiograf Jes Fabricius Møller hat die deutsche Minderheit als „das Salz“ in Nordschleswig bezeichnet und hinzugefügt: „Es würde etwas fehlen, wenn es die deutsche Minderheit nicht geben würde. Sie ist heute ein Teil der dänischen Identität – auch angesichts der Beiträge, die die deutsche Minderheit leistet“, sagte er am Donnerstabend in der Fernsehreihe „Dansk-tysk med Matlok auf DK4“.

Als ein Beispiel für diese Beiträge nannte es der 1966 in Ekensund geborene Historiker „fantastisch mit einer deutschen Zeitung – ebenso wie mit Flensborg Avis“. „Wir brauchen nicht Friedens-Weltmeister zu sein, aber Salz ist aus meiner Sicht der richtige Begriff“, so Fabricius Møller.

Warnt vor Nachrationalisierung

Darauf angesprochen, dass Königin Margrethe kürzlich in einem Interview mit „Jyllands Posten“ erklärt habe, dass die deutsch-dänische Grenze von 1920 an der richtigen Stelle liege  und dass man deshalb Glück („heldigt“) gehabt habe, antwortete Jes Fabricius Møller: „Ich bin auch der Meinung, dass die Grenzziehung glücklich verlief. Wir haben eine Tendenz zur Nachrationalisierung, um so die Grenze als eine gerechte Grenze zu beschreiben, nur als Produkt eines demokratischen und friedlichen Prozesses. Dann kann es aus dänischer Sicht ja fast nicht gerechter werden, aber wir sollten nicht übersehen, dass die Grenze 1920 aus einem Konflikt heraus entstanden ist. Es handelte sich um einen internen dänischen Konflikt, um einen internen deutschen Konflikt und um einen europäischen Konflikt.

Auf eine Kurzformel gebracht: die Grenzziehung von 1920 war vergleichbar mit der Grenzziehung 1864, nämlich entstanden aus einer Kriegs-Niederlage. Der Unterschied besteht darin: 1864 verloren die Dänen den Krieg, und 1920 hatten die Deutschen den Krieg verloren und deshalb wurden sie zu einer Grenzrevision gezwungen. Vieles hätte dabei schiefgehen können. Man darf folgendes nicht übersehen. Der Erste Weltkrieg war praktisch noch nicht endgültig beendet, es gab Revolutionen in zahlreichen europäischen Ländern, die deutsche Revolution ganz in der unserer Nähe in Kiel, und es gab auch in Verbindung mit einem Arbeitskonflikt revolutionäre Tendenzen in Kopenhagen. Die Lösung von 1920 – in Wirklichkeit die Geburtsstunde des modernen Staates Dänemark – ist aus einem Chaos entstanden, an das wir uns nicht so gut erinnern wollen, weil wir ein Schöngemälde bevorzugen und die Geschichte so friedlicher machen wollen als sie tatsächlich gewesen ist, weil sie eben aus unserer Sicht so demokratisch und friedlich verlaufen ist.“

Was die beiden schleswigschen Volksabstimmungen anbetrifft, so sieht der Historiker angesichts ähnlicher Elemente  durchaus einen Vergleich mit der Volksabstimmung auf der Krim, die nach russischer Besetzung erfolgt ist, und sogar mit der britischen Brexit-Abstimmung, die zwar in gewisser Weise Klarheit gebracht  hat, in erster Linie aber auch einen Konflikt hinterlassen hat. „Gerade wir Dänen sollten uns daran erinnern, dass Volksabstimmungen viel Bitterkeit und auch Ressentiments ausgelöst haben.“

Fabricius Møller betont: Der Hintergrund für den friedlichen Zustand war Krieg, und die deutsch-dänische Grenzziehung war 1920 kein bilaterales Ergebnis. Es waren die Siegermächte, die in Versailles die Friedensbestimmungen verpflichtend festgelegt haben.

100 Jahre später fast wie eine Mauer

DK4-Frage: War die Volksabstimmung 1920 gerecht oder eher angemessen („rimelig“),  wie es der Historiker Hans Schultz Hansen betont.

Fabricius Møller: „Wenn man die Grenzziehungen als gerecht bezeichnen will, dann behauptet man ja gleichzeitig, dass es gerechte Lösungen gegeben hat, aber das ist nicht der Fall gewesen. Wir wissen ja, wie kompliziert das Grenzland zusammengesetzt ist. Ein Grenzland hat eine Grenze, und eine Grenze hat in gewisser Weise auch einen trennenden Charakter.“

Der königliche Historiograf verweist im Interview mit Siegfried Matlok darauf, dass die deutsch-dänische Grenze  100 Jahre später – fast gleichzeitig – wieder aktuell geworden ist. „Ja, die Grenze ist so dicht gemacht worden wie nie zuvor in meinem Leben“, so Fabricius Møller und setzt fort: „Jene Grenze, die nach Absicht vieler gar nicht mehr existieren sollte,  ist plötzlich wieder in unserem Bewusstsein – fast wie eine Mauer.  Ich habe 1989 bis 1990 selbst in Berlin studiert, und natürlich ist diese Mauer nicht vergleichbar mit der Berliner Mauer, aber noch vor wenigen Jahren hätte sich doch keiner von uns vorstellen können, dass die deutsch-dänische Grenze für den normalen Personenverkehr wieder so geschlossen werden könnte wie just in diesen Zeiten.“

Nach seiner Ansicht ist die deutsch-dänische Wende im Grenzland nicht allein durch die Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärungen 1955 zustanden gekommen. „Entscheidend war, dass die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland sich außenpolitisch zu den rechtsstaatlichen Werten bekannte und auch internationales Recht stets anerkannt hat, was kleineren Ländern wie Dänemark zugutegekommen ist. Dänemark ist ja auch heute in  hohem Maße von Deutschland abhängig.“

Auch ein bisschen Manipulation

Dass manche – vor allem in Kopenhagen –  die letzten 100 Jahre so darstellen als wäre sie nur das Ergebnis von Harmonie und Frieden, kommentiert Fabricius Møller wie folgt: „Die Illusion, Mythologie, die über die friedliche Grenze entwickelt worden ist, wirkt in gewisser Weise selbstverstärkend, denn wenn wir uns gegenseitig bestätigen, dass wir ein friedliches  Verhältnis miteinander pflegen, dann beinhaltet dies ja auch ein gutes Verhältnis. Und deshalb bin dann ich auch zu einer gewissen politischen Manipulation bereit, wenn es einem guten politischen Zwecke dient.“

Jes Fabricius Møller, der als Lektor an der Kopenhagener Universität tätig ist, wurde 2018 von der Königin mit dem Amt des königlichen Historiografen betraut, mit einem Posten, den es seit 1808 am Hofe gibt. Der königliche Historiograf berät u.a. die Königin in historischen Fragen.

Das gesamte Interview mit Jes Fabricius Møller, der sich auch eingehend zur dramatischen Rolle von König Christian X. während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges äußert, finden Sie unter

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