Flucht ausgenutzt?

Akribische Forschungsarbeit zur NS-Vergangenheit

Akribische Forschungsarbeit zur NS-Vergangenheit

Akribische Forschungsarbeit zur NS-Vergangenheit

Dirk Thöming
Flensburg
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Ziegen und Schafe: Dieses Bild wurde aus Paris zusammengerollt nach Flensburg transportiert. Der ominöse Ankauf wurde genauer untersucht. Foto: Lana Riedel

Der Museumsberg in Flensburg forscht in eigener Sache. Er untersuchte die Herkunft von Bilder-Ankäufen der Jahre 1933 bis 1945 – und geht der Frage nach: Wurde die Flucht jüdischer Kunstbesitzer ausgenutzt?

Vor drei Jahren gab es unter dem Namen „un-beteiligt“ bereits eine Ausstellung über die Geschichte des Flensburger Stadtmuseums in der NS-Zeit. Zurzeit wird eine zweite Ausstellung zur aktuellen Provenienzforschung gezeigt. „Wem gehört die Kunst“, ist der Titel.

Seit 2016 forscht der Museumsberg dazu in eigener Sache. Es geht darum, ob Bilder in den Jahren 1933 bis 1945 unrechtmäßig erworben wurden. Genauer gesagt, ob das Museum Nutzen aus der Verfolgung und Flucht von Kunstbesitzern jüdischer Herkunft zog.

Der Begriff „Raubkunst“ erhielt in Deutschland 2013 mit dem sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ neue Brisanz. Mehr als 1.500 Kunstwerke wurden bei dem zurückgezogen lebenden Kunsthändler Cornelius Gurlitt gefunden und beschlagnahmt. Da Gurlitt der Sohn des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt war, bestand der Verdacht, dass Bilder aus jüdischem Besitz stammen könnten. Seitdem wird die Herkunft der Bilder von Experten in akribischer Arbeit recherchiert, aber nur sechs der Werke konnten bisher eindeutig als Raubkunst identifiziert werden.

Am Museumsberg in Flensburg sieht die Arbeit ganz ähnlich aus. In den Jahren 1933 bis 1945 wurden ca. 4.000 Ankäufe – meist Konvolute –  getätigt, berichtet Provenienz-Forscherin Madeleine Städtler. Im Januar 2018 übernahm sie das bereits begonnene, über 24 Monate laufende Projekt Herkunfts-Forschung am Museumsberg.
„In einem ersten Schritt haben wir alle in der NS-Zeit erworbenen Werke gesichtet. 40 der Exponate standen im Verdacht, nicht rechtmäßig erworben zu sein. Einige Kunsthändler und Auktionshäuser stachen direkt ins Auge, weil sie bereits mit Raubkunst belastet sind. Bei diesen Ankäufen haben wir genauer nachgeforscht“, sagt sie.
Ziel war es, einen lückenlosen Lebenslauf eines Bildes zu rekonstruieren.

„Nur wenn das gelingt, kann es ein ,grünes Werk‘ sein. Wenn auch nur ein halbes Jahr in der Geschichte eines Kunstwerkes fehlt, erhält es den Status ,gelb‘, sagt die Forscherin.

Den Silberschmuck aus der Sammlung des jüdischen Kaufmanns Leopold Teppich hat der Museumsdirektor zum Materialpreis erworben. Foto: Privat

Manchmal war es ein kleiner, verborgener Schriftzug am inneren Rand auf der Rückseite des Rahmens, der, zusammen mit einer notierten Zahl, auf einen Zwischen-Verkauf hindeutete.

Eine Hilfe bei den Arbeiten sei, dass die Unterlagen zu den Ankäufen seit Gründung des Museums im Jahr 1906 komplett erhalten sind. Brände oder Entnahmen von Papieren habe es nicht gegeben. „Man kann sich lediglich vorstellen, dass der eine oder andere Briefwechsel, der um die Ankäufe herum getätigt wurde, verschwunden ist“, so Madeleine Städtler.

Kein „rotes“ Bild gefunden

Ob es eine gute oder schlechte Nachricht ist, mag sie nicht beurteilen. Der jetzt geleistete Durchgang von Bildern hat jedenfalls keine ,rot‘ gestempelten Exponate ergeben, also Exponate, die nach heutiger Lage nachweislich illegal erworben wurden.

„Ziel der ganzen Arbeit müsste eigentlich sein, die entwendeten Werke den rechtmäßigen Erben zuzuführen“, sagt die Provenienz-Forscherin.

Dies sei auch auf einer internationalen Konferenz in Washington so vereinbart worden.
„Natürlich wäre es schade für ein Museum, wenn ein Werk abgegeben werden muss, aber es geht um faire und gerechte Lösungen. So steht es auch in den Washingtoner Prinzipien, die übrigens vorgeben, in den Museen aktiv zu suchen“, sagt sie.

Ein Glaspokal wurde abgetreten

2013 erhielt das Flensburger Museum einen Brief mit dem Hinweis, dass sich ein Glaspokal aus der Sammlung des jüdischen Unternehmers Adolph List aus Magdeburg im Museum befinde. Adolph List verstarb 1938, und der Glaspokal kam 1939 ins Flensburger Museum.

„Mindestens zehn Museen in Deutschland kauften aus der Versteigerung seiner Sammlung. Sie wurden alle angeschrieben“, berichtet Madeleine Städtler. Es sei bis heute nicht abschließend geklärt worden, ob es sich um Raubkunst handele, denn die Witwe ließ sich nach dem Tod des Ehemannes „arisieren“. „Ob sie aus unfreien Stücken verkauft hat, ist nicht geklärt“, so die Provenienzforscherin. Der Pokal wurde für 750 Reichsmark angekauft und ging nach der Rückgabe an die Erben Lists direkt in eine Auktion, wo er für 11.250 Pfund (97.500 Kronen) zu gunsten der Erben verkauft wurde.

 

Madeleine Städtler untersuchte in akribischer Kleinarbeit die Zwischenstationen der Bilder, die das Museum in der NS-Zeit angekauft hat. Foto: Lana Riedel

Museumsleiter Fuglsang im Zentrum

Bei den Erwerbungen des Flensburger Museumsberges stehen die Person des damaligen Museumsdirektors, Fritz Fuglsang, und seine Kontakte in der Kunstszene natürlich im Zentrum. Fuglsang stammte aus einer deutschgesinnten Familie in Hadersleben. Er war einer der Söhne des Brauers Christian Fuglsang und seiner Frau Maria.

Fuglsang orientierte sich nach dem Abitur in Hadersleben nach Deutschland und studierte nach dem Ersten Weltkrieg in Freiburg im Breisgau sowie in München Kunstgeschichte. 

Nach einer Assistenz-Tätigkeit am Museum in Kiel übernahm er 1927 die Leitung des Flensburger Museums, damals ein Kunstgewebemuseum, das er zu einem Museum für Kunst- und Kulturgeschichte umgestaltete.
Fuglsang bewahrte bewusst, so wie es 1920 von den Deutschgesinnten in Nordschleswig ausgegeben wurde, seine dänische Staatsangehörigkeit und verschrieb sich der regionalen Kunst.

„Fuglsang zeigte in der NS-Zeit regimetreue deutsche Kunst. Er hat es vollkommen mitgemacht. Sonst wäre er niemals auf dem Posten geblieben“, sagt Madeleine Städtler.

Ausstellungen mit Werken bekannter Expressionisten, wie mit Erich Heckels, der sogar mehrere Jahrzehnte in Flensburg lebte, und der Gruppe der „Brücke“, wurden ab 1933 abgesetzt. „Das Museum stellte als erstes die Brücke-Künstler aus. Dann nicht mehr.“

Ein zweifelhafter Silberschatz

Der Museumsleiter sei auch nicht gerade „zimperlich“ mit dem Ankauf einer Sammlung von Silberschmuck aus jüdischem Besitz umgegangen. Der jüdische Flensburger Kaufmann Leopold Teppich hinterließ bei seinem Tod 1932 etwa 700 Schmuck-Objekte aus Silber, die noch 1932 auf 12.000 Reichsmark geschätzt wurden. Fritz Fuglsang kaufte die Sammlung 1940 dann für 520 Reichsmark.

„Es wurde zum reinen Materialpreis eingekauft“, sagt Madeleine Städtler. 1953 – da war Fritz Fuglsang immer noch Museumsdirektor – zahlte die Stadt Flensburg auf Betreiben des Wiedergutmachungs-Amtes der Hansestadt Hamburg an die Erben des jüdischen Flensburger Kaufmannes eine Wiedergutmachung von 6317 D-Mark.
Der Silberschmuck und die Erklärung des Werdeganges ist in der Ausstellung „Wem gehört die Kunst“ zu sehen. Der Wert sei heute etwa – 12.000 Reichsmark umgerechnet in Euro – 50.000 Euro.

„Man hat von der Arisierung profitiert. Es wurde ein Bericht an die Presse gegeben. Daraus ging hervor: Ich habe jetzt meinen Silberschatz aus ehemals jüdischem Besitz erhalten“, sagt die Provenienz-Forscherin. Fuglsang habe die Dinge damals auf seine eigene Weise interpretiert. „Er hat sich als Retter der Silbersammlung gesehen. In einem Brief schreibt er, er habe sie vor Zerstreuung gerettet.“

Den Silberschmuck aus der Sammlung des jüdischen Kaufmanns Leopold Teppich hat der Museumsdirektor zum Materialpreis erworben. Foto: Lana Riedel

„Massiv“ ab Ende der 1930er Jahre seien Versteigerungen jüdischen Eigentums an der Tagesordnung gewesen.
„Ständig stand damals ,freiwillige Versteigerung’ unter den Kleinanzeigen in Flensburg. Dies bedeutete: Die Juden haben das Haus verlassen, wir versteigern alles“, sagt Madeleine Städtler zu dem billig erworbenen Kunstschatz.
„Es gab in den Jahren einen extremen Kunstmarkt mit extrem vielen Besitzerwechseln“, sagt sie.

Fuglsang blieb – bis 1961

Fritz Fuglsang blieb noch bis 1961 Leiter des Museums. Die Arbeit im Museum ging „in den gleichen Bahnen weiter“. Bei der notwendigen Entschädigungszahlung 1953 beispielsweise war ein Freund Fuglsangs in Hamburg der Schätzer des Wertes der Silbersammlung, berichtet die Museums-Mitarbeiterin. Sprich: Der Wert wurde gezielt niedrig geschätzt.

Seine Nachfolgerin Ellen Redlefsen leitete das Museum bis 1974, und auch sie habe, was Ankäufe angeht, nicht unbedingt „weiße Handschuhe“ gehabt. Ellen Redlefsen war vor ihrem Dienstantritt in Flensburg in Prag als Kunsthändlerin tätig. Dies sei aber nicht weiter erforscht.

Hans Busch-Alsen, Porträt Fritz Fuglsang, 1948, Öl auf Leinwand. Foto: Sönke Ehlert

Nur der erste Schritt

„Es geht um etwa 6.000 Neuzugänge in der Zeit“, sagt Madeleine Städtler.
Zum jetzt auslaufenden Projekt wird noch ein Bericht angefertigt werden, und die Ergebnisse zu allen „gelben“ Bildern werden in die internationale Datenbank „Lost Art“ eingegeben.

„Andere Forscher sollen darauf bei ihren Recherchen zurückgreifen können. Es geht darum, die Erwerbungen in der Zeit von 1932 bis 1945 lückenlos zu erschließen. Nur ,grün´ gekennzeichnete Werke werden noch von Museen gekauft“, sagt Madeleine Städtler.

Dabei ist das Projekt, die Herkunft von zwischen 1933 und 1945 angekauften Werken zu untersuchen, nur der erste Schritt gewesen. In einem weiteren zweijährigen, finanziell geförderten Projekt sollen im Anschluss Erwerbungen der Jahre 1945 bis 1974, als Ellen Redlefsen ausschied, auf ihre Vorgeschichte untersucht werden.

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