Kulturerbe

Drama im Ratssaal: „Angriff auf die Geschichte“

Drama im Ratssaal: „Angriff auf die Geschichte“

Drama im Ratssaal: „Angriff auf die Geschichte“

Hadersleben/Haderslev
Zuletzt aktualisiert um:
Der Ausschussvorsitzende Carsten Leth Schmidt und sein Stellvertreter Kim Kabelka. Letzterer machte eine überraschende Kehrtwende in einer Prinzipentscheidung mit Blick auf das Kulturerbe (Archivbild). Foto: Ute Levisen

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die Pläne eines Häuslebauer-Paares am Keldetvej 9 sorgten für politischen Sprengstoff auf der Sitzung des Kommunalparlaments. Dort stimmte eine Mehrheit, die unter anderem sechs Genossinnen und Genossen zählt, für einen umstrittenen Antrag. Dieses Votum nannte der Sozialdemokrat Jens Chr. Gjesing einen „Angriff auf die eigene Geschichte“.

An der Platzierung eines Hauses am Keldetvej 9 schieden sich auf der jüngsten Sitzung des Kommunalparlaments die Geister – und zwar quer durch die Parteien.

Laut Carsten Leth Schmidt (Schleswigsche Partei), Vorsitzender des Ausschusses für Technik und Klima, handelt es sich für die Kulturerbe-Kommune Hadersleben um eine prinzipielle Angelegenheit.

Zur Vorgeschichte: Sein Ausschuss hatte im Februar – mit Ausnahme von Børge Koch (Radikale Venstre) und Helene Hellesøe Appel (Einheitsliste) – eine Abrissgenehmigung für die alte Häuslerstelle erteilt, die den Bewahrungsstatus SAVE 3 hat. An ihrer statt möchten die Eigentümer einen Neubau von 330 Quadratmetern errichten – allerdings 50 Meter entfernt vom jetzigen Standort an der Straße. Die Verwaltung unterbreitete einen Kompromissvorschlag: ein Ja zum Bauantrag – nein zur Verschiebung.

Ein Kompromiss

„Das war ein vernünftiger Kompromiss“, findet Leth. Bent Kloster (Venstre) und Benny Bonde (Neue Bürgerliche) waren anderer Auffassung und brachten den Antrag vor den Kommunalvorstand. Sie setzen sich dafür ein, dass die Bauherren den Neubau 50 Meter verschieben können und begründen dies damit, dass die Kulturlandschaft der Häusersiedlung am Keldetvej zum einen nichts Besonderes – zum anderen keine Seltenheit sei: „Davon gibt es etliche“, erklärte Benny Bonde in der Ratssitzung.

Benny Bonde (rechts, Neue Bürgerliche) brachte den Antrag gemeinsam mit Bent Kloster (Venstre) vor das Kommunalparlament und sorgte somit dafür, den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Kabelka nach dessen Bekunden klüger zu machen und Fehler zu korrigieren. Foto: Ute Levisen

„Danke, Benny!“

Dort spielte sich am Dienstagabend vor laufender Kamera des „Kommune TV“ ein kleines Drama ab: Leths Vize im Ausschuss, der Sozialdemokrat Kim Kabelka, vollführte eine Kehrtwende und stimmte für eine Verschiebung des Neubaus. Zuvor bedankte er sich bei Benny Bonde dafür, durch diesen erhellt worden zu sein: „Danke, Benny! Es wird wohl nicht gerade der Keldetvej sein, der zum Wachstumskatalysator in der Kommune wird.“

Kabelka war nicht der einzige Genosse, der seinen Standpunkt radikal änderte – trotz mahnender Worte aus eigenen Reihen.

Mahnende Worte verhallten

Der Sozialdemokrat Jens Chr. Gjesing hielt ein leidenschaftliches Plädoyer zur Bewahrung des Kulturerbes in der Kommune. Gilt doch der Straßenzug am Keldetvej laut einem Screening der Aarhuser Architektenschule als schützenswertes Kulturmilieu: „Es ist ein Angriff auf unsere Geschichte! Wir sollten Respekt vor unserem kulturellen Erbe haben, ansonsten zerstören wir das Fundament für Wachstum und Kultur.“

Das Haus am Keldetvej 9 ist eines von 26 Häuslerstellen, die in einer schützenswerten Kulturlandschaft liegen. Foto: Kommune Hadersleben

Ausschuss-Vize Kabelka zeigte sich davon unbeeindruckt – und mit ihm weitere fünf Sozialdemokraten, unter ihnen der Gruppenvorsitzende Henrik Rønnow sowie die gesamte Venstre-Fraktion, Neue Bürgerliche und Dänische Volkspartei plus Martin K. Christiansen von der Konservativen Volkspartei.

Vorsitzender warnt vor fataler Entscheidung zulasten des Kulturerbes

Leth Schmidt macht keinen Hehl aus seiner Frustration über die überraschende sozialdemokratische Kehrtwende im eigenen Ausschuss, wenn es ums Kulturerbe geht – und damit ums Prinzip: „Ich hoffe nicht, dass diese Sache zum Präzedenzfall wird!“

Er bezeichnete die Argumente der Befürworter als großes Missverständnis: „Hier geht es nicht darum, dass man auf dem Lande nicht neu bauen darf. Wir sind mehrheitlich für eine Baugenehmigung. Hier geht es darum, dass man in einem Gebiet, das als kulturgeschichtlich wertvoll eingestuft worden ist, nicht einfach die Häuser nach Belieben hin- und herschieben kann.“

Archivleiter und Historiker Bent Vedsted Rønne bedauert die Entscheidung seiner Parteikameraden (Archivbild). Foto: Ute Levisen

Keldetvej als Präzedenzfall

Auch in sozialen Netzwerken sorgt die Kehrtwende der Sozialdemokratie für Verwunderung und Entsetzen. Der frühere sozialdemokratische Stadtratspolitiker, Historiker Bent Vedsted Rønne, schlägt dort eine Bresche für das Häuslermilieu am Keldetvej 9, eine Häuslersiedlung, die seit 2021 als schützenswerte Landschaft ausgewiesen ist und 26 Häuser umfasst.

Seine Ansage an die eigenen Leute ist deutlich: „Wir als Sozialdemokraten sollten unser kulturelles Erbe bewahren – zum Wohle der Entwicklung in Stadt und Land. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass willkürliche Parzellierungswünsche die Tagesordnung bestimmen. Mit ihrem Votum hat die Mehrheit der sozialdemokratischen Gruppe dazu beigetragen, dass der Keldetvej 9 zum Präzedenzfall für künftige Bauvorhaben am Keldetvej geworden ist.“

Mehr lesen