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„Hunger als Waffe: UN-Vertreter warnt vor Genozid in Arzach/Berg-Karabach“

Hunger als Waffe: UN-Vertreter warnt vor Genozid in Arzach/Berg-Karabach

Hunger als Waffe: UN-Vertreter warnt vor Genozid in Arzach

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Berlin
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Nicht nur Russland, sondern auch Aserbaidschan setzt Lebensmittel im Konflikt ein. Jan Diedrichsen ordnet in seiner Kolumne das Vorgehen als Völkermordverbrechen ein. 

Stalin und die Sowjetdiktatur haben es mit dem Holdemor in der Ukraine und dem Acharchylyk in Kasachstan vorgemacht. Der Hunger wurde gnadenlos als Waffe eingesetzt. Millionen Menschen starben elendig. Heute sind diese Verbrechen von den meisten Staaten als das eingeordnet, was sie sind: Völkermordverbrechen.

Aktuell setzt Russland den Hunger als Waffe ein. Der Kriegsaggressor blockiert die Getreidelieferungen der Ukraine über das Schwarze Meer und droht, jedes Handelsschiff, das sich der Blockade widersetzt, als Kriegsschiff zu behandeln. Hungersnöte in Afrika sind kalkulierte Folgen dieser Kriegsherrenwillkür.

Aserbaidschan bedient sich dieser perfiden Waffe ebenfalls. Der ehemalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, warnt in einem aktuellen Bericht, dass Aserbaidschan einen Völkermord an ethnischen Armeniern in der Region Berg-Karabach (auf Armenisch: Arzach) vorbereitet und forderte den UN-Sicherheitsrat auf, die Angelegenheit vor den internationalen Strafgerichtshof zu bringen.

In dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht heißt es, Aserbaidschans Blockade der einzigen Straße, die von Armenien nach Berg-Karabach führt, behindere die Versorgung der Region mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern für rund 120.000 Menschen.

„Es gibt eine vernünftige Grundlage für die Annahme, dass ein Völkermord begangen wird", heißt es in Ocampos Bericht, der darauf hinweist, dass die UN-Konvention Völkermord als „absichtliche Zufügung von Lebensbedingungen, die auf die physische Zerstörung der Gruppe abzielen“, definiert.

„Es gibt keine Krematorien, und es gibt keine Machetenangriffe. Der Hunger ist die unsichtbare Waffe des Völkermordes", heißt es in dem Bericht.

In einem sechswöchigen Krieg mit Armenien im Jahr 2020 erlangte Aserbaidschan die Kontrolle über das umliegende Gebiet von Berg-Karabach. Ein von Russland vermittelter Waffenstillstand, der den Krieg beendete, ließ die Hauptstadt der Region Stepanakert nur durch eine Straße mit Armenien verbunden, die als Lachin-Korridor bekannt ist und auf der russische Truppen den freien Verkehr sicherstellen sollten.

Im Dezember vergangenen Jahres blockierten Demonstrierende, die sich als Umweltaktivisten ausgaben, den Korridor von Lachin. Später errichtete Aserbaidschan einen militärischen Kontrollpunkt auf der Straße und blockierte den Verkehr, der angeblich Waffen und andere Schmuggelware transportierte.

In Kornidzor, in der Nähe der aserbaidschanischen Grenze, stehen seit zwei Wochen 19 Lastwagen mit rund 360 Tonnen Medikamenten und Lebensmitteln auf der Straße und warten auf eine Überquerungserlaubnis.

„Akzeptieren Sie die politische Kontrolle Aserbaidschans oder verlassen Sie Berg-Karabach.“ Das ist im Wesentlichen das, was der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew der armenischen Bevölkerung Arzach zuruft. Führende Vertreter der armenischen Bevölkerungsmehrheit in der Region argumentieren jedoch, dass Alijews Taktik einem Völkermord gleichkomme – und viele Einwohner sind bereit, lieber zu verhungern, als sich zu fügen. Alijew äußerte sich in einem Interview mit Nachdruck: „Die Menschen, die in Karabach leben ... leben in Aserbaidschan. Sie sollten wählen, ob sie als Bürger als [eine] ethnische Minderheit leben wollen ... oder ob sie gehen wollen. Das ist also ihre Entscheidung.“ Wie es Minderheiten in der Diktatur Aserbaidschans ergeht, ist bekannt. Die Armenier machen sich keine Illusionen, welches Leben sie unter der Knute Bakus erwarten würde.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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