Geschichte

US-Wissenschaftler erforscht deutsch-dänische Grenzpolitik

US-Wissenschaftler erforscht deutsch-dänische Grenzpolitik

US-Wissenschaftler erforscht deutsch-dänische Grenzpolitik

Apenrade/Aabenraa
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Ryan J. Gesme hat zeitweise in der Redaktion des „Nordschleswigers" gearbeitet, um dort alte Zeitungen für seine Forschung zur deutsch-dänischen Grenzziehung 1920 auszuwerten. Foto: Volker Heesch

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Der 28-jährige Ryan J. Gesme aus Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin schreibt seine Doktorarbeit über amerikanische Aspekte der Grenzziehung 1920. In Apenrade und Sonderburg hat er viele Dokumente gesichtet und ausgewertet.

In den vergangenen Monaten hat der US-amerikanische Historiker Ryan J. Gesme während eines Aufenthaltes in Apenrade Dokumente vor allem aus der Zeit um die Volksabstimmungen und Neufestlegung der deutsch-dänischen Grenze im Jahre 1920 gesichtet und ausgewertet.

In der Schule in den USA Deutschunterricht

„Ich konnte hier in Apenrade in der Praktikantenwohnung des Bundes Deutscher Nordschleswiger wohnen“, berichtet der 28-Jährige, der in Milwaukee im US-Bundesstaat geboren wurde und dort eine Highschool mit Deutsch als Unterrichtsfach besucht hat. Nach dem Schulabschluss folgte an der University of Wisconsin-Madison ein Studium der Geschichte und Skandinavistik in seinem Heimatort, wo er neben der deutschen Sprache auch Dänisch lernen konnte. „Ich bin während der Schulzeit 2010 erstmals für zehn Tage nach Deutschland gereist. Es ging unter anderem nach München, aber am meisten hat mich ein kurzer Aufenthalt in Lübeck beeindruckt“, berichtet Ryan Gesme bei einem Gespräch in der Redaktion des „Nordschleswigers“, wo er dort verwahrte alte Zeitungsbände ausgewertet hat.

Ryan Gesme hat Einblick in Originaldokumente wie Artikel aus der „Neuen Tondernschen Zeitung“ genommen. Am 11. Februar 1920 veröffentlichte sie das Abstimmungsergebnis der 1. Abstimmungszone mit rund 75 Prozent Stimmenanteil für Dänemark und 25 Prozent für einen Verbleib des Gebietes bei Deutschland. Foto: Der Nordschleswiger

 

„Nachdem ich erstmals auf Schleswig-Holstein aufmerksam geworden bin und 2014 ein Semester an der Universität Aarhus studieren konnte, wurde mein Interesse für das deutsch-dänische Verhältnis und die Grenzregion geweckt“, berichtet der junge Wissenschaftler, der aber anschließend 2018 noch seinen Masterabschluss an der University of Tennessee-Knoxville gemacht hat, bevor er sich erneut der deutsch-dänischen Grenzpolitik widmen konnte.

Europäische Geschichte

„Ich habe in Knoxville neuere europäische Geschichte mit dem Schwerpunkt Deutschland studiert“, berichtet er und fügt hinzu, dass dort Themen wie die europäischen Kriege im 20. Jahrhundert, die Verfolgung der Juden in Deutschland und der Holocaust dominierten. „Der Erste Weltkrieg spielte aus Sicht der USA eine weniger große Rolle. Mich hat aber besonders die Zeit nach 1918 fasziniert, die Rolle des US-Präsidenten Woodrow Wilson und der Friedensvertrag von Versailles“, so Gesme, der auch an die großen Bilder zum Stichwort „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ erinnert, das mit Wilsons Friedenskonzept verknüpft wird und auch im deutsch-dänischen Grenzgebiet auf die Tagesordnung kam.

 

Ryan Gesme hat sich in Nordschleswig sehr wohlgefühlt, wo er in der Praktikantenwohnung der deutschen Minderheit Unterkunft fand. Foto: Volker Heesch

 

„Die Menschen sollten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen“, so der Historiker, der darauf verweist, dass es nach 1918 keineswegs friedlich weiterging, denn die Konfliktparteien verstanden die von Wilson formulierten 14 Punkte für eine Friedensordnung sehr unterschiedlich. „Ich bin auf der Suche nach Wilsons Handschrift und Einfluss in der deutsch-dänischen Grenzziehungsgeschichte“, berichtet der US-Amerikaner, der im Zuge seiner Dissertationsarbeit 1919/1920 zunächst mithilfe eines Fulbright-Stipendiums zunächst die deutsche Sichtweise auf die deutsch-dänische Grenzgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel mit Professor Oliver Auge als „Doktorvater“ kennenlernte.

„Anschließend konnte ich meine Forschungsarbeit an der Süddänischen Universität (SDU) fortsetzen“, fährt Gesme fort und erzählt, dass ein in englischer Sprache verfasstes Buch des dort tätigen österreichischen Historikers Peter Thaler über Volksabstimmungen und Grenzziehungen in Europa ihm wertvolle Hinweise für das eigene Projekt gegeben habe. „Die deutsch-dänische Grenzfrage hat nur eine kleine Rolle angesichts der vielen neuen Grenzen und Staaten gespielt, die in Versailles auf der Tagesordnung standen“, erläutert der Historiker, den neben Zeitungsartikeln besonders die Plakate aus der Abstimmungszeit in Schleswig beeindrucken.

 

Ryan Gesme hat auch Schriften wie das „Kreisblatt Apenrade" studiert, dabei musste er Texte mit gotischen Buchstaben entziffern. Foto: Volker Heesch

 

Im Zuge seiner Forschungstätigkeit hat Ryan Gesme auch die transatlantische Wirkung des deutsch-dänischen Grenzkonfliktes und der Volksabstimmungen 1920 ins Auge gefasst. „Es zeigt sich, dass sich die Argumentation des dänischen Lagers in der dänischen ‘Community‘ in den USA spiegelte. Ebenso vertraten deutsche Auswanderer in den USA, die aus Schleswig-Holstein stammten, die deutschen Positionen im Abstimmungskampf 1920“, unterstreicht er.

Transatlantische Netzwerke

Es gab damals auch ein transatlantisches Netzwerk, allerdings sind seines Wissens nicht viele Schleswiger 1920 aus den USA in ihre alte Heimat gereist, um an den Volksabstimmungen teilnehmen zu können. „Dänisch gesinnte Nordschleswiger haben eher Hilfssendungen über den Atlantik geschickt“, berichtet er und verweist auf die Stiftung „Sønderjysk Fond“, die Essen und Kleidung für dänische Nordschleswiger finanzierte. „Man kann auch nachlesen, dass es unter den dänischen US-Bürgern Fraktionen gab, die H. P. Hanssens Linie bei der Festlegung der Abstimmungszonen unterstützten, die letztlich die Grenze stabilisiert hat. Aber es gab auch Leute, die eine dänische Südgrenze beim Danewerk oder die Einverleibung Flensburgs nach Dänemark unterstützten“, erläutert Gesme. Bei den schleswig-holsteinischen US-Bürgern gab es noch eine Identität, die auf liberale Auswanderer zurückzuführen ist, die nach dem Scheitern der Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins 1850/1851 nach Amerika emigriert waren.

Schleswig-Holsteiner in den USA

So gab es auch in den USA nach dem Ersten Weltkrieg Vorstellungen von einem Schleswig-Holstein als Brücke zwischen Deutschland und Dänemark. Die dänischen Auswanderer waren in den USA sehr von der Einverleibung Schleswigs und Holsteins durch Preußen nach 1864 geprägt. „Der erste dänische Verein in den USA wurde von Veteranen des Zweiten Schleswigschen Krieges geprägt.

„Ich bin sehr gerne hier in Nordschleswig. Es war auch sehr angenehm an der Universität in Kiel und der SDU in Odense“, so Ryan Gesme, der Ende Juni in die USA zurückkehrt, wo er bis Mai 2022 seine Dissertation vollenden will. Sie erscheint in englischer Sprache.

Mit Unterstützung der Hochschullehrer in Kiel und Odense werden auch Publikationen auf Deutsch und Dänisch im Rahmen seiner Forschung verfasst. Auch werde er Forschungsergebnisse im Europäischen Center für Minderheitenfragen (ECMI) und in der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg präsentieren. Sehr froh ist er, dass Doktorand Jon Thulstrup für ihn Kontakte nach Nordschleswig knüpfen konnte. „Ich bin vor allem auch Nina Jebsen, Frank Lubowitz und Hauke Grella im Deutschen Museum in Sonderburg dankbar für deren Hilfe bei der Suche nach Dokumenten“, betont er. Er hoffe, bald wieder nach Nordschleswig kommen zu können.

 

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