Leitartikel

„Schuldeingeständnis als Voraussetzung für ein tolerantes Miteinander“

Schuldeingeständnis als Voraussetzung für ein tolerantes Miteinander

Schuldeingeständnis als Voraussetzung für das Miteinander

Fröslee/Frøslev
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Während der Schulzeit des Verfassers an deutschen Schulen in Nordschleswig wurde die Rechtsabrechnung mit Mitgliedern der deutschen Minderheit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht thematisiert. Darüber und wie die Minderheit mit ihrer Geschichte umgeht, schreibt Journalist Lorcan Mensing.

Mehr als 100 Jahre sind vergangen, seitdem Dänen und Deutsche darüber abstimmten, wo die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland verlaufen soll. Aufgrund der heute vorbildlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden Minderheiten und Mehrheiten im deutsch-dänischen Grenzland zurecht als Musterbeispiel und Vorreiter eines toleranten Zusammenlebens nationaler Minderheits- und Mehrheitsbevölkerungen betrachtet.

Als Zweijähriger bin ich mit meinen Eltern nach Nordschleswig gezogen, wo ich bis 2014 die deutschen Minderheitenschulen besuchte. Auch ich kann nur Positives von meinem Aufwachsen in der Minderheit und dem deutsch-dänischen Zusammenleben in der Grenzregion berichten. Dass das Zusammenleben nicht immer von Toleranz geprägt war, ist für mich heute kaum vorstellbar.

Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit

Während meiner Schulzeit stand der Zweite Weltkrieg und Deutschlands NS-Vergangenheit natürlich auch im Geschichtsunterricht der deutschen Minderheitenschulen auf dem Lehrplan, doch die Rechtsabrechnung und Inhaftierung von Mitgliedern der deutschen Minderheit im Faarhus-Lager sowie die späte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit innerhalb der deutschen Minderheit wurden im Schulunterricht nicht thematisiert.

Ich halte es für wichtig, auch diesen Teil der deutsch-dänischen Geschichte ins Bewusstsein zu rufen. Die Versöhnungsbereitschaft von Deutschen und Dänen hat zu dem heutigen guten Verhältnis der beiden Nationen zu ihren jeweiligen Minderheiten geführt.

Gerade weil sich viele andere nationale Minderheiten mit dem Problem konfrontiert sehen, ihre Rechte zu behaupten oder überhaupt als Minderheit anerkannt zu werden, ist das heutige tolerante und kulturell befruchtende Zusammenleben der Minderheiten mit der Mehrheitsbevölkerung in der deutsch-dänischen Grenzregion umso beachtlicher.

Das friedliche Miteinander ist hierbei gerade vor dem Hintergrund der Rechtsabrechnung mit Angehörigen der deutschen Volksgruppe nach 1945 zu würdigen, die zu einer konfliktreichen Nachkriegszeit führte und teilweise noch heute unterschiedlich bewertet wird.

Opferrolle und Unverständnis

Etwa 3.500 Mitglieder der deutschen Minderheit wurden nach dem Kriegsende aufgrund verschiedener Tatbestände hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht verhaftet und gemeinsam mit dänischen Kollaborateuren im Faarhus-Lager interniert.

Unter den Verurteilten waren etwa 1.120 aus dem Freiwilligenkorps, 130 aus dem Selbstschutzkorps, 900 waren ein Teil der Waffen-SS oder Wehrmacht und fast 50 Personen der Minderheit sollen in Konzentrationslagern gedient haben. Die Internierung und der Umgang mit den deutschen Inhaftierten im Lager zwischen 1945 und 1949 ist noch heute eine umstrittene, emotionale und brisante Thematik.

Rückwirkende Strafgesetze

Viele der im Faarhus-Lager internierten Nordschleswiger hatten lange Zeit kein Verständnis für ihre Kriminalisierung, zumal die Rechtsabrechnung aufgrund rückwirkender Strafgesetze eine rechtliche Problematik aufwarf.

Unter normalen Umständen dürfen Strafgesetze in einem Rechtsstaat nicht mit rückwirkender Kraft erlassen werden. Doch die dänische Gesetzgebung war in den ersten Besatzungsjahren nicht frei, wodurch die Lage außergewöhnlich war und eine Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen durch den dänischen Rechtsstaat nur rückwirkend durchgeführt werden konnte.

Bei der Rechtsabrechnung wurde die besondere Situation der deutschen Volksgruppe und die Verbindung mit dem deutschen Volk zudem als mildernder Umstand bewertet. Viele der ersten Urteile wurden später durch vorzeitige Haftentlassungen und Begnadigungen ersetzt.

Inhumane Lager-Verhältnisse in den Anfangsmonaten

Die Behandlung der Internierten im Faarhus-Lager in den ersten Monaten wurde hingegen auch von dänischen Historikern als harsch beschrieben. Nach fünf Jahren der deutschen Besatzung Dänemarks hing dies möglicherweise auch mit Rachewünschen dänischer Wachen zusammen, die zuvor zum Teil selbst ehemalige Frøslev-Gefangene und Widerstandskämpfer waren.

Das Faarhus-Lager wurde somit zu einem Symbol der als ungerecht empfundenen Rechtsabrechnung und nahm Angehörigen der Minderheit dadurch über viele Jahrzehnte die kritische Sicht auf die eigene nationalsozialistische Geschichte.

Ein nicht zu unterschätzender Teil der damaligen deutschen Volksgruppe in Nordschleswig muss aber als ein integrierter Teil des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen betrachtet werden. Und nach vielen Jahren der Verdrängung und Opferhaltung musste und wollte sich auch die deutsche Volksgruppe hierzu bekennen.

Späte Anerkennung der Schuld

Auch nach den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen von 1955 gab es vonseiten des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) öffentlich noch keine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Und noch bis zum Jahr 1964 forderte die schleswigsche Partei in ihrem politischen Programm zur Folketingswahl eine Revision der durch die Rechtsabrechnung verhängten Urteile, die noch immer als Unrecht aufgefasst wurden.

Das Schweigen bezüglich der eigenen Verantwortung hinsichtlich der nationalsozialistischen Verbrechen wurde in der Minderheit erst in den 1980’er Jahren langsam gebrochen, als die hohen politischen Posten nun hauptsächlich von Personen aus der Nachkriegsgeneration übernommen wurden.

Im Jahr 1982 veröffentlichte der BDN-Generalsekretär Rudolf Stehr den viel beachteten Aufsatz „Neubeginn und kritische Rückschau“, in dem er die Rechtsabrechnung als eine Folge der eigenen Schuld für das nationalsozialistische Handeln darstellte und konkludierte: „Schwerer als jede strafrechtliche Reaktion durch den Staat wiegt für uns alle, die wir davon betroffen werden, die menschlich-politische Verantwortung für die Vergangenheit“.

Solche Aussagen hatten beim BDN zuvor einen absoluten Seltenheitswert. In einer späteren BDN-Publikation von 1990 wurde anerkannt, dass „sich die überwiegende Mehrheit der deutschen Volksgruppe auch während des Krieges mit dem Vorgehen und den Zielen des Hitlerregimes identifizierte“.

Bei einer Rede zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges sprach der neue BDN-Hauptvorsitzende Hans Heinrich Hansen außerdem von einer „historischen Mitverantwortung der damaligen Führung der deutschen Volksgruppe, die sich weitgehend unreflektiert dem Nationalsozialismus in Deutschland angepasst habe“.

Rechtsabrechnung als stabilisierender Faktor 

Im Vergleich zum Schicksal anderer deutscher Volksgruppen, die sich nach der Kapitulation Deutschlands mit Umsiedlungen, Flucht oder brutalen Racheakten konfrontiert sahen, war der Verlauf der Rechtsabrechnung in Dänemark schlussfolgernd weniger dramatisch.

Die Angehörigen der deutschen Minderheit in Nordschleswig wurden nicht als Kollektiv bestraft, sondern durch rechtstaatliche Prinzipien. Hass und Rachegelüste, die sich unter der Besatzung Dänemarks bei der dänischen Mehrheitsbevölkerung aufgestaut hatten, konnten außerdem vermutlich durch die Rechtsabrechnung abgeschwächt werden, was womöglich eine schnellere Versöhnung ermöglichte.

Obwohl die Rechtsabrechnung sowohl in der deutschen Minderheit als auch in der dänischen Mehrheitsbevölkerung noch immer starke Emotionen hervorruft, kann sie daher ebenfalls als ein entscheidender und stabilisierender Faktor für das heutige vorbildliche Zusammenleben in der Grenzregion betrachtet werden.

Die Aufbereitung der Inhalte zu diesem Thema sind auch für die nachfolgenden Generationen der Minderheit von großer Wichtigkeit. Einerseits um zu zeigen, dass das Schweigen tatsächlich der Vergangenheit angehört, andererseits um Lehren aus der Vergangenheit ziehen zu können und diese auf die aktuelle Wirklichkeit anzuwenden.

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