Verkehrswende

Grenzüberschreitende Radschnellwege sind Zukunftsmusik

Grenzüberschreitende Radschnellwege sind Zukunftsmusik

Grenzüberschreitende Radschnellwege sind Zukunftsmusik

Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
Ein Radschnellweg
Ein Radschnellweg im Umland von Aarhus. Foto: Gerrit Hencke

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Schleswig-Holstein verlangt mehr Tempo beim Ausbau der Radinfrastruktur. Auch Radschnellwege sollen dabei eine Rolle spielen. Der SSW möchte den Fokus dabei nicht nur auf die Metropolregion legen, sondern auch auf das Grenzland. Ein entsprechender Antrag des Südschleswigschen Wählerverbands und auch ein Alternativantrag werden nun weiter beraten.

Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) fordert einen sofortigen Einstieg in ein leistungsfähiges Radschnellnetz, das auch grenzübergreifend sein soll. Über einen entsprechenden Antrag der Fraktion wurde im Kieler Landtag in der vergangenen Woche diskutiert. Der SSW fordert die Landesregierung darin auf, ein Konzept für ein landesweites Netz für Radschnellverbindungen zu erstellen und umzusetzen. Sowohl der SSW-Antrag als auch ein Alternativantrag von CDU und den Grünen wurde an den zuständigen Ausschuss für Wirtschaft und Digitalisierung überwiesen.

Grüne und CDU fordern in ihrem Alternativantrag keine separate Strategie, sondern die Integration der Radschnellwegeplanung in den bestehenden Landesradverkehrsplan (LRVN). Die verschiedenen Ausgestaltungen von Radverkehrsinfrastruktur müssen demnach gemeinsam betrachtet werden, sodass die Planung neuer Strecken integriert und auf Grundlage des bestehenden Netzes stattfinden kann, heißt es. Die Fortschreibung des landesweiten Radverkehrsnetzes sei daher zu begrüßen. Einig sind CDU und Grüne mit dem SSW, dass der Radverkehr eine hohe Relevanz für die Mobilitätswende hat, weshalb die Attraktivität des Radverkehrs gesteigert werden soll. Die Entwicklungen bei Pedelecs, Lastenrädern und im Tourismus müssten demnach mitgedacht werden.

Radverkehrsnetz nicht alltagstauglich

„Bei der Ausarbeitung sollen geeignete Streckenabschnitte identifiziert sowie Fördermöglichkeiten für die Kommunen aufgezeigt werden. Zudem sollte geprüft werden, welche Möglichkeiten es gibt, grenzüberschreitende Radschnellwege an die dänische Radinfrastruktur anzubinden“, heißt es im SSW-Antrag. Das Problem: Bislang gibt es in Schleswig-Holstein keine landesseitige und landesweite Planung für Radschnellverbindungen. Das bestehende Radverkehrsnetz sei laut SSW-Fraktion weder alltagstauglich noch ausreichend ausgebaut.

Die Planung solle daher darauf ausgerichtet sein, möglichst viele Wohnorte, Arbeitsplätze, Schulen und Bildungseinrichtungen sowie Bahnhaltestellen und touristische Destinationen zu verbinden. Erstrebenswert seien einheitliche Qualitätsstandards sowie eine ressourcenschonende Verkehrsführung auf bestehenden Wegen. Dies stehe genauso im LRVN zuvor Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) in seiner Rede im Landtag.

Die SSW-Abgeordnete Sybilla Nitsch sagt zu ihrem Antrag: „Nur bei einer konsequenten Planung kann es uns überhaupt gelingen, mehr Menschen aufs Rad zu bringen. Darum fordern wir umgehend eine Netzplanung und keine weiteren, einzelne Teilstücke im Süden. Wir fordern ein alltagstaugliches Netz, das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich zusammenwachsen kann.“

In den vergangenen Jahren sei laut Nitsch einiges verschlafen worden. „Die Infrastruktur des einstigen Vorzeige-Radlandes Schleswig-Holstein ist deswegen in die Jahre gekommen. Wurzelaufbrüche werden lediglich beschildert statt ausgebessert und die kommunalen Planungskompetenzen schrumpften kontinuierlich.“

Zwar solle es die neue Strategie „Ab aufs Rad“ mit vielen Fördermillionen richten, so Nitsch in ihrer Rede. Aber es gebe einen Wermutstropfen. „Das Land kann gar nicht so viele Mittel loswerden, wie es möchte. Die Kommunen können gar nicht so viel bauen. Schleswig-Holsteins Kleinkommunen haben gar nicht die Kapazitäten für einen überregionalen Ausbau der Radwege – immer wieder enden Radwege an Kreis- oder Stadtgrenzen.“ Deshalb komme man nicht voran. Als Beispiel nannte sie Dörfer entlang der deutsch-dänischen Grenze.

Niederlande und Dänemark Vorreiter 

„Radwege und insbesondere Radschnellwege sind eine echte Alternative zum motorisierten Individualverkehr. Beträgt der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz oder Studienort unter 15 Kilometer, schlägt der Radschnellweg sogar die Straße. Das zeigen europäische Erfahrungen“, sagt Nitsch im Landtag. Es sei kein Wunder, dass in den Niederlanden oder Dänemark, wo es viele Radschnellwege gibt, Menschen dauerhaft vom Auto aus Rad umsteigen. 

„Doch Schleswig-Holstein besteht nicht nur aus der Zuwegung nach Hamburg. Schleswig-Holstein hat gerade im Norden einen enormen Nachholbedarf, was Radschnellwege angeht und sollte auch den Grenzpendlerinnen und -pendlern attraktive, grenzüberschreitende Radschnellwege anbieten“ so Nitsch.

Das Pendlerland Schleswig-Holstein biete laut SSW enorme Potenziale für das Rad. Schleswig-Holstein liegt bundesweit vorne, was den Kauf von E-Bikes und Pedelecs betrifft. Der Energieversorger Eon hatte bundesweit eine Umfrage durchführen lassen: Mehr als jede vierte Bürgerin und jeder vierte Bürger über 18 Jahre in Schleswig-Holstein gab an, ein E-Bike oder Pedelec zu besitzen. In Nordfriesland ist es sogar jeder Dritte.

„Diese Menschen haben privat investiert, um Rad zu fahren. Sie wollen das Auto in der Garage lassen. Doch die Infrastruktur wächst nicht mit. Darum wollen wir in Schleswig-Holstein den sofortigen Einstieg in ein leistungsfähiges Radschnellnetz.“

Kritik am SSW-Antrag kommt von der FDP

FDP-Fraktionssprecher Bernd Buchholz nannte den Antrag im Hinblick auf das bestehende LRVN wenig zielführend. Es ergebe wenig Sinn, eine Strategie zu verabschieden, um deren Ziele dann anschließend infrage zu stellen, in dem man immer wieder andere Ziele oder parallele Ziele ausgebe. „Deshalb ist, bei aller Freundschaft zum SSW, ein landesweites Netz für Radschnellverbindungen zu erstellen, überhaupt nicht zielführend, weil ein landesweites Radschnellverbindungsnetz an dem Ziel eben nichts macht“, so Buchholz.

Grüne: Grundgedanke richtig

Fahrradfahren ist gesünder, besser fürs Klima und oft schneller. Wieso aber entscheiden sich immer noch viele Menschen dagegen? In ihrer Landtagsrede sagte die Abgeordnete Nelly Waldeck: „Dafür gibt es gute Gründe: Fehlende Infrastruktur, mangelnde Sicherheit, die andauernde Benachteiligung des Fahrrad – gegenüber dem Autoverkehr, nicht ausreichend Abstellmöglichkeiten. Viele Aspekte sorgen weiter dafür, dass Menschen sich nicht für das Fahrrad entscheiden. Und das selbst dann, wenn die Strecke kurz ist.“

Auf längeren Wegen hätten Radschnellverbindungen großes Potenzial, so Waldeck. „Direktverbindung, breite Wege und durchgängig Vorfahrt. Wer möchte das nicht? Autobahnen zeigen uns seit Jahrzehnten, wie attraktiv solche Verbindungen sind.“ Für den Radverkehr seien sie nach wie vor die Ausnahme. Für Radschnellwege müssten allerdings viele Flächen gekauft und anschließend versiegelt werden. Darüber hinaus sind sie teuer.

„Ich halte es für richtig, Radschnellwege ambitioniert anzugehen, aber eben dort, wo sie als Teil eines Gesamtnetzes verkehrlich besonders Sinn ergeben und nicht isoliert betrachtet, mit einem eigenen Netzplan“, so Waldeck. Es sei deutlich zielführender, Radschnellverbindungen als ein Instrument eines integrierten landesweiten Radverkehrsnetzes zu sehen und zu planen. Dies tue man mit der aktualisierten Radstrategie Schleswig-Holstein 2030. 

CDU: Radschnellwege im Verkehrsplan enthalten

Alle bedeutsamen Radverkehrsverbindungen werden im neuen landesweiten Radverkehrsnetz enthalten sein, sagt auch der Grüne Koalitionspartner CDU. Die Radschnellverbindungen würden dort abgebildet. „Ein gesondertes Radschnellnetz ist deswegen eben nicht erforderlich und auch nicht zielführend. Und eine reine Fokussierung auf die Radschnellwege wäre auch zu wenig und wird den infrastrukturellen Herausforderungen nicht gerecht“, so Thomas Jepsen in seiner Rede. 

„Der SSW-Antrag beinhaltet dann ja auch noch einen Prüfauftrag zu grenzüberschreitenden Radschnellwegen an die dänische Radinfrastruktur und in der Begründung wird auf die ausschließliche Förderung von Radschnellwegen in der Metropolregion hingewiesen. Das ist aber jedoch den Förderbedingungen des Bundesprogramms für Radschnellwege zuzurechnen. Denn der Bund legt dort die Standards fest. Daher kommt nicht nur dieses Verkehrsschild für die Radschnellwege, sondern auch die Mindestbreiten von 3 bzw. 4 Metern oder die Fördervoraussetzungen von mehr als 2.000 Radfahrten pro Tag auf mindestens zehn Kilometern Länge.“ An diese Voraussetzungen des Bundes kommen ländliche Räume oft gar nicht heran.

Über das Bundesprogramm für Radschnellwege sind aus der Metropolregion heraus fünf Radschnellwege in Planung: von Hamburg nach Elmshorn, nach Bad Bramstedt, nach Geesthacht und nach Ahrensburg sowie in Lübeck. Außerdem liegen in der Region Kiel zwei Machbarkeitsstudien zu Premium-Radverbindungen nach Eckernförde und Plön sowie ein Veloroutenkonzept für den Flensburger Raum vor. „Aus diesen paar Handvoll Radschnellwegen ein landesweites Netz darzustellen, ist wohl etwas übertrieben“, so Jepsen.

Grenzüberschreitende Radschnellwege sind Zukunftsmusik

Kommentar von Gerrit Hencke

Es ist eine noble Forderung des SSW, den Radverkehr grenzüberschreitend zu denken und dann noch das Wort Radschnellwege in den Mund zu nehmen. Dort, wo im Winter im Berufsverkehr nicht mal der Abschnitt an der Grenze zwischen Wassersleben und Krusau (Kruså) gestreut wird, wird auch in naher Zukunft wohl kein Meter Radschnellweg entstehen. So wünschenswert eine gute und sichere Radinfrastruktur auf deutscher Seite im Grenzland ist, Radschnellwege sind ein Luftschloss.

Bei rund 5.200 Kilometern Radwegenetz in Schleswig-Holstein und dem Fokus auf Radschnellwege allein in den Metropolregionen Kiel und Hamburg, wird das Grenzland noch über Jahrzehnte abgehängt bleiben.

Für die Finanzierung relevanter Ausbau- und Sanierungsmaßnahmen in Schleswig-Holstein stehen laut Koalitionsvertrag neben den Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) nur rund 20 Millionen Euro pro Jahr bereit. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Größe des Streckennetzes und zahlreicher kommunaler Schrottradwege, neben denen Schilder teilweise seit Jahren auf „Radwegschäden“ hinweisen.

Es ist verständlich, warum viele Menschen daher aus Gründen der Sicherheit und des Komforts auf das Rad als Alternative zum Auto verzichten. Gerade im ländlichen Raum besteht großer Nachholbedarf, wenn es um die Sanierung von bestehenden Radwegen oder um Lückenschlüsse geht. Dabei sollten angesichts der aktuell spürbaren Folgen des Klimawandels so viele Menschen aufs Rad gebracht werden, wie es geht. 

Für eine zügige Verkehrswende müsste also auch in Schleswig-Holstein deutlich mehr Geld in die Hand genommen werden, als es bisher der Fall ist.

Mehr lesen