Kultur

Mit der Schuld leben lernen

Mit der Schuld leben lernen

Mit der Schuld leben lernen

Ruth Nielsen
Ruth Nielsen Lokalredakteurin
Gravenstein/Gråsten
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Auf 372 Seiten erzählt Linda Lassen von Anna und Sohn Rune. Foto: Karin Riggelsen

Der Roman „Rundt om Rune“ von Linda Lassen hat autobiografische Züge. Versuch der Autorin, Schweigenden eine Stimme zu geben.

Auf Linda Lassen trifft es zu, dass jemand Psychologie studiert, um sich selbst und die Reaktionen anderer  besser zu verstehen.  Ihre Seele hat viele Wunden   verkraften bzw. verarbeiten müssen. Sie wurde in  der Schule oft gemobbt. Meistens reagierte sie mit Schweigen, denn schlagfertig  war und ist sie   nicht.

Tief sitzt der Schmerz, als ein Arzt ihr sagte: „Du hast eine zu starke Bindung an dein Kind. Du bist schuld.“ Die Alleinerziehende hatte  Rat bei ihrem Arzt gesucht, weil sie  fand, dass ihr ältester Sohn anders war als andere Kinder.   „Ich ging nach Haus, weinte und dachte, er hat Recht, du bist eine schlechte  Mutter. Das hat meine  ganze Energie ausgesaugt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte oder konnte. Ich will aber niemanden verurteilen. Es war keine böse Absicht, man wusste es  damals nicht besser“,   erzählt Linda Lassen.

Erst als ihr Sohn 20, 25 Jahre alt war, wurde bei ihm eine psychotische Krankheit diagnostiziert.  Die Erfahrungen  mit ihrem psychisch kranken Kind hat sie nun literarisch aufgearbeitet. Der Roman heißt „Rundt om Rune“. „Schreiben ist mein Leben“, sagt sie. Seit 2013  macht sie das sozusagen  hauptberuflich. Die Motivation dazu liegt in ihrer Kindheit: „Ich war  in der 4. Klasse, wir sollten wieder mal umziehen. Das haben wir sehr oft getan. Ich hatte eine  tolle Lehrerin. Sie sagte zu mir: ,Eines  Tages wirst  du  Schriftstellerin‘. Sie hat mir   Identität gegeben“, erzählt Linda.

Ihr  Roman ist ein Versuch, zu klären, ob ein psychisch krankes Kind  das Leben der Mutter zu 100 Prozent ausfüllen darf? Hat sie kein Recht auf ein eigenes Leben? Sind die Angehörigen für den Kranken verantwortlich  oder die Gesellschaft? Wie weit kann/darf die Liebe einer Mutter gehen, und ist Mutterliebe ein Mythos?

„Der Angehörige lässt nichts unversucht, und     trotzdem kann er den Kranken  nicht retten. Das ist das Dilemma. Die Umwelt geht auf Distanz. Es ist ihr peinlich, wenn du über ein psychisch krankes Kind redest. Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft. Es geht nur um   Erfolg, nur Erfolg zählt.    Anna (Mutter von Rune) ist  es leid, in  einer vom Wettbewerb geprägten Gesellschaft zu leben.   Es ist  ja keine Schande, ein krankes Kind  zu haben. Man muss aber darüber reden.  Sich abzuschotten nützt niemandem. Bin ich   in einer Gesellschaft,  frage ich nicht, was machst du, sondern  was füllt dein Leben aus.  Es gibt  andere Dinge, über die  man reden kann.“

Offenes Ende

Das Buch hat ein offenes Ende. Anna  wendet sich an einen Seelsorger, weil sie nicht weiß, wie sie mit der Schuld  leben soll. „Es ist  nicht ihre Schuld, dass Rune krank ist. Aber sie  hat   wie alle anderen auch was falsch gemacht. Sie hat ihre Wahl getroffen und muss lernen, damit zu leben“.    

Linda Lassen hat das   Buch nicht als Therapie für sich  geschrieben, sondern für  Angehörige.  „Das Thema mag schwer wirken, aber es sind  auch Passagen mit schwarzem Humor dabei.   Es ist   realistisch. Als Angehöriger fühlst du eine Ohnmacht gegenüber dem System.  Ich hatte darüber    eine Chronik in Informationen   veröffentlicht. Ich hatte  auf   Respons gehofft, aber die kam nicht.  Dann haben mich Leute aufgefordert, ein Buch darüber zu schreiben.   Ein Roman kann mehr als Fachliteratur.  Vielleicht gibt es Anlass zur Reflexion? Vielleicht kann man sich   in Anna spiegeln?“

Linda Lassen schreibt, „weil   ich so Stoff in Literatur umsetzen kann. Ich schreibe nicht, damit es mir besser geht. Dann hätte  ich Tagebuch geschrieben.   Ich rechne doch damit, dass ich Vorträge über dieses Thema halten kann. Das Schreiben  fiel mir dieses Mal nicht leicht. Ich hatte mich  freiwillig  in einen Raum begeben, der  mit sehr  viel Schmerz  verbunden ist.  Meine Ausbildung zur Psychologin  hat mir da schon geholfen.  Ich habe das Buch für diejenigen geschrieben, denen es schwer fällt, die Worte zu finden, um sich auszudrücken.“

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