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Leben ohne Smartphone und Co

Leben ohne Smartphone und Co

Leben ohne Smartphone und Co

Ruth Nielsen
Ruth Nielsen Lokalredakteurin
Sonderburg/Sønderborg
Zuletzt aktualisiert um:
Irina und Juri Bogovic mit ihren Kindern Lucia und Antonio auf einer Riesencouch, die zum Kuscheln und Schmökern einlädt. Foto: Ruth Nielsen

Irina und Juri Bogovic sind digital vernetzt, aber ihren Kinder erlauben sie es nicht. Die Regeln haben Lucia und Antonio akzeptiert.

Lucia ist zehn Jahre alt, ihr Bruder  Antonio zwölf. Beide agieren so, wie sich Erwachsene Kinder in dem Alter vorstellen, und doch überraschen sie:   Die Geschwister haben weder Smartphone – nicht mal ein  gewöhnliches Handy – noch  können sie Computer oder Tablet ihr eigen nennen.   Ihre Eltern Irina und  Juri Bogovic  haben nichts gegen die Kommunikations-/Informationstechnologie, nur legen sie Wert auf einen sinnvollen Umgang mit diesen Geräten und deren Möglichkeiten (siehe unten). 

„In der Woche gibt es gar nichts, auch kein Fernsehen. Wenn ich etwas für die Schule brauche, dann darf ich an den Computer.  Nur am Wochenende dürfen wir so eine Viertelstunde“, nennt Lucia die Regeln, die sie und Antonio akzeptieren.  Als Grund nennt Antonio   Gefahren:   „Ich habe über die Folgen von Smartphone  gehört. Du kannst  auch  entführt werden, und die Handystrahlung ist nicht gut.“ 

Wenn sie ein Smartphone hätten

Wenn sie ein  Smartphone hätten, würde Lucia es für Gespräche mit ihren Freundinnen nutzen, wenn sie verreist sind. Antonio würde Spiele spielen und mit Freunden reden, und er würde dafür sorgen, „mich nicht austricksen zu lassen“. Wenn Mitschüler Antonio  anfangs belächelten, dann „war ich erschüttert und traurig. Ich habe mich schon als Außenseiter gefühlt, jetzt aber nicht mehr“. 

Lucia  hingegen    fühlt sich  nicht außen vor: „Ich mache eben alles ohne Handy und lerne so sehr viel.  Ich finde, wir beide sind in   guten Klassen. Sie haben schon Verständnis,   wenn wir nicht über eine Fernsehsendung  mitreden können.   Auch wenn sie mir einen Vogel zeigen, bleibe ich   bei meiner Meinung. Hauptsache, man hat Freunde“, sagt die Zehnjährige.

Sie weiß, sich auf andere Weise Respekt zu verschaffen. Lucia und Antonio sind Leseratten und nehmen am deutschen Lese-Förderungsprojekt Antolin teil. In den vergangenen drei Jahren hat Antonio 200, Lucia   373 Bücher gelesen. Damit   steht sie   deutschlandweit  auf Platz 1.  Das wurde auf der Aulaversammlung   der Deutschen Schule Sonderburg verkündet. „Das fanden meine Freundinnen  cool. Sie waren  stolz auf mich. Das hat mich schon gefreut“, sagt sie.

Ein Buch -– besser als ein I-Pad

Auch wenn sie keine Handys besitzen,  kennen sie die Begrifflichkeiten  und können  damit umgehen.  Manchmal dürfen sie auf
I-Pads spielen, aber, „das  wird dann langweilig.  Dann muss ich ein Buch lesen. Das ist besser als ein I-Pad. Ein Buch hat so viele Geschichten“, erfreut  sich Lucia am geschriebenen Wort.

Lesen und  Reden bilden offenbar. Antonio ist verunsichert. Er hat im Gespräch   den Namen   seines Freundes genannt. „Den darfst du doch nicht schreiben, wegen Datenschutz oder?“,  so der Zwölfjährige.

Sie folgen dem Apple-Erfinder

 „Steve Jobs is a low-tech-parent“ , hat Journalist  Nick Bilton 2014 seinen   Artikel betitelt. Das Haus von Apple-Erfinder Jobs ist keine High-Tech-Spielwiese.  Er erlaubt seinen Kindern nur eine sehr sparsame Nutzung technologischer Geräte. Erst im Teenageralter lockert er seine Restriktionen.    Chris Anderson (3D Robotics) agiert ähnlich, „weil wir aus erster Hand die Gefahren  der Technologie  sehen. Ich habe es an mir gesehen,  und ich möchte nicht,  dass es meinen Kindern genauso geht“, sagt der fünffache Vater. 

Diese Eltern untersagen ihren Kinder bis zum Alter von zehn Jahren   die Nutzung von Rechnern  in der Woche, am Wochenende werden ihnen 30 Minuten am I-Pad und Smartphone zugestanden,  10- bis 14-Jährige  dürfen Computer in der Woche nur für den Schulgebrauch   nutzen.  Viele, die in der Branche arbeiten, geben  ihren Kinder erst mit 14 Jahren ein Smartphone. Eine Regel haben alle: Im Schlafzimmer sind derartige Geräte   verboten.

„Glücklich leben ohne  Smartphone. Steve Jobs und Bill Gates (Microsoft) begrenzen  die Technik für ihre Kinder. Warum wohl?“, sagt  Irina zu diesen Berichten. Juri  hat im Netz   Forschungsberichte gefunden, die den Onkologen in seinen Vermutungen bestätigen, dass   es einen Zusammenhang gibt zwischen Handynutzung  und Hirntumor  (z. B. Meta-Analyse aus Polen):  „Das sind historische Erfahrungen, keine Industrie bestellt   eine Studie, um die Folgen zu zeigen. Für Kritik ist kein Platz.  Wir nutzen  die Technik zielgerichtet. Wenn Lucia etwas braucht, benutzt sie Wikipedia.“

„Handys sind ja nicht mehr nur ein Telefon. Wir beobachten und sehen, was  wir nicht wollen“, denkt Irina an eine Episode, als sie Lucia morgens  in der  3. Klasse ablieferte.  „Alle saßen mit den Köpfen  über ihr Smartphone   gebeugt. Ich  hätte ein Elefant sein können, das wäre niemandem aufgefallen. Das fand  ich ganz schrecklich. Wir spielen viel, statt im Facebook zu kommunizieren“, sagt Irina.  
Das Paar hatte einen Versuch zur Integration unternommen.   Lucia sollte ein  Nokia  kriegen:  „Das wäre total uncool und hätte ihr mehr geschadet. Dann lieber  gar nichts“,  erzählt Irina.

Sie weiß, dass  andere Eltern den Bogovic zustimmen, aber geändert wird kaum etwas:  „Es ist  eben anstrengend ohne. Du kannst    Kinder mit Technik ablenken“, sieht es Irina. Juri bezeichnet  offene Gespräche als ihre „Familienkultur“.  „Kinder spüren, wenn  Eltern unsicher sind. Daher führen  wir Gespräche  mit ihnen wie mit  Erwachsenen, wir erklären   und finden gemeinsam Lösungen.“

Das Paar verteufelt nicht die Technologie.  „Es geht darum, gute User zu sein,  Technologie anzuwenden, wo es Sinn ergibt. Es ist die Kunst als User, nicht abhängig zu werden“, sagt Juri, der z. B. den Computer nutzt, um Italienisch zu lernen.
 

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