Energiewende

Westküstentrasse für Nordseestrom verzögert sich erneut

Westküstentrasse für Nordseestrom verzögert sich erneut

Westküstentrasse für Nordseestrom verzögert sich erneut

Tondern/Tønder
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100 der 450 Strommasten sollen in der Kommune Tondern stehen. Foto: Energinet

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Rücksichtnahme auf bedrohte Tierarten und neue Auflagen der Umweltbehörde machen die Planung schwieriger. Nun ist erst mit einer Fertigstellung bis zum 30. Juni 2024 zu rechnen. Doch auch mit dieser Frist wird die Zeit knapp.

Er verstehe die Frustrationen der Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer, die im direkten Einzugsbereich der Strommasten leben, die im Zuge der neuen Westküstentrasse errichtet werden sollen. Das unterstrich der Chefplaner des Netzbetreibers  Energinet, Christian Jensen, auf Anfrage. Auch er und seine Kolleginnen und Kollegen seien frustriert, gesetzte Zeitfristen nicht einhalten zu können. „Betroffene Bürger rufen auch bei uns an und fragen, wie weit wir sind.“

Vor zwei Jahren wurde noch eine schon verzögerte Inbetriebnahme für Ende 2023 ins Auge gefasst. Doch dieser Zeitplan kann nicht eingehalten werden. Jetzt ist ein neuer Termin mit dem 30. Juni 2024 festgesetzt worden. Das Warten geht also weiter.

Auch neuer Termin wird knapp

„Und auch mit dieser Zeitfrist wird es knapp werden. Die Umweltbehörde hat im Zuge des Genehmigungsverfahrens immer neue Auflagen gestellt und neue Untersuchungen gefordert. Diese können sich im Laufe weniger Monate wieder ändern“, erklärt Jensen die Zeitüberschreitungen.

Ein wenig vorsichtig rechne er aber damit, dass die zweite Anhörung im Herbst dieses Jahres über die Bühne gehen kann.

450 Strommasten

Die neue Trasse, die den in der Nordsee erzeugten Strom aus der Nähe von Holstebro bis zur Grenze bei Seth (Sæd) bringen soll, damit dieser weiter in die deutschen Ballungszentren befördert werden kann, sieht vor, dass in der Kommune Tondern 100 der insgesamt 450 Strommasten stehen werden.

69 Haushalte liegen in einer Entfernung von höchstens 80 Metern zur Trasse. Sie haben ein Anrecht auf Verkauf und entsprechende Entschädigung. 242 Haushalte liegen zwischen 80 und 280 Meter entfernt, sie haben das Recht auf eine Entschädigung.

 

Der Abbau der alten Gittermasten entlang der neuen Hochspannungstrasse bei Kassö Foto: Volker Heesch

 

Die Betroffenen erhielten zunächst den Bescheid, dass über die Entschädigungen bis September 2020 entschieden werde. Die Deadline wurde später auf 2021 geschoben – und dann auf 2023.

 

Unzufriedenheit machte sich nicht nur bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern breit, sondern auch beim Stadtrat. Die Politikerinnen und Politiker wünschten eine weit größere Erdverkabelung. Nur in geringem Maße ist Energinet diesem Wunsch entgegengekommen.

 

Dass die staatliche Umweltbehörde neue Auflagen stellt, hängt unter anderem mit dem Artenschutz zusammen, erklärte Christian Jensen weiter. So müsse Rücksicht auf Feldmäuse und Birkenmäuse genommen werden, die unter Schutz stehen.

Im Bereich Varde stieß man bei der Planung auf ein weiteres Problem in Bezug auf den Artenschutz. In der Varde Å wurden Flussperlmuscheln entdeckt. Die Leitung soll unterirdisch die Au kreuzen. Jetzt müsse der Umweltverträglichkeitsbericht (miljøkonsekvensrapporterne) verändert und von der Umweltbehörde genehmigt werden, was sich als zeitraubender als gedacht erwiesen habe.

Die geplante 400-Kilovolt-Hochspannungsleitung bis zur deutsch-dänischen Grenze wird 75 Kilometer lang sein. Der Strom aus der Nordsee wird ab dort in das deutsche Netz eingespeist.

Absprache der vier Nordsee-Anrainer

Ob die laufende Planung zum konkreten Westküsten-Projekt durch die aktuelle Absichtserklärung der Nordsee-Anrainerstaaten Niederlande, Belgien, Deutschland und Dänemark beeinflusst werde, wisse er nicht.

Es sei nur eine Absichtserklärung, entsprechend gäbe es auch keinen fertigen Plan. Auch nicht, wo die großen Strominseln mit Umspannwerken liegen sollen.

An größere und auch mehr Masten muss man sich gewöhnen. Foto: Brigitta Lassen

Am 18. Mai unterzeichneten die vier Länder in Esbjerg eine Erklärung, wonach die Kapazität für die Energiegewinnung aus Offshore-Windparks auf mindestens 65 Gigawatt bis zum Jahr 2030 erhöht werden soll.

Bis 2050 soll die Kapazität dann auf mindestens 150 Gigawatt gesteigert werden. Diese Menge würde ausreichen, um bis zu 230 Millionen europäische Haushalte mit grünem Strom zu versorgen.

Einigkeit: Es werden mehr Strommasten kommen

Christian Jensen vermutet, dass der Stromtransport an Land auch über Dänemark führen wird, aber dann in alle Himmelsrichtungen, also nicht nur von Nord nach Süd.  Die jetzt in Planung befindliche Westküstentrasse sei ein wichtiger Teil eines zusammenhängenden Stromnetzes, erklärt der Energinet-Chefplaner Jensen.

Mit der deutsch-dänischen Hochspannungsverbindung soll die europäische Stromnetzstabilität beim Ausbau der Gewinnung erneuerbarer Energie verbessert werden.

Jacob Østergaard, Professor am Institut für Wind und Energiesysteme an der Technischen Universität in Kopenhagen, ist sich sicher, dass die erhöhte Produktion von Nordsee-Strom auch mehr Masten an Land erfordern wird.

Er habe keinen Zweifel daran, dass mehr Hochspannungsleitungen benötigt werden, wenn die grüne Umstellung verwirklicht werden soll. Das sei so gut wie unumgänglich.

Es wäre natürlich am schönsten, wenn wir gar keine Masten bekämen. Wir müssen uns aber den neuen Gegebenheiten im Zuge der grünen Wende stellen.

Bürgermeister Jørgen Popp Petersen (Schleswigsche Partei)

So sehen es auch Christian Jensen und Tonderns Bürgermeister Jørgen Popp Petersen, Schleswigsche Partei.

„Es wäre natürlich am schönsten, wenn wir gar keine Masten bekämen. Wir müssen uns aber auch den neuen Gegebenheiten im Zuge der grünen Wende stellen", erklärt das Stadtoberhaupt. Man habe sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte an Landschaften mit weniger, aber größeren Masten gewöhnt. Nun müsse man wieder umdenken.

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