Leitartikel

„Es fehlt nur ein Wort“

Es fehlt nur ein Wort

Es fehlt nur ein Wort

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Berlin/Kopenhagen
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Was hat der Grünen-Chef Nouripour mit der dänischen Politik zu tun? Er hat ein Wort ausgesprochen, das den drei Parteien in der dänischen SVM-Regierung bisher nicht über die Lippen läuft. Ex-Chefredakteur Siegfried Matlok analysiert die Motive und sagt, wem er dieses Wort zutraut.

Vor wenigen Tagen erregte der Partei-Chef der Grünen, Omid Nouripour, großes Aufsehen, als er in einem Fernseh-Interview die deutsche Ampel-Regierung als „Übergangsregierung“ bezeichnete. Mit anderen Worten, nach Ablauf der jetzigen Legislaturperiode im Bundestag – spätestens also September 2025- ist Schluss, muss man sich in Berlin neu aufstellen, vor allem anders aufstellen als nach dem Ende der Ära Merkel.

Nun gibt es zwischen der deutschen und der dänischen Politik ja viele Gemeinsamkeiten: Zu den Gemeinsamkeiten gehört zurzeit, dass sowohl Deutschland als auch Dänemark von Regierungen bestehend aus drei Parteien über die Mitte geleitet werden, jeweils unter sozialdemokratischer Führung. 

Doch zu den „traurigen“ Gemeinsamkeiten gehört auch die Tatsache, dass beide Regierungen in ihren Bevölkerungen zurzeit höchst unbeliebt sind. Allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen, denn während es den Dänen unter ihrer SVM-Regierung wirtschaftlich gut, ja fast bestens geht, ist die ökonomische Lage und besonders die Grundstimmung in Deutschland bedenklich pessimistisch, ja manchmal sogar fast depressiv. 

Während also südlich der Grenze das bevorstehende Aus der Ampel-Regierung bereits angekündigt wird, halten die drei dänischen Regierungsparteien noch immer zusammen. Ohne sich auf jeden Fall öffentlich in die Haare zu kriegen, fehlt aber seit dem Wechsel von der „neuen“ Mette Frederiksen zur „alten Mette“ ein entscheidendes Wort: Übergangsregierung!  

In der Politik gelten bekanntlich oft die Mikado-Spielregeln: wer sich zuerst bewegt, der verliert, der stirbt. Deshalb darf man gespannt sein, welche der drei Regierungsparteien als erste das von vielen erwartete und sogar von noch mehr Wählern sehnsüchtig erhoffte Wort „Übergang“ in den Mund nimmt.

Vorläufig hat man sich noch für einen taktischen Ausweg entschieden: nicht das Handtuch in den Ring zu werfen, um so besser das Ende dieser Regierung vorbereiten zu können.

Sozialdemokraten, Moderate und Venstre haben sich zunächst darauf verständigt, dass jede Partei für sich sichtbarer nach außen hin auftreten kann, also bewusst eigene Prioritäten setzen darf. Wenn sich also nun ein Minister oder eine Ministerin öffentlich äußert, muss man künftig klar unterscheiden, ob es die private Partei-Meinung ist oder ob es sich um die gemeinsame Haltung der Regierung handelt. 

Noch krasser ausgedrückt: In den kommenden Monaten wird man erleben, dass die Regierung zwar gemeinsame Beschlüsse trifft – gleichzeitig aber auch mit sich selbst in Opposition kämpft – um so taktisch das fehlende Wort Übergang vorzubereiten. Keiner kann sich wohl hier im Lande vorstellen, dass die drei Parteien bis zum nächsten Wahltermin spätestens im Oktober 2026 in der „Ehe“ bleiben, um dann um eine Wiederwahl zu bitten. Im Gegenteil! 

Dabei fällt den Sozialdemokraten als größte Partei mit Führungsansprüchen diese Absatzbewegung natürlich leichter, weil sie nach der nächsten Wahl auf eine linke Mehrheit bauen können. Für die beiden bürgerlichen Parteien sieht es hingegen ganz anders aus: Lars Løkkes Moderate können selbstverständlich sein Lieblingswerk der vergangenen Jahre, eine Mehrheits-Regierung über die Mitte hinweg, nicht einfach aufkündigen und in der politischen Toilette auf Christiansborg wegspülen. 

Løkkes Programm heißt – dessen ungeachtet – für seine eigene Partei: Nur Løkke, und da stehen die eigenen Machtinteressen ganz oben. Der Außenminister hält sich als spezialisierter Profi-Fuchs für alle Fälle kreativ bereit. Den Traum, eines Tages ins Staatsministerium zurückzukehren, hat er längst nicht aufgegeben.

Das größte Problem von den drei Parteien hat Venstre als ausgewiesen blaue, bürgerliche Partei. Unter ihrem Partei-Chef Ellemann-Jensen hatte Venstre jede Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten – von einer Regierung ganz zu schweigen – von vornherein ultimativ ausgeschlossen. Mette Frederiksen war im letzten Wahlkampf Venstres „Staatsfeind Nummer eins“, und nach diesem historischen Umfaller steckt Venstre – trotz verbesserter Zahlen bei der EU-Wahl – landespolitisch weiterhin in der Krise.

Bei Meinungsumfragen liegt die Partei noch immer unter 10 Prozent. Trotz der bei Venstre bös verloren gegangenen Glaubwürdigkeit haben die anderen bürgerlichen Parteien jedoch seit Bildung der SVM-Regierung stets Lock-Angebote an Venstre gemacht, sich doch schnellstens wieder dem bürgerlichen Lager anzuschließen. Parteien wie die der Konservativen, LA, Danmarks-Demokraterne und DF ist klar, dass rein rechnerisch eine bürgerliche Alternative ohne Venstres Mandate überhaupt nicht möglich sein wird.

Diese bürgerlichen Parteien hoffen, dass Venstre bei der nächsten Wahl absprungbereit ist – und dann eventuell sogar wie in früheren Zeiten wieder die Führung im bürgerlichen Block übernehmen will. Venstres Zukunft hängt also nun davon ab, wie die Partei von Troels Lund Poulsen in der Regierung mit Mette Frederiksen und Lars Løkke sich künftig so deutlich bürgerlich abgrenzen kann, dass die Kursänderung mit dem Ziel Marsch zurück die Wähler überzeugt. 

Mit ihrem sozialdemokratischen Vorschlag, über Änderungen der 2006 beschlossen Pensionsreform mit dem Renteneintrittsalter (bis 70) neu zu verhandeln, hat Mette Frederiksen nicht nur eine wohlfahrtspolitische Bombe gezündet, sondern in Wirklichkeit das Startsignal für einen neuartigen Regierungs-Wettbewerb gegeben: Miteinander und doch zugleich gegeneinander.

Jetzt warten alle auf das entscheidende Wort à la Nouripour: Übergangsregierung.

Wer kann es aussprechen? 

Nur Mette Frederiksen oder Troels Lund Poulsen!  

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