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Corona-Langzeitfolgen: Was wir wissen – und was nicht

Corona-Langzeitfolgen: Was wir wissen – und was nicht

Corona-Langzeitfolgen: Was wir wissen – und was nicht

Kim Patrick von Harling/shz.de
Berlin
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Die Frage, welche Langzeitfolgen eine Corona-Erkrankung auf Herz und Co. haben, beschäftigt zurzeit Forscher weltweit. Foto: Gustavo Fring/Pexels

Wer 14 Tage nach seiner Corona-Infektion keine Symptome mehr aufweist, gilt als genesen – eigentlich.

Berlin | Planbare Eingriffe werden aufgrund der steigenden Corona-Zahlen verschoben, die zweite Infektionswelle rollt an. Hierzulande sind seit Beginn der Pandemie laut dem Robert-Koch-Institut 9710 Menschen in Folge einer Covid-19-Erkrankung gestorben, genesen sind 341.223 Menschen (Stand 15. Oktober). Doch was genau bedeutet in diesem Fall genesen? Weltweit sind Fälle von geheilten Corona-Patienten bekannt, die lange Zeit nach ihrer Erkrankung unter bestimmten Symptomen leiden.

Diverse Studien und wissenschaftliche Beiträge beschäftigen sich mit der Frage, welche Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion auftreten. Dabei stellt sich heraus: Es gibt keine schablonenartige Prognose und keinen einheitlichen Verlauf. "Obwohl die Merkmale der Sars-CoV-2-Infektion gut charakterisiert sind, bleiben die mittel- und langfristigen Folgen einer Infektion unerforscht", sagt unter anderem Forscher Liam Townsend vom St. James's Hospital, der einige Studien zu den Corona-Spätfolgen durchführt.

Weiterhin sind Langzeitforschungen und zusätzliche Forschungen nötig, um sich ein Gesamtbild über die Spätfolgen machen zu können. Zahlreiche Untersuchungen, Forschungen, Studien und Umfragen überzeugen mit Ergebnissen, die auf einige Spätfolgen hinweisen – eine Übersicht:

Müdigkeit und Konzentrationsschwäche

An einer Studie des St. James's Hospitals und dem Trinity Translational Medicine Institute am Trinity College Dublin mit Studienurheber Townsend nahmen 128 genesene Covid-19-Patienten teil. Das Ergebnis: Rund 52 Prozent litten auch nach der Genesung noch unter Müdigkeit und Konzentrationsschwäche – teils zehn Wochen nach ihrer Behandlung und unabhängig von der Schwere der Corona-Erkrankung. Diese Erkenntnisse werden durch eine weitere Studie, die im Juli durchgeführt wurde, gestützt. 87 Prozent der 143 genesenen Patienten eines Krankenhauses in Italien litten noch zwei Monate nach ihrer Behandlung unter Müdigkeit.

Kurzatmigkeit und Herzrasen

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass eine Corona-Erkrankung gerade jüngeren Menschen nichts anhaben könnte. Laut dem MDR liegt der Virologin Melanie Brinkmann vom "Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung" eine Studie vor, die 18 bis 34-Jährige einschließt, die an Covid-19 erkrankt gewesen waren. Jeder fünfte Patient dieser Altersgruppe leidet immer noch unter Kurzatmigkeit und Herzrasen. Eine Entzündung des Herzsmuskels nach einer Corona-Infektion ist laut Brinkmann keine Seltenheit. In den Gefäßen können sich zudem Blutgerinnsel bilden, die wiederum zu schweren Herzschäden führen können.

Schäden der Lunge

Hans Klose, Leiter der Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), leitet seit rund zehn Wochen eine Studie über Corona-Folgeschäden. Ehemalige Patienten mit unterschiedlichen Verläufen wurden direkt nach ihrer Erkrankung und in einem Zeitfenster von zwölf bis 24 Monaten nach der Behandlung untersucht. "Zurzeit leiden viele noch unter Luftnot, ohne dass wir das messen können. Die Muskulatur der Patienten scheint nicht mehr so zu funktionieren wie zuvor", sagt Klose gegenüber dem Magazin Focus.

Ärzte aus Hongkong untersuchten genesene Patienten und stellten eine verminderte Lungenfunktion sowie anhaltende Kurzatmigkeit fest. "Bei einigen Patienten könnte die Lungenfunktion nach der Genesung um etwa 20 bis 30 Prozent zurückgehen", sagte Owen Tsang Tak-yin, medizinischer Direktor des Zentrums für Infektionskrankheiten im Princess Margaret Hospital in Hongkong. "Sie keuchen, wenn sie etwas schneller gehen."

Laut einer Studie der Medizinischen Universität Innsbruck bilden sich Lungenschäden wie eine leicht- bis mittelgradige Veränderung des Lungengewebes bei den meisten Patienten deutlich zurück. Unklar bleibt jedoch laut der Forscher, inwieweit die Einschränkungen der Lungenfunktion vollständig abklingen. 86 ehemalige Corona-Patienten zwischen 50 und 70 Jahren hatten an der Studie teilgenommen. Viele waren übergewichtig, litten unter Diabetes oder hatten Vorerkrankungen wie Bluthochdruck.

Angriff auf das Nervensystem und Gehirn

Wissenschaftler der Yale School of Medicine stellten in Experimenten sicher, dass auch Schwindel, Kopfschmerzen und Gedächtnislücken Symptome nach der vermeintlichen Corona-Genesung sind. Nervenschäden und Entzündungen des Gehirns seien der Grund für diese Symptome, erklärten die Forscher. Die Beschwerden würden über Wochen und Monate hinweg andauern.

Bei rund einem Drittel der Corona-Infizierten auf den Intensivstationen kam es im späteren Verlauf zu Hirnschädigungen, die wiederum zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten sowie Gedächtnisproblemen führten, wie das ARD-Magazin "Kontraste" berichtete. Diese Schäden könnten sogar Fehlwahrnehmungen und Halluzinationen hervorrufen, wie der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Peter Berlit, gegenüber "Kontraste" erklärte.

Was wir nicht wissen

Trotz der aufgezählten Symptome bleibt weiter unklar, wie aussagekräftig die bisherigen Studien über die Langzeitfolgen der Corona-Infektion sind. Welche finalen Zusammenhänge zwischen Covid-19 und Spätfolgen tatsächlich valide sind, lässt sich nur durch weitere Beobachtungen und Forschungen deuten. Bei der Vielzahl der Betroffenen ließen die Symptome mit der Zeit deutlich nach, sagt zum Beispiel Tobias Welte, Lungenfacharzt an der Medizinischen Hochschule Hannover. "Was mich ein bisschen beruhigt, ist, dass ich bisher eigentlich keinen Patienten wiederholt gesehen habe, der nicht gesagt hat, es wird besser."

Zudem gibt es bislang keine einheitliche Erhebung, bei wie vielen genesenen Menschen welche Symptome unter Berücksichtigung von Vorerkrankungen, Alter und allgemeinem Gesundheitszustand auftreten. Die Forschungen und Studien beziehen stets nur eine verhältnismäßige kleine Gruppe an Corona-Erkrankten für ihre Untersuchungen heran – ein Gesamtbild für die Pandemie ergibt sich hieraus nicht. Die Frage, welche Langzeitfolgen eine Corona-Infektion hat, kann weiterhin nicht final beantwortet werden. Die Pandemie ist nach wie vor ein großes Rätsel.

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