Winterbaden

Sprung in die kalte Nordsee – beim Selbstversuch bleibt der Atem stehen

Sprung in die kalte Nordsee – beim Selbstversuch bleibt der Atem stehen

Beim Selbstversuch bleibt der Atem stehen

Jörg Brökel
Föhr
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Foto: Jörg Brökel

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Seit dem 10. September badet der Föhrer Uwe Stammer regelmäßig in der kalten Nordsee. Und dank der sozialen Netzwerke hat er inzwischen eine Reihe von Bade-Mitstreitern. Auch shz.de-Reporter Jörg Brökel hat sich getraut.

Es ist eine bunt gemischte Truppe, die sich am Sandwall in Wyk am Mittwoch, 25. Oktober, im kalten Herbstwind unter der großen Uhr direkt vor dem Strand trifft. Auch wenn der weiße Sand noch ein bisschen von den sommerlichen Badefreuden träumen lässt. So friesisch, karibisch geht es bei 12 Grad Lufttemperatur nicht zu.

Man erkennt die Badegruppe „Schwimmen mit Uwe“ ganz gut. Während die meisten Passanten an diesem frischen End-Okober-Vormittag, mit Pullovern, Jacken und Mützen, dick vermummt über den Sandwall flanieren, fallen die Nordsee-Badenden durch nackte Beine und Füße in Badeschlappen auf.

Seit dem 10. September geht der Insel-Kaufmann Uwe Stammer regelmäßig in der Nordsee baden. Inspiriert hat ihn der TV-Moderator Wigald Boning, der seit fast 500 Tagen in irgendwelchen kalten Bergseen, oder wo immer ihn seine berufliche Tätigkeit verschlägt, ins Wasser steigt. „Das kann ich auch“, dachte sich Uwe Stammer. Seit dem 10. September geht der Inselkaufmann jeden Tag in die Nordsee. Ob es stürmt, regnet oder - auch das findet im Herbst mal statt - die Sonne scheint.

Und da der 53-Jährige durchaus internetaffin ist, stellte er jedes Mal Bilder von seinen Badeaktionen in seinen Whats-App-Status. Hinzu kam seit dem 17. Oktober eine Instagram-Gruppe „Schwimmen_mit_uwe“. Das blieb auf der ohnehin ziemlich social-media-begeisterten Insel Föhr nicht lange unbemerkt. Und so konnte sich Uwe Stammer schon sehr bald über erste Mitstreiter - oder besser - Mitbader freuen. „Am Anfang war die Anna aus Hamburg mit dabei“, freut sich Uwe Stammer.

Einer kam zum anderen und an diesem frischen Oktobermorgen sind es tatsächlich elf Menschen, die sich in das gut zehn Grad kalte Wasser begeben wollen. Darunter erstmalig auch der shz.de-Reporter Brökel. „Hast Du Angst?“, fragt mich Uwe Stammer, als wir uns langsam Richtung Wasserkante begeben. „Angst habe ich keine, aber Respekt ist durchaus vorhanden“, erkläre ich meinem „Bade-Meister“. „Das ist auch gut so“, sagt Uwe. „Worauf habe ich mich da bloß wieder eingelassen!“, denke ich mir noch.

Da spricht mich Sascha Bock an. „Auf keinen Fall solltest Du langsam reingehen“, erklärt der Chef von der Vermietungsagentur „hoch im norden“. Vielmehr sei gleich schnelles und zügiges Gehen angesagt. Einer fehlt noch an diesem Vormittag. Wie eine weiße Erscheinung schwebt Roberto Caso auf die Gruppe zu, die sich langsam ihrer Mützen, Pullover und Jacken entledigt. Im fast bodenlangen weißen Aqua-Föhr-Bademantel kommt der Veranstaltungsleiter der Föhr Tourismus GmbH (FTG) auf die Gruppe zu geschwebt und hebt gemächlich zum Gruß die Hand.

„Ich wollte einfach mal etwas für meine Gesundheit tun“, erklärt Caso, nach seiner Motivation gefragt. Nicht immer können alle zu der täglichen Badeaktion kommen. Schließlich hat so eine Woche sechs Werktage und nur einen Sonntag. Und heute ist nun mal ein Tag mitten in der Arbeitswoche. Einige Teilnehmer sind aber Föhr-Touristen und andere haben sehr wechselhaften Dienst, der ihnen erlaubt zu den Badezeiten vorbeizukommen. So wie Tom Diemann. Der Insulaner arbeitet bei der Lützen Schiffsgastronomie. „Wenn es von der Arbeit her passt, bin ich dabei, wenn nicht, dann nicht“, grinst Diemann.

Seine Begleiterin Franzi Hofmann hat ihre Arbeit beim Bäcker schon hinter sich. Und Johann Cohrs aus Hamburg kommt schon lange nach Föhr und ist mit Uwe Stammer gut bekannt. Er hat sogar seine beiden Kids Irma (12) und Gustav (8) mitgebracht. „Die trauen sich was“, denkt der Reporter. Dann aber wird es ernst. Eingedenk der Worte von Sascha Bock gehe ich zügig in das Wasser am Föhrer Strand. Gerade denke ich noch, „so kalt ist es doch gar nicht“, da hat die Kälte die Rezeptoren unter der Haut erreicht und die Kälte beißt ordentlich zu.

Immer weiter geht es in die Fluten. Um mich herum Schreie. Sind es Freuden oder Entsetzensschreie? Ich habe keine Muße, das herauszufinden. Denn jetzt bin ich in das Wasser eingetaucht. Bislang hatte ich den Begriff „atemberaubend“ für besonders schöne Momente im Leben reserviert. Aber diese Kälte ist nun wirklich atemberaubend. Beziehungsweise will der Körper schneller atmen. „Langsam atmen“, gibt jemand von der Seite einen wichtigen Tipp.

Tatsächlich, so geht es besser. Um mich herum Menschen, die in den Fluten treiben. Dem einen oder anderen merkt man an, dass er diese Erfahrung schon öfter gemacht hat. „Je länger man hier mitmacht, umso mehr gewöhnt sich der Körper daran“, höre ich tröstende Worte von einem Mitschwimmer. „Na, super“, denke ich noch, „offensichtlich sieht man mir das erste Mal an“.

Und jetzt ruft Uwe Stammer auch noch die Schwimmenden zum Gruppenfoto zusammen. Fröhlich lachend versammelt sich die Gruppe um das wassergeschütze Mobiltelefon unseres „Schwimm-Meisters“. Schnell noch einmal in die Kamera gelächelt und dann aber schnell wieder raus aus dem elf Grad kalten Wasser. Mit leicht geröteteter Haut erreiche ich den Strand. Auf einmal fühlt sich der zwölf Grad kalte Wind warm an. „Einstein hatte doch recht“, denkt der Reporter, „alles ist relativ“.

Wohin soll das alles noch führen? „Keine Ahnung“, sagt Uwe Stammer, „ein richtiges Ziel gibt es eigentlich nicht.“ Ihm schwebe die Zahl 365 vor, sagt er. Also ein Jahr lang jeden Tag in die Nordsee gehen. Eines steht fest. Die Aktion hat nicht nur körperliche, sondern auch mediale Spuren hinterlassen. Nicht nur bei den Mitbadenden, sondern sogar bei Wigald Boning.

Der TV-Moderator hat auf Instagram schon Kontakt zu Uwe Stammer und seiner Gruppe aufgenommen. Und übrigens: Während am Badevormittag der graue Himmel über der Insel vorherrschte, scheint jetzt die Sonne in die Redaktion des Insel-Boten in großen Straße und wärmt den Reporter beim Schreiben dieses Artikels wieder auf. Irgendwie auch eine Art von Happy End.

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