Zwangsauszug mit 18

Bürgerschaft will Care Leaver besser unterstützen

Bürgerschaft will Care Leaver besser unterstützen

Bürgerschaft will Care Leaver besser unterstützen

dpa
Hamburg (dpa/lno) -
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Die Hamburgische Bürgerschaft will sich verstärkt um sogenannte Care Leaver kümmern Foto: Daniel Reinhardt/dpa

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Sie leben in Pflegefamilien oder Wohngruppen. Doch mit 18 Jahren ist damit in der Regel abrupt Schluss. Doch wohin dann? Die Bürgerschaft will den sogenannten Care Leavern mehr unter die Arme greifen.

Die Hamburgische Bürgerschaft möchte junge Menschen, die in Jugendeinrichtungen oder Pflegefamilien leben und diese in der Regel mit dem 18. Geburtstag verlassen müssen, besser unterstützen. Das Parlament verabschiedete einstimmig einen entsprechenden Antrag der rot-grünen Regierungskoalition als einen «ersten Aufschlag zu diesem wichtigen Thema», wie der Jugendexperte der SPD-Fraktion, Uwe Lohmann, sagte. 

So soll es als Auftakt eine Fachveranstaltung geben, in der sich alle Hilfseinrichtungen und Beteiligten einbringen sollen. Dann soll eine Arbeitsgruppe die Ergebnisse zusammenführen und entsprechende Verfahren entwickeln oder erneuern. Zudem sollen der «Fachtag junge Volljährige» des Sozialpädagogischen Fortbildungszentrums sowie das Projekt «Hier wohnt Hamburgs Jugend» ausgebaut werden.

Pro Jahr müssen im Schnitt 1500 Achtzehnjährige ihre Wohngruppen verlassen

Lohmann sagte, jedes Jahr müssten im Schnitt 1500 junge Menschen, sogenannte Care Leaver, ihre Wohngruppe oder ihre Pflegefamilie mit 18 Jahren, in seltenen Fällen auch mit 21 Jahren, verlassen. Sie benötigten nach ihrem Auszug weiterhin Unterstützung, insbesondere bei den Fragen Wohnung, Berufsausbildung sowie staatliche Leistungen. «Diese wichtige Phase des Übergangs von Jugendhilfe in Selbstständigkeit wollen wir ab jetzt intensiv begleiten», sagte Lohmann. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass junge Menschen, die traditionell zu Hause aufwachsen, ihr Elternhaus in Hamburg erst mit durchschnittlich 23 Jahren verlassen. Hinzu kommt: Der Auszug aus einer Jugendhilfeeinrichtung sei unumkehrbar, in das Elternhaus könnten viele auch zurückkehren, heißt es in dem Antrag.

«Stellen Sie sich folgendes Szenario vor», sagte die CDU-Familienexpertin Silke Seif. «Ihr Kind feiert 18. Geburtstag und nach Kerzen auspusten und Geschenke auspacken nehmen Sie ihrem Kind die Wohnungsschlüssel ab, stellen einen Koffer vor die Tür und sagen zum Abschied: "Liebes Kind, Du bist jetzt volljährig und damit selbstständig, guten Tag und guten Weg."» Für die meisten sei das eine absurde Vorstellung, für Care Leaver jedoch Realität. Ohne überhaupt die Sicherheit eines klassischen Elternhauses genossen zu haben, sollen sie von einem Tag auf den anderen ihr Leben komplett selbstständig regeln können. «Deshalb ist die Forderung, Care Leaver nachhaltiger bei ihrem Übergang von der Jugendhilfe in ein eigenständiges Leben zu begleiten, eine sehr gute Sache», betonte Seif.

Hermann: Kein Jugendlicher wird von heute auf morgen erwachsen

Kein Jugendlicher werde von heute auf morgen erwachsen, sagte die familienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Britta Herrmann. Hinzu komme: Care Leaver «haben oft bereits einen besonders schwierigen Weg hinter sich». Sie benötigten auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Angebote. Dem stimmte auch die Linken-Familienexpertin Sabine Boeddinghaus zu. Sie nannte es aber auch ein wenig peinlich, dass Rot-Grün das Thema erst jetzt vor der Wahl entdeckt habe. Denn «wir haben in dieser Frage wirklich kein Erkenntnisdefizit, sondern wir haben schon viele Jahre ein Umsetzungsproblem». Die Phase der Fachveranstaltung könnte leicht übersprungen werden, sagte Boeddinghaus. Entscheidend sei für diese jungen Menschen vor allem eine Wohnung. 

Dem Antrag zufolge haben Care Leaver einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung sowie je nach Einkommen auf verschiedene Leistungen wie Wohngeld, Bürgergeld, Bafög oder Beihilfe für die Erstausstattung der Wohnung. Care Leaver hätten jedoch berichtet, dass öffentliche Stellen ihre Belange oft nicht kennen, sie nicht richtig unterstützt und Leistungen nicht genehmigt würden, auf die ein Anspruch bestehe. Für sie sei es daher wichtig, dass sie frühzeitig und umfassend beraten würden: in Hilfeplangesprächen ebenso wie durch die Träger der Hilfen zur Erziehung oder in Pflegefamilien.

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