Landgericht Hannover

Musiker: Mordversuche mit Gift «unvorstellbar»

Musiker: Mordversuche mit Gift «unvorstellbar»

Musiker: Mordversuche mit Gift «unvorstellbar»

dpa
Hannover
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Eine Statue der Justitia hält eine Waage und ein Schwert in der Hand. Foto: Arne Dedert/dpa/Symbolbild

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Mordgedanken hatte er, besorgte auch Rattengift, wie er vor Gericht zugibt. Aber der Orchestermusiker betont: Er hätte es nicht über sich gebracht, seine Mutter zu töten - oder zwei Kollegen. Und das Motiv? Dazu sagt er eines ganz klar.

Wer glaubt, dass unter klassischen Musikern aus purer Begeisterung für ihre Kunst immer Eintracht herrscht, der dürfte sich irren. Auch dort kann es Neid, Zank und Streit geben - und Mobbing. Die Folgen: Schlafstörungen, Depressionen und Suizidgedanken, wie ein wegen versuchten Mordes an drei Menschen angeklagter Musiker des Schleswig-Holsteinischen Symphonieorchesters am Montag im Prozess am Landgericht Hannover sagte. Und auch Mordgedanken, wie er zugab. Aber der 62-Jährige betonte, er habe entsprechende Pläne aufgegeben. Den Vorwurf des versuchten Giftmordes an seiner Mutter und zwei Kollegen wies er zurück.

Niemals habe er seine «geliebte Mutter» töten oder ihr Schmerz zufügen können und wollen - und auch zwei Orchestermusikern nicht: «Das ist völlig undenkbar und unvorstellbar für mich», sagte er, während er zwischen seinen Anwälten saß - nicht auf der Anklagebank. Die Aussage war mit Spannung erwartet worden - zu Prozessbeginn hatte der Deutsche bereits bestritten, dass er seine 93 Jahre alte Mutter und die beiden Musiker mit Rattengift töten wollte.

Laut Anklage soll der Mann das Gift Anfang September 2022 in einem Seniorenheim in Hannover in Lebensmittel der 93-Jährigen gemischt haben. Auf einer Konzertreise soll er den beiden Orchestermusikern - einem Mann und einer Frau - einen vergifteten Knoblauchdip gereicht haben. Sie erlitten laut Staatsanwaltschaft Blutgerinnungsstörungen, an denen sie hätten sterben können.

Für die versuchte Tötung habe er «zu keinem Zeitpunkt» ein Motiv gehabt, sagte er. Zu den Kollegen habe er ein vertrauensvolles und gutes Verhältnis gehabt, seine Mutter wiederum sei für ihn ein «emotionaler Haltepunkt» in einer schwierigen Jugend mit Depressionen und Selbstmordversuchen gewesen. Er leide aber darunter, die «wahrscheinlich letzte Lebensphase» seiner Mutter nicht begleiten zu können. Der 62-Jährige sitzt seit etwa sechs Monaten in Untersuchungshaft.

Seine Karriere im Orchester verlief zunächst steil, er trat als Geigensolist und auch mit einem Streichquartett auf. Dann aber verschlechterte sich seine Lage dramatisch: Es habe Spannungen im Orchester gegeben, ein Vorgesetzter habe einzelne Musiker attackiert und deren Fähigkeiten in Frage gestellt - schließlich habe es auch ihn getroffen: «Dieser Angriff auf meine Fähigkeiten war schlicht bösartig.» Auch ein Musiker des Orchesters habe ihn angegriffen, das habe die Depressionen verschlimmert, er habe Suizidgedanken gehabt.

So habe er mit letzter Kraft gespielt - und mit der Angst, zu versagen. Es sei zu Panikattacken auf der Bühne gekommen. Aus verantwortlicher Rolle habe er sich schließlich in die zweite Reihe zurückgezogen - so sei ihm «das Herzstück meines musikalischen Lebens» genommen worden.

Dann sei ihm der Gedanke gekommen, den Musikerkollegen «für bestimmte Zeit außer Gefecht» zu setzen - mit Hilfe von Gift. Das habe ihn erschreckt, aber er habe immer stärkeren Hass auf den Mann verspürt. Er habe das Gift Brodifacoum besorgt, schließlich aber doch entsorgt: «Damit war die Aktion beendet.» Das war 2020. Er bedaure, über das Gift zunächst nichts gesagt zu haben - auch seinen Anwälten habe er erst drei Monate nach der Verhaftung die Wahrheit gesagt. Der Grund: Er habe sich für den Hass auf den Kollegen abgrundtief geschämt.

Seine Aussage machte er langsam, mit vielen Pausen, mit bebender Stimme und teils unter Tränen. Für Fragen stehe er aber erst nach weiteren Gesprächen mit dem Sachverständigen zur Verfügung, sagte der Angeklagte. Der Prozess dürfte sich hinziehen.

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