Schleswig-Holstein & Hamburg

Pries: Menschen mit Behinderung aus Sondersituation holen

Pries: Menschen mit Behinderung aus Sondersituation holen

Pries: Menschen mit Behinderung aus Sondersituation holen

dpa
Kiel (dpa/lno) -
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Michaela Pries, neugewählte Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, lächelt. Foto: Axel Heimken/dpa

Mitten ins Leben - dorthin will die designierte neue Landesbeauftragte Pries die Menschen mit Behinderung verstärkt hineinholen. Sie sieht da auch in Schleswig-Holstein noch viel zu tun. Optimistisch ist sie aber auch.

Keine isolierten Wohnanlagen und Werkstätten am Stadtrand, sondern mittendrin im «normalen» Leben - das ist die Vision von Michaela Pries für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein. «Wir sollten so weit wie möglich auf Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen verzichten», sagte die neugewählte Landesbeauftragte im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Ich wünsche mir, dass alle Regelangebote inklusiver werden. Wir müssen sie so ausgestalten, dass sie ganz natürliche Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung ermöglichen.» Dies helfe auch, Vorbehalte und Barrieren in den Köpfen abzubauen. Pries wird ihr Amt am 22. April antreten.

«Selbstverständlich miteinander leben, arbeiten und lernen baut Unsicherheiten im Leben miteinander ab», sagte sie. Statt in dezentralen Wohnanlagen am Stadtrand zu leben, sollten Menschen mit Behinderung auch dort wohnen, wo es Menschen ohne Handicap tun. «Das ist natürlich nicht von jetzt auf gleich zu machen, sondern wird Zeit brauchen», sagte Pries. «Auch Menschen mit Behinderung haben ein Wunsch- und Wahlrecht, aber die Umsetzung scheitert, weil sie keine Alternativen zum Auswählen haben - da ist noch sehr viel zu tun.»

Ihr sei es ein besonderes Anliegen, die selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen weiter zu fördern, betonte Pries. Diese Teilhabe sei nicht annähernd ausreichend gewährleistet. «Besonders wichtig sind dabei auch die Übergänge zwischen den einzelnen Lebensphasen und die Mitwirkung der Menschen mit Behinderungen in allen Belangen, die sie betreffen.»

Die 55-jährige Pries war vom Landtag einstimmig zur Nachfolgerin von Ulrich Hase (65) gewählt worden, der seit 1995 amtiert. Sie ist staatlich anerkannte Erzieherin und Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen. Pries arbeitet seit 2010 in der Stiftung Drachensee, die Menschen mit Behinderung in Kiel 660 Werkstattplätze und 190 Wohnplätze anbietet. Darüber hinaus leistet sie ambulante Hilfen.

In Schleswig-Holstein leben nach Behördenangaben 573 000 Menschen mit einer anerkannten Behinderung. 346 000 gelten als schwerbehindert - jeder achte Landesbewohner. Diese Menschen hatten es in der Corona-Pandemie laut Pries vor allem in den Anfangsmonaten besonders schwer. Viele Informationen über Gesetze, Erlasse und andere Regelungen seien für sie lange nur sehr schwer zugänglich gewesen.

«Dieser Personenkreis ist anfangs völlig vergessen worden», sagte Pries. Kaum zu verstehen sei auch, dass Regeln für Pflegeheime 1:1 auf die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung übertragen worden seien. Wer unter besonderen Wohnbedingungen lebt, habe lange keinen Besuch empfangen dürfen. Das habe vielen schwer zu schaffen gemacht.

Für Menschen, die in besonderen Einrichtungen wohnen und arbeiten, sei das Leben unter Corona-Bedingungen extrem herausfordernd, sagt Pries. Auch hätten psychisch kranke Menschen nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu Therapien gehabt. Es sei aber auch für die Politik schwierig, bei Entscheidungen alle Lebensrealitäten der Menschen abzubilden, sagte die designierte Landesbeauftragte. «Insgesamt habe ich leider schon den Eindruck gewonnen, dass Menschen mit Behinderung in ganzen Maßnahmenpaketen nicht berücksichtigt wurden.» Dies werde langsam besser, nachdem Selbstvertretungen, Dachorganisationen und der Landesbeauftragte beharrlich eingegriffen hätten.

«Die politischen Akteure in Schleswig-Holstein, die ich bisher kennengelernt habe, begreifen Inklusion als Querschnittsthema», sagte Pries. «Für sie ist das kein Nebenbei-Thema.» Das stimme sie sehr zuversichtlich. «Die entscheidenden Akteure in Regierung und Parlament tun wirklich etwas und das sehr konkret, nicht nur im fachlich zuständigen Sozialministerium und in der Staatskanzlei, wo die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention angesiedelt ist.» Hier sei Schleswig-Holstein auf einem guten Weg. Das Land arbeitet an einer Neuaufstellung des Aktionsplans zur Umsetzung der Konvention.

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