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Prozess um Angriff auf jüdischen Studenten

Prozess um Angriff auf jüdischen Studenten

Prozess um Angriff auf jüdischen Studenten

dpa
Hamburg (dpa/lno) -
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Eine goldfarbene Justitia-Figur steht vor Aktenbergen, die sich auf einem Tisch stapeln. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

Ein jüdischer Student wird am Eingang der Hamburger Synagoge mit einem Spaten angegriffen und schwer verletzt. Was hat den mutmaßlichen Täter dazu bewegt? Groß ist das Interesse an dieser Frage, das Gericht will sie aber ohne Zuschauer klären.

Das genaue Motiv für den Angriff auf einen jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge wird die Öffentlichkeit vermutlich nicht erfahren. Zum Auftakt des Prozesses gegen den mutmaßlichen Täter schloss die Strafkammer am Landgericht die Öffentlichkeit aus. Damit gab sie am Freitag einem Antrag des Verteidigers statt. In dem Prozess geht es um die Frage, ob der 29 Jahre alte Beschuldigte auf Dauer in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden muss (Az.: 604 Ks 9/20). Laut einem psychiatrischen Gutachten ist der in Kasachstan geborene Deutsche schuldunfähig.

Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 29-Jährigen einen heimtückischen Mordversuch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor. Er soll das Opfer am 4. Oktober mit einem Kurzspaten seitlich von hinten an den Kopf geschlagen haben. Der 26 Jahre alte Student, der eine Kippa trug und zum Laubhüttenfest die Synagoge besuchen wollte, sei dabei potenziell lebensgefährlich verletzt worden, erklärte die Staatsanwaltschaft. Die Tat hatte bundesweit für Entsetzen und Empörung gesorgt.

Zum Prozessauftakt saß der Beschuldigte an den Händen gefesselt äußerlich ruhig auf seinem Platz im Gerichtssaal. Der schmächtige Mann, glattrasiert, unauffälliger Haarschnitt, trug einen schwarzen Kapuzenpulli und eine hellgraue Hose. Auf Nachfrage der Richterin nannte er seinen Namen, Geburtsdatum und -ort, ohne die Hilfe der Russisch-Dolmetscherin in Anspruch zu nehmen.

Trotz des Ausschlusses der Öffentlichkeit ließ das Gericht eine Vertreterin der Jüdischen Gemeinde Hamburg als Prozessbeobachterin zu. Aus besonderen Gründen sei diese Ausnahme möglich, erläuterte ein Gerichtssprecher. Die Tat habe sich gezielt gegen einen Besucher der Synagoge gerichtet, die Gemeindeangehörigen seien dadurch verunsichert.

Vor der Beratung über den Ausschluss der Öffentlichkeit wollte der Vertreter der Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme abgeben. Dies ließ die Vorsitzende Richterin Birgit Woitas nicht zu. Die Hamburger Staatsanwaltschaft war in die Kritik geraten weil sie gemäß dem psychiatrischen Gutachten von der Schuldunfähigkeit des 29-Jährigen ausgeht. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz, hatte dem Sender NDR 90,3 gesagt, es könne keinen Zweifel an einem judenfeindlichen Motiv geben. «Es muss anerkannt werden, dass wir als jüdische Gemeinschaft bedroht sind.» Wie solle man antisemitische Taten in Zukunft verhindern, wenn man sie nicht einmal als antisemitisch benenne, fragte Stricharz.

In einer Pressemitteilung zum Prozessbeginn ging die Staatsanwaltschaft ungewöhnlich detailliert auf das Ergebnis der Begutachtung ein. Demnach leide der Beschuldigte unter einer akuten paranoiden Schizophrenie, begleitet von wahnhaften Verfolgungsängsten. Diese seien als Auslöser für die Tat anzusehen. «Die Ermittlungen haben auf Grundlage dieses Gutachtens keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschuldigte in freier Willensbestimmung religiöse, weltanschauliche, rechtsextremistische oder antisemitische Ziele verfolgte», hieß es.

Die entscheidende Frage sei, ob der Beschuldigte in freier Willensbestimmung handelte, betonte der Gerichtssprecher. Je wahngeleiteter er dabei gehandelt habe, umso weniger sei die Tat nachvollziehbar. Laut Staatsanwaltschaft richteten sich seine Wahnvorstellungen zwar vornehmlich gegen jüdische Institutionen, Rituale und Personen. Zum Bedrohungsszenarium habe aber auch die christliche Glaubensrichtung gehört.

Große Beachtung in der Öffentlichkeit hatte ein Zettel mit einem aufgemalten Hakenkreuz gefunden, den der Beschuldigte bei seiner Festnahme in der Hosentasche trug. Dazu erklärte die Staatsanwaltschaft, dass dieser Zettel nichts an der Bewertung ändere. Denn dem 29-Jährigen sei aus seinem privaten Umfeld wohlmeinend geraten worden, sich gegen die von ihm wahrgenommenen Dämonen und Reptiloiden - also echsenartige Wesen - mittels einer solchen Zeichnung zu schützen. Dabei habe das Hakenkreuz in seiner ursprünglichen Bedeutung als Symbol des Lichts und der Sonne Schutz bieten und Glück bringen sollen, hieß es. Die Ermittlungen hätten nicht ergeben, dass der Beschuldigte bereits vor seiner Erkrankung antisemitisches oder rechtsextremistisches Gedankengut vertreten habe.

Das Gericht hat vier weitere Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil könnte am 31. März verkündet werden. Die Verkündung des Urteilspruchs muss nach Angaben des Gerichtssprechers öffentlich erfolgen, für die Urteilsbegründung könnte die Öffentlichkeit erneut ausgeschlossen werden. Vor dem Strafjustizgebäude protestierten am Freitag zwölf Demonstranten «gegen jeden Antisemitismus», wie es auf einem großen rot-gelben Transparent der linken Gruppierung hieß.

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