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Regierung zufrieden mit 100-Tage-Programm - Massive Kritik

Regierung zufrieden mit 100-Tage-Programm - Massive Kritik

Regierung zufrieden mit 100-Tage-Programm - Massive Kritik

dpa
Kiel (dpa/lno) -
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Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa/Archivbild

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Alles bestens oder glatter Fehlstart? Die Einschätzungen zwischen Koalition und Opposition über die ersten vier Monate der schwarz-grünen Landesregierung klaffen weit auseinander. Für Ärger sorgt ein Solo der Bildungsministerin.

Die schwarz-grüne Landesregierung in Kiel hat nach Ansicht von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in ihren ersten vier Monaten ein starkes Fundament für eine erfolgreiche Legislaturperiode gelegt. Diese Einschätzung traf Günther am Dienstag in einer Positiv-Bilanz des 100-Tage-Programms, das die Regierung zwei Wochen nach seiner Wiederwahl zum Regierungschef Mitte Juli verkündet hatte. Begleitet wurde das Resümee von Ärger in der Koalition um einen Alleingang von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) für ein Kita-Pflichtjahr für Kinder mit sprachlichen Defiziten. Die nicht eingeweihte zuständige Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) widersprach dem Vorstoß umgehend.

Die Regierung sei ungeachtet aller Krisen auf einem guten Weg für die nächsten fünf Jahre, das Land voranzubringen, sagte Günther. Bei der Entlastung von Bürgern und Unternehmen sei der Norden unter den Bundesländern am weitesten. «Der Umsetzungsprozess ist gut gestartet», meinte auch Günthers Stellvertreterin, Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). Herausforderungen, inklusive für den Landeshaushalt, seien angesichts ungewisser Rahmenbedingungen oft nicht planbar. Für die Unterbringung der Flüchtlinge in den Landesunterkünften würden Kapazitätserweiterungen geprüft.

Günther und Heinold lobten die Zusammenarbeit als vertrauensvoll. «Wir würden die Herausforderungen sonst in der Form nicht schaffen», sagte die Finanzministerin. Außer dem Komplex Klimaschutz/Energiewende sei der soziale Zusammenhalt zentral wichtig. «Wir haben Mut, wir haben auch die Kraft, um das Land durch diese schwierigen Zeiten zu führen», so Heinold.

Das 100-Tage-Programm beinhaltete 110 Punkte - von einer Corona-Impfkampagne bis zur «Etablierung eines professionellen Umsetzungsmanagements für die Tourismusstrategie 2030». Auf dem Weg, die Klimaneutralität voranzutreiben, mehr Unabhängigkeit bei der Energieversorgung zu erreichen, Planungen zu beschleunigen, Fachkräfte zu gewinnen und das Tempo der Digitalisierung zu erhöhen, seien wichtige Projekte umgesetzt worden, erklärten Günther und Heinold. «Wir haben uns 110 Punkte vorgenommen und 110 umgesetzt», sagte er.

«Wir haben Unterschiede - die kaschieren wir auch weiterhin nicht», äußerte Günther. Konflikte würden fair ausgetragen. Differenzen waren zuletzt auch bei Beschneidungen von Bürgerbegehren und bei der geplanten Beteiligung eines chinesischen Konzerns an einem Terminal im Hamburger Hafen zutage getreten. Dieser ist für Schleswig-Holstein als Arbeitgeber enorm wichtig. Günther unterstützte einen Einstieg, Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter widersprach.

Im Konflikt um Priens Plädoyer für ein Kita-Pflichtjahr äußerte Günther sich zurückhaltend. «Sie hat das schlüssig hergeleitet», sagte der Regierungschef. Aber es sei immer zu fragen, was machbar und finanziell leistbar ist. An die Adresse Priens sagte er, es sei wichtig zu gucken, «dass sich die Kabinettskolleginnen und -kollegen immer darauf konzentrieren, in ihrem Aufgabenbereich die Dinge gut anzugehen und gut umzusetzen, und weil wir uns darauf in den meisten Bereichen auch gut konzentrieren, funktioniert's auch weiterhin hervorragend.» Heinold nannte eine Debatte um ein Kita-Pflichtjahr aktuell nicht prioritär.

Unter die Überschrift «Zu wenig, zu spät» stellte SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller seine Bewertung. «Bei den 110 Vorhaben aus dem 100-Tage-Programm werden in 27 Fällen bestehende Projekte schlicht fortgesetzt, in 24 Fällen werden Dinge aufgezählt, die sowieso im Zeitraum der ersten 100 Tage stattgefunden hätten, 15 Mal wird etwas geprüft oder ein Gespräch geführt, vier Bundesratsinitiativen werden erwähnt und vier Arbeitsgruppen gegründet. Das ist die Simulation von Tatkraft und bringt unser Land nicht voran.»

So sah das auch FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. Das Programm sei ein Sammelsurium aus Mini-Projekten, der Abarbeitung von Prüfaufträgen und der Erstellung von Eckpunktepapieren. «Der Ministerpräsident ist mit seiner neuen Landesregierung erkennbar aus dem Tritt geraten und für uns derzeit politisch kaum wiederzuerkennen.» Schwarz-Grün habe einen Fehlstart hingelegt, über den auch das Eigenlob nicht hinwegtäuschen könne. «Die Einschätzung, dass CDU und Grüne erfolgreich zusammenarbeiten würden, hat diese Landesregierung jedenfalls sehr exklusiv», sagte Vogt.

«Die wenigen konkreten Initiativen, die Schwarz-Grün bisher in Sachen Klimaschutz vorweisen kann, sind in Wirklichkeit nicht mehr als ein bunter Strauß klein-kleiner Klientelpolitik», meinte für den SSW Fraktionschef Lars Harms. Entscheidende Maßnahmen in Richtung Klimaneutralität und echte Entlastungen für Bürger fehlten.

«Gute Impulse, aber der Durchbruch fehlt noch», konstatierte die IHK. «Wir warten immer noch darauf, dass Politik die Planungspraxis ernsthaft hinterfragt und beschleunigt», sagte Hauptgeschäftsführer Björn Ipsen. «Fachkräfteentwicklung, Planungsbeschleunigung, Ausbau der Erneuerbaren Energien - hier muss die Landesregierung nachlegen.»

Der Bundesverband Windenergie bescheinigte der Regierung gute Ansätze, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien einen Sprung nach vorne zu machen. Aber viele Ankündigungen müssten noch konkretisiert werden. Die Gewerkschaft der Polizei lobte die Absicht, per Gesetz den Einsatz von Bodycams in Wohnungen und Geschäftsräumen zu ermöglichen. Zwingend notwendig sei mehr Personal bei der Polizei.

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