Apotheker erkennen Betrug

700 gefälschte Impfpässe in SH: Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Ärzte

700 gefälschte Impfpässe in SH: Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Ärzte

700 gefälschte Impfpässe in SH

SHZ
Kiel
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So wirbt ein Fälscher beim Messenger Telegram für sein Angebot: Er zeigt die Impfaufkleber mit Chargennummer, dazu ein Impfbuch mit dem Stempel des Impfzentrums in Köln. Foto: Eckard Gehm / SHZ

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In Schleswig-Holstein ermittelt die Polizei in 700 Fälle von Impfpass-Fälschungen. Eine Nachfrage bei den Staatsanwaltschaften zeigt: Sogar Ärzte haben gefälschte Nachweise ausgestellt.

Es sind beunruhigende Zahlen: Die Polizei in Schleswig-Holstein ermittelt aktuell in 700 Fällen von gefälschten Impfpässen. Mit Einführung der 2G-Regeln sei deren Aufkommen sprunghaft angestiegen. Die Staatsanwaltschaften haben bereits zahlreiche Verfahren gegen Nutzer und Anbieter der Fälschungen eingeleitet. Unter letzteren sind auch etliche Ärzte.

Ein falscher Impfpass ist schon für 50 Euro zu haben

Der Impfausweis war nie ein Dokument, dass dazu gedacht war, fälschungssicher zu sein. Wer die Messenger-App Telegram auf dem Handy hat, findet schnell eine von vielen Gruppen, die gefälschte Impfpässe anbieten. Lagen die Darknet-Preise anfangs noch bei 250 Euro in Bitcoin, ist ein falscher Impfpass auf Telegram jetzt bereits für 50 Euro zu haben.


Sechs Verfahren gegen Ärzte und Vertreter anderer Heilberufe

Und viele Impfgegner greifen da offenbar zu, sei es beim falschen Impfpass oder Genesenen-Nachweis. Die Staatsanwaltschaft Kiel hat eine genaue Statistik angelegt. „Wir führen 92 Verfahren gegen Bezieher beziehungsweise Nutzer solcher Nachweise“, sagt Henning Hadeler, Sprecher der Behörde. Weitere 23 Verfahren würden gegen Anbieter oder Ersteller entsprechender Dokumente geführt. Hadeler: „In sechs dieser Verfahren richtet sich der Tatverdacht gegen Ärzte oder Vertreter anderer Heilberufe.“

Motivation war Kritik an der Erforderlichkeit der Corona-Impfung

Eine finanzielle Motivation sei dabei nach ersten Erkenntnissen nicht bestimmend gewesen, vielmehr habe die Kritik an der Erforderlichkeit oder Verträglichkeit der Corona-Impfung eine Rolle gespielt.

In welcher Menge falsche Impfpässe, Genesenen-Nachweise oder auch falsche negative Testbescheinigungen ausgestellt worden sind, ist noch nicht ermittelt. „Soweit von einem größeren Handel auszugehen ist, dauern die Ermittlungen noch an“, erklärt Hadeler.

Staatsanwaltschaft Itzehoe führt 36 Verfahren

Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat 36 Verfahren eingeleitet. Sprecher Peter Müller-Rakow: „Davon richtet sich ein Verfahren gegen einen Anbieter von gefälschten Impfnachweisen.“ Und bei den Verfahren gegen die Nutzer der gefälschten Zertifikate würden selbstverständlich auch Ermittlungen zur Herkunft des jeweiligen Nachweises getätigt.

Inke Dellius, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Flensburg, kann die Anzahl der laufenden Ermittlungen nicht exakt beziffern, die Zahl der Verfahren gegen Personen, die gefälschte Impfausweise vorgelegt hätten, liege im unteren zweistelligen Bereich. „Verfahren gegen Anbieter gefälschter Impfausweise sind hier aktuell nicht anhängig.“

Im System sind die Fälle nicht gesondert erfasst

Die Staatsanwaltschaft Lübeck spricht von „erheblich steigenden Eingangszahlen“, überwiegend ginge es dabei um die Vorlage gefälschter Impfpässe in Apotheken. Eine genaue Zahl könne nicht genannt werden. Sprecherin Ulla Hingst: „Grund dafür ist, dass die Fälle im System nicht gesondert erfasst, sondern als Urkundenfälschung abgespeichert werden.“

Fälschungen werden meist in Apotheken entdeckt

Wie sind die Fälle aufgeflogen? Die Fälschungen wurden in Apotheken bemerkt, bei Kontrollen des Arbeitgebers oder der Polizei. Auch Stempel-Produzenten und Druckereien meldeten sich, nachdem sie Aufträge erhalten hatten, die auf die Anfertigung gefälschten Impfzertifikate schließen ließen. Zudem gab es Hinweise von Bürgern und nach Razzien wie bei einem Fälscher in Großensee (Kreis Stormarn) sollen auch gleich die Kunden aufgeflogen sein.

Apotheker: Es gibt einen Weg, den Betrug zu erschweren

Seit Mitte Dezember können Apotheken beim Erstellen der digitalen Zertifikate prüfen, ob die Chargennummer zum Impftermin passt und zu einer Dosis aus Deutschland gehört. Von Apothekern ist aber auch zu hören, dass nachträgliche Digitalisierung von Impfpässen besser gestoppt werden sollte. Wenn nur noch die Stellen, die impften, das digitale Zertifikat vergeben würden, wären Betrügereien erheblich erschwert.

Ampel-Koalition hat Strafen empfindlich erhöht

Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat die Ampel-Koalition im November das „Ausstellen und den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse“ unter Strafe gestellt. Oberstaatsanwalt Henning Hadeler: „Der Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei und maximal fünf Jahren.“ Im Einzelfall, insbesondere bei gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung, könne die Freiheitsstrafe auch bis zu zehn Jahren betragen.

Fristlose Kündigung und kein Arbeitslosengeld

Arbeitnehmern, die beim Impfnachweis täuschen, drohen fristlose Kündigungen und weil der Jobverlust selbstverschuldet ist, gibt es auch noch eine Sperre beim Arbeitslosengeld.


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