Vor 100 Jahren

Als in Flensburg die Mühlenteiche zugeschüttet wurden

Als in Flensburg die Mühlenteiche zugeschüttet wurden

Als in Flensburg die Mühlenteiche zugeschüttet wurden

Gerhard Nowc/shz.de
Flensburg
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Fernsicht mit Seeblick: Hinter der einstigen Navigationsschule, heute am Munketoft Gebäude Madrid der Uni, erstreckte sich nach Süden der große Mühlenteich. Foto: Archiv/shz

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Schande oder notwendiges Übel? Noch heute wird in Flensburg über die damalige Zuschüttung der Mühlenteiche gestritten. Und immer verzweifeln Bauherren an dem miserablen Untergrund rund um den heutigen Bahnhof.

Sie wären Perlen für das Flensburger Stadtbild gewesen: die Mühlenteiche. Doch die Stadtväter von einst hatten keinen Sinn für diese Schönheit. Die Stadt brauchte einen neuen Bahnhof und konnte bei der Gelegenheit wachsen. Das war wichtiger. So wurden die beiden Wasserflächen zugeschüttet – vor hundert Jahren.

Heute wird gejammert: Der Bahnhof liegt zu weit entfernt von der Innenstadt. Und die Bahnhofstraße macht nicht den Eindruck einer gelungenen Stadterweiterung. Ob dies mit den Sanierungsplänen gelingt, muss sich erst zeigen.

Der Mühlenteich im Stadtbild: Es war zunächst eine durchgehende Wasserfläche von der Backensmühle bis zur heutigen Friedrich-Ebert-Straße. In der Eiszeit reichte eine Gletscherzunge mit ihrer Spitze bis zum heutigen Bahnhof. Dieser gewaltige Eisklotz begann zu schmelzen, als die Temperaturen wieder anstiegen. Das Schmelzwasser stürzte in den Untergrund, wühlte eine tiefe Kuhle und spülte die Erde weg. Der Boden des Mühlenteichs lag 12 Meter unter dem Wasserspiegel.

Zweimal wurde die Wasserfläche zerstückelt. An der engen Stelle, bei der Feuerwehr, entstand um 1575 ein Damm, der das Wasser das erste Mal teilte. Die übrig gebliebene, nördliche Seefläche (heute Deutsches Haus) wurde noch einmal geteilt, als für die 1854 eingeweihte Eisenbahn ein Damm durch den kleinen Teich geschüttet wurde: die Trasse der Hafenbahn zum ZOB.

Der Teich ernährte die Menschen. So entstand im Viertel eine Siedlung, in der sich Fischer niederließen: der „Fischerhof“, heute Waitzstraße. Die „Teichstraße“, obwohl jetzt weit weg von jedem Wasser, weist noch auf den Mühlenteich hin. Er lieferte den Fischern die Fänge. Und noch eine andere Erwerbsquelle bot der See: War er im Winter zugefroren, kamen die „Eisfischer“ und schlugen Blöcke aus der Eisdecke.

Dieses Eis wurde in kühlen Kellern gelagert und sorgte dafür, dass Lebensmittel auch in der warmen Jahreszeit haltbar blieben.

Der See bot den Flensburgern Naherholung und Freizeitvergnügen. Um das Gewässer herum führte die Valentiner Allee, ein Spazierweg, der beim alten Kloster begann, am Westufer nach Süden hinauf zur Backensmühle führte, dann nach Osten abbog und etwa in der Höhe der Waldorfschule wieder Richtung Stadt führte – heute für Spaziergänger kaum nachzuvollziehen, da der Weg vom Tal der Bahnanlagen durchschnitten ist, das auf das Niveau für die Gleise ausgehoben wurde.

Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen See

Auf der Nordseite setzte sich der Spazierweg fort mit der heute noch vorhandenen Johannisallee an der Knudsborg vorbei, wieder hinunter in die Stadt. Der Verschönerungsverein schmückte den Weg mit Bäumen. Gerne nutzten die Flensburger den zugefrorenen See zum Schlittschuhlaufen.

Die Mühlenteiche wurden der Eisenbahn geopfert. Bei der Entscheidung, in den 1850er Jahren den Bahnhof am heutigen ZOB zu bauen – 30 Jahre später kam auch noch der Kieler Bahnhof am Hafendamm dazu –, hatten die Verantwortlichen nicht geahnt, wie rasant der Platzbedarf für die Bahn wachsen würde. So lag um 1910 auf dem Ostufer Gleis neben Gleis und das Johannisviertel war mit Bahnanlagen vollgestopft. Erweiterungsvorschläge wären auf Kosten des Hafens gegangen, die Stadt lehnte ab.

Mühlenteiche im Visier der Stadtplaner

So rückte das Gelände der Mühlenteiche für einen neuen Bahnhof ins Visier der Planer. Die Bahnhöfe raus aus der Stadtmitte? Eine lange Diskussion begann: Die Stadt würde bei einer Verlegung Schaden nehmen. Doch es musste etwas geschehen. Der Personenverkehr hatte sich zwischen 1904 und 1911 mehr als verdoppelt und auch die Verhältnisse für den Güterverkehr waren völlig unzureichend.

Nach siebenjährigem Hin und Her lag schließlich eine Planung vor, der alle Seiten zustimmten. Veranschlagt waren Kosten in Höhe von 15 Millionen Reichsmark. Der Anteil der Stadt: 1,5 Millionen Reichsmark.

Müll wird in die Teiche gekippt

Die Bewohner der Stadt fühlten sich ermuntert, ihren Müll in die versumpften Teiche zu kippen. Manche Fuhre enthielt vergammeltes Material, das die Umgebung mit Gestank überzog. Als die Stadt vor dem Ersten Weltkrieg ihren Baukostenanteil bereitstellte, war das das Startsignal für die Vorbereitungen und die Materialschlacht, die in der Stadtgeschichte kein Vorbild hat. Sie ist beschrieben im Buch „150 Jahre Eisenbahn in Flensburg“.

Nach der Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg begannen 1920 die Erdarbeiten im Wilhelminental, am Großen Mühlenteich wurden die gewaltigen Erdbewegungen fortgesetzt. Wegen der miserablen Bodenverhältnisse wurden rund 2,6 Millionen Kubikmeter Boden in den Teich geschüttet. Gewaltige Bodenmassen verschwanden Tag für Tag im Wasser.

Schokoladenfabrik Kosmos gefährdet?

Die extra verlegten Transportbahnen brachten zu manchen Stellen täglich Hunderte von Waggons, ohne dass das Gleis voran gebaut werden konnte. Vor den Stellen, an denen geschüttet wurde, wuchsen die Moorberge aus dem Wasser. Der Untergrund wurde unberechenbar: Erdschollen rissen ab und sackten in die Tiefe. Die Sorge wuchs, dass neues Gelände verloren gehen konnte. Die Befürchtung kam auf, die Schokoladenfabrik Kosmos (gegenüber der Feuerwache) könnte durch Verdrückungen des Untergrundes gefährdet werden.

Doch dann war es geschafft. Wo einst der See lag, erstreckte sich eine matschige Fläche, übersät von großen Lachen und Pfützen. Die ersten Bahnbauten wurden sichtbar. Das Bahnhofsgebäude selbst bereitete den Planern Probleme wegen des weichen Untergrundes.

Die Lösung: Das Gebäude wurde auf Pfählen gebaut. Rammen trieben von November 1923 bis August 1924 rund 1 600 Pfähle, je 12 bis 18 Meter lang, 30 Zentimeter dick, aus Eisenbeton in den Untergrund. Auf diesen „Wald“ von Pfählen wurde eine gewaltige Eisenbetonplatte gesetzt, dann konnte der Bau des Bahnhofsgebäudes beginnen.

Am 1. Dezember 1927 war er fertig. Diese Art des Pfahlbaus wurde auch für das Deutsche Haus gewählt, das von 1920 bis 1930 im Kleinen Mühlenteich entstand. Der Mühlenteich macht sich bis heute bemerkbar. Vor allem durch den weichen Untergrund. So neigte sich der Schlauchturm der alten Feuerwache. Und die Pläne für die neue Feuerwache an der Bahnhofstraße stellten sich wegen des Untergrundes als undurchführbar heraus.

Wenn auch das Bahnhofsviertel Sanierungsgebiet ist, keiner der Stadtsanierer hat die Phantasie, mit einer neuen Wasserfläche gestalterisch an den alten Mühlenteich zu erinnern.

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