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„Die Drusen – Eine Minderheit im Flammenmeer“

Die Drusen – Eine Minderheit im Flammenmeer

Die Drusen – Eine Minderheit im Flammenmeer

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Berlin
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In seiner aktuellen Kolumne beleuchtet Jan Diedrichsen das oft übersehene Schicksal der Drusen – einer Gemeinschaft, die seit Jahrhunderten im Nahen Osten zwischen den Fronten steht.

Der Gaza-Krieg, der nach dem bestialischen Massaker der Hamas begann, hat erneut einen Strudel aus Leid und Polarisierung in der Region hervorgerufen. Bilder von Zerstörung, Trauer und verzweifelten Menschen dominieren die Nachrichten. Inmitten dieses Chaos verlieren wir oft den Blick für die Nuancen. Eine davon ist das Schicksal der Drusen, einer religiösen Minderheit, die seit Jahrhunderten versucht, in den Konfliktzonen des Nahen Ostens zu überleben. Vor wenigen Wochen ereignete sich ein verbrecherischer Angriff der Hisbollah auf ein Fußballfeld, auf dem sich junge Drusen versammelt hatten. Dieser Angriff tötete viele Menschen und traf eine Gemeinschaft, die schon lange zwischen den Fronten der Konflikte steht.

Die Drusen sind eine monotheistische Religionsgemeinschaft, die sich im 11. Jahrhundert vom Islam abspaltete. Ihre Lehren sind synkretistisch und vereinen Elemente des Islam, der Gnosis und der griechischen Philosophie. Sie glauben an die Seelenwanderung und lehnen Konversionen ab – man kann nur als Druse geboren werden. Weltweit gibt es etwa eine Million Drusen, die hauptsächlich in Syrien, Libanon, Israel und Jordanien leben.

In Israel haben die Drusen einen besonderen Status. Sie sind die einzige arabische Gemeinschaft, die zum Militärdienst verpflichtet ist, und werden oft als loyale Staatsbürger angesehen. Diese Loyalität wird jedoch in Zeiten von Krieg und inneren Spannungen immer wieder auf die Probe gestellt. Viele Drusen in Israel sehen sich in einem Dilemma: Einerseits sind sie israelische Staatsbürger, andererseits fühlen sie sich ihren arabischen Brüdern und Schwestern verbunden. Dieses Spannungsfeld führt zu einer tiefen inneren Zerrissenheit, die sich besonders in Kriegszeiten manifestiert.

Im Libanon sind die Drusen eine bedeutende politische Kraft. Sie sind in das fragile konfessionelle Machtgefüge des Landes eingebunden und spielen eine wichtige Rolle in der libanesischen Politik. Ihre Führer haben es geschafft, die Drusen als eine einflussreiche Gruppe in der libanesischen Gesellschaft zu positionieren. Doch auch hier sind sie ständig den Spannungen und Konflikten in der Region ausgesetzt, die ihre Sicherheit und Stabilität bedrohen.

In Syrien hat der Bürgerkrieg die Situation der Drusen erheblich verschlechtert. Diese Gemeinschaft, die traditionell in den bergigen Regionen des Landes lebt, hat versucht, sich aus dem Konflikt herauszuhalten. Doch die anhaltenden Kämpfe und die jahrelange Gewalt, die das Land erschüttern, haben ihre Lage dramatisch verschärft. Viele Drusen leben in ständiger Angst vor Angriffen und sind gezwungen, sich selbst zu verteidigen.

Der jüngste Angriff der Hisbollah auf die Drusen zeigt, wie gefährdet diese Gemeinschaft ist. Er verdeutlicht auch, wie wenig Aufmerksamkeit ihr Schicksal in der globalen Berichterstattung erhält. In einer Welt, die oft von großen geopolitischen Verschiebungen und Machtkämpfen bestimmt wird, geraten die Schicksale kleinerer Gemeinschaften wie der Drusen leicht in Vergessenheit. Doch ihr Überlebenskampf inmitten eines Flammenmeers sollte uns nicht gleichgültig lassen.

Die Drusen sind mehr als nur eine Fußnote in der Geschichte des Nahen Ostens. Sie sind ein lebendiger Teil seiner Gegenwart und seiner Zukunft. Ihre Geschichte ist geprägt von Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit, aber auch von Leid und Entbehrungen. In einer Region, die von jahrzehntelangen Konflikten und tief verwurzelten Feindseligkeiten geprägt ist, kämpfen sie nicht nur ums Überleben, sondern auch darum, ihre kulturelle und religiöse Identität zu bewahren. Der Nahe Osten brennt, und es ist schwer vorstellbar, wie eine Zukunft aussehen könnte, die Platz für alle bietet – auch für die Drusen. Doch genau diese Zukunft muss angestrebt werden, wollen wir den Nahen Osten langfristig befrieden.

 

Literaturempfehlung: Wer sich weiter mit der Geschichte und den Herausforderungen der Drusen befassen möchte, dem sei das Buch "The Druze: Realities & Perceptions" von Samy Swayd empfohlen, das einen umfassenden Einblick in die Kultur, Religion und Politik dieser faszinierenden Gemeinschaft bietet.

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