Overtourism in Glücksburg

Volle Parkplätze, ausgebuchte Restaurants: Tourismus-Boom sorgt für geteilte Meinungen

Tourismus-Boom sorgt für geteilte Meinungen

Tourismus-Boom sorgt für geteilte Meinungen

SHZ
Glücksburg
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Trotz schlechten Wetters ist die Promenade in Sandwig auch in diesen Tagen gut besucht. Foto: Nils Rosacker

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Der Zuwachs an Touristen ist zum einen coronabedingt, zum anderen ist das Mehr an Gästen auch auf die neu entstandene touristische Infrastruktur zurückzuführen.

Alteingesessene Glücksburger kennen ihren eher ruhigen Ort seit Corona kaum noch wieder. „Wo man auch hinkommt, der Touri ist schon da“, findet Familie Petersen. Die Parkplätze seien ständig voll, Besuche in den zahlreich entstandenen neuen Restaurants nur nach Reservierung möglich. „Aber“, so Lena Petersen, „man muss auch an die privaten Vermieter denken, deren Existenzen vom Tourismus abhängig sind. Denen gönne ich es von Herzen.“

6114 Einwohner und 3041 registrierte Gästebetten

Tourismus-Chef Gorm Casper bestätigt: „Das wird wohl ein Rekordsommer. Wir sind in Glücksburg schon die ganze Zeit ausgebucht.“ Die kleine Stadt hat 6114 Einwohner und 3041 registrierte Gästebetten, die sich auf Hotels, Ferienwohnungen und Bildungseinrichtungen verteilen. Für den Juni liegen Zahlen vor: Von 2019 auf 2020 nahmen die Übernachtungen um 14,2 Prozent zu, von 2020 auf 2021 um weitere 13,9 Prozent. Im Zwei-Jahresvergleich stieg die Summe der Kurabgaben um 47 Prozent.

Im letzten Jahr riss der Touristenstrom im Herbst nicht ab: Im September gab es sogar einen Zuwachs von 56 Prozent gegenüber September 2019.

Touristiker sind glücklich

Die Touristiker seien „alle glücklich“ über die Entwicklung, so Casper. Allerdings kämen neuerdings auch ehemalige Pauschaltouristen, die manchmal „etwas exaltierte Erwartungshaltungen“ hätten. Er kennt auch Fälle von wetterbedingten Abreisen.

Der Zuwachs an Touristen ist zum einen coronabedingt, weil Auslandsreisen immer noch zusätzlichen Auflagen unterliegen. Zum anderen ist das Mehr an Gästen auch auf die neu entstandene touristische Infrastruktur zurückzuführen. In den vergangenen Jahren hat sich viel getan in Glücksburg: Das größte Hotel am Ort, das Intermar, eröffnete 2018 nach Sanierung mit 69 Doppelzimmern und zehn Suiten, ein Restaurant mit dabei.


2017 entstand das „Glück in Sicht“ mit 26 „Lodges“ für zwei bis zehn Personen. Auch hier kam 2019 ein großes Restaurant dazu. In Holnis wurde 2016 das Strandhaus mit 15 Ferienwohnungen fertig, zeitgleich ein Bistro. 2019 folgte das Dünenhaus mit acht Doppelzimmern und vier Apartments.

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Geht es nach den Investoren, ist das Wachstum noch nicht abgeschlossen: Wiebke-Sophie Volquardsen, Tourismus-Unternehmerin in Holnis, plant je ein weiteres Strand- und Dünenhaus. Der Glück-in-Sicht-Erbauer Christoph Koeppen möchte ebenfalls eine weitere Ferienhausanlage auf Holnis bauen. Viele Anwohner sind dagegen. Ihnen wird es langsam zu voll.

Nabu ärgert sich über E-Biker

Auch Club Nautic in Schausende ist dabei, sich Optionen für einen neuen vorgelagerten Steg für 10 Boote über 12 Metern Länge und einen Opti-Steg zu sichern, des weiteren ein Multifunktionshaus. Der Bauausschuss berät.

Der Nabu richtete in diesem Jahr einen Aufruf an E-Biker und Hundehalter, im Naturschutzgebiet von Holnis mehr Rücksicht zu nehmen. Hier sind nicht nur Urlaubsgäste, sondern seit Corona auch vermehrt Ausflugsgäste anzutreffen, die häufig mit dem E-Bike kommen.

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Die E-Biker sind auch für Wiebke-Sophie Volquardsen ein Problem: „Es ist gefährlich für Kinder“, urteilt die bald achtfache Großmutter. Sie wünscht sich ein eigenes Wegesystem für die schnellen Radfahrer.

100-prozentige Auslastung

Für Dieter Haas vom Strandhotel ist die 100-prozentige Auslastung im Sommer nicht ungewöhnlich. Das ausgebaute Bistro „Sandwig“ sei rechtzeitig fertig geworden, um vielen Menschen die „1-A-Abendsonne“ bieten zu können. Wie viele seiner Mitstreiter hat er seit Corona mit der Abwanderung von Personal zu kämpfen. „Einige sitzen jetzt im Supermarkt an der Kasse.“ Haas findet diese Einstellung kurzsichtig. Der direkte Gästekontakt in Gastronomie und Beherbergung sei nicht so leicht zu ersetzen.

Yvonne Koeppen, zuständig für das Marketing von Intermar, Glück in Sicht sowie den zugehörigen Restaurants Gudlak und Glückselig, bestätigt ebenfalls, in den Sommermonaten voll ausgebucht zu sein. „Darauf sind wir aber eingestellt“, sagt sie. Das feste Team mit Azubis werde über die Sommermonate durch Saisonkräfte und Aushilfen verstärkt.

20-Stunden-Tag für Edeka-Chef

Der Betreiber des örtlichen Edeka-Marktes, Wolfgang Matthiessen, hat zur Zeit einen 20-Stunden-Tag. Die lange geplante Vergrößerung der Verkaufsfläche um 500 Quadratmeter für über zwei Millionen Euro fällt nun ausgerechnet in die Hochsaison. Doch weder Schließung noch Termin-Verlegung schienen dem einzigen Nahversorger vor Ort geeignet zu sein.

Glücksburgs Bürgermeisterin Kristina Franke glaubt nicht, dass die Tourismuskurve weiter so ansteigt wie in den letzten zwei Jahren. Außerdem hat sie den Eindruck, dass sich die Glücksburger zu helfen wissen: „Die verstecken sich während der Hochsaison in ihren Gärten und kommen erst raus, wenn die Touristen weg sind.“

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