Theater
Die Stimme der kahlgeschorenen Frau
Die Stimme der kahlgeschorenen Frau
Die Stimme der kahlgeschorenen Frau
Die Frauen, die sich während der Besatzung mit deutschen Soldaten einließen, wurden als „Tyskerpiger“ beschimpft. Die Theaterautorin und Schauspielerin Christina Tranholm erzählt im gleichnamigen Stück die Geschichte aus ihrer Perspektive. Kommendes Wochenende ist es in Kopenhagen zu sehen.
Es war zunächst ein Foto, dass Christina Tranholm neugierig machte. Es fiel ihr vor mehr als zehn Jahren in die Hände und zeigt eine Frau, der die Haare abgeschoren worden waren. Ihr Vergehen war, dass sie während des Zweiten Weltkrieges eine Liebesbeziehung zu einem deutschen Besatzungssoldaten gehabt hatte.
„Als Schauspielerin hat man manchmal so eine Neugierde, die bedeutet, dass man denkt, das könnte ich mir vorstellen zu spielen“, sagt sie.
Sie fand jedoch zunächst wenig Information über die Mädchen, die als „Tyskerpiger“ beschimpft wurden. Eine Zeit lang spukte der Gedanke daher eher in ihrem Hinterkopf herum.
Tagebuchnotizen
Ihr Interesse wurde dann vor allem wieder geweckt, als „DR“ 2016 die Dokumentarserie „Min Mor var tyskertøs“ sendete. Wie der Titel besagt, geht es um die Schicksale der Kinder, die aus den Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und dänischen Frauen entstanden sind.
„Mir gefielen die persönlichen Berichte der Kinder, deren Mutter eine „Tyskerpige“ war, sehr, aber mir fehlte am meisten die Erzählung der Frau selbst. Ich wollte ihr eine Stimme verleihen.“
Die Schauspielerin begann zunächst, fiktive Tagebuchnotizen zu schreiben, anhand derer sie versuchte, sich in die Lage so einer jungen Frau hineinzuversetzen. Sie recherchierte gleichzeitig immer mehr zu dem Thema. Die Tagebuchaufzeichnungen entwickelten sich zu einem Theaterstück, in dem Tranholm selbst die weibliche Hauptrolle Ingrid spielt.
„Mir ist ausgesprochen wichtig, dass die Darstellung der Frau authentisch ist. Es muss realistisch sein, und Menschen, die zu dem Thema einen Bezug haben, wie zum Beispiel die genannten Kinder, müssen sich in dem Stück spiegeln können“, betont Tranholm.
Gut oder böse
Sie interessiert vor allem an dem Thema, dass es neue Sichtweisen auf den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzung ermöglicht.
„Wenn wir über den Zweiten Weltkrieg sprechen, geht es schnell um die Guten und die Bösen und es wird schnell entweder schwarz oder weiß. Und das verstehe ich durchaus, denn es sind viele schreckliche Dinge passiert. Aber mir fehlen die Zwischentöne.“
„Wir haben das auch im Team viel besprochen: Wer wäre ich während des Krieges gewesen? Widerstandskämpfer, „Tyskerpige“ oder irgendwer dazwischen?“
Maj Rafferty führt die Regie.
„Während der Probenzeit haben wir häufig die Frage des Bösen diskutiert. Wann wählt man die Seite und warum? Letztlich ist es ja häufig der Zufall, der entscheidet. Wir stellen die Frage, ob man immer noch idealistisch bleibt, wenn man sich in den Verkehrten verliebt“, meint sie.
Die Frauen als Sündenbock
Und der Verkehrte ist in diesem Fall der Wehrmachtsoldat Mathias, gespielt von Alban Lendorf.
„Für mich geht es auch darum, was passiert, wenn eine Gesellschaft sich nach Sündenböcken sehnt“, meint er.
Er weist darauf hin, dass der Widerstand gegen die deutsche Besatzung verhältnismäßig bescheiden war. Dass viele Widerstandskämpfer erst gegen Ende des Krieges in Erscheinung traten.
„Jene, die man ‚Tyskerpiger‘ nannte, haben wohl in den Nachwehen des Krieges das kürzeste Los gezogen, als man nach jemandem suchte, an dem man seine Wut auslassen konnte. Die Deutschen waren weg, und man brauchte jemanden, dem man die Schuld zuweisen konnte“, so die Überlegung des Schauspielers.
„Ich kann diesen Gedanken, wo kann ich meine Wut loswerden, durchaus auch bei mir erkennen.“
„Im Bett mit dem Feind“
Christina Tranholm sieht im Umgang mit den Frauen auch den Bedarf, sich öffentlich die Hände zu waschen.
„Diese Frauen waren ja ganz buchstäblich mit dem Feind im Bett gewesen.“
Für Regisseurin Maj Rafferty ist es kein Zufall, dass diese Nachkriegswut ausgerechnet Frauen trifft.
„Eigentlich sind es ja nur zwei Personen, die sich ineinander verlieben. Aber der Körper der Frau wird ein öffentliches Symbol, über welches es legitim ist zu diskutieren, ob sie das Richtige oder das Verkehrte getan hat, und die man dann strafen darf“, meint sie, die durchaus Bezüge zur aktuellen Metoo-Debatte erkennt.