Leitartikel

„Wähler bestrafen Zynismus“

Wähler bestrafen Zynismus

Wähler bestrafen Zynismus

Kopenhagen/Toronto
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Sollte Mette Frederiksen durch das Umfragehoch in die Versuchung geraten, vorgezogene Neuwahlen auszuschreiben, sollte sie einen Blick ins ferne Kanada werfen, meint Walter Turnowsky. Der Versuch des Premiers Justin Trudeau, seine coronabedingte Popularität auszunutzen, ging schief.

Der Umgang mit der Corona-Krise hat Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) nun eineinhalb Jahre lang ein Hoch in den Umfragen beschert.

Dies hat unter anderem dazu geführt, dass die Gerüchte von vorgezogenen Neuwahlen immer wieder wie Krähen über Christiansborg gekreist sind. Zunächst meinten einige politische Kommentatoren, sie werde bereits jetzt im Herbst, nachdem die Corona-Epidemie in Dänemark unter Kontrolle gekommen ist, gleichzeitig mit den Kommunalwahlen Folketingswahlen ausschreiben.

Nachdem die Regierung dann Anfang des Monats ihr Reformpaket „Danmark kan mere I“ vorgestellt hat, hieß es, dies sei das Vorspiel für eine Frühjahrswahl.

Die Einzige, die weiß, wann die Wahl kommt, nämlich die Staatsministerin selbst, hält sich wohlweislich bedeckt. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass sie längerfristig denkt, und daher nicht versuchen wird, einen schnellen Corona-Gewinn einzustreichen.

Hinzu kommt, dass die Werte der Sozialdemokraten zwar immer noch über dem Wahlergebnis liegen, aber nun nicht mehr so gut sind wie noch vor Monaten.

Sollte Frederiksen dennoch durch gute Umfragen in Versuchung geraten, vorgezogene Neuwahlen auszuschreiben, kann ein Blick ins ferne Kanada sie eines Besseren belehren.

Die Wählerinnen und Wähler nahmen es ihm übel, dass er ohne Not Neuwahlen ausgeschrieben hatte.

Walter Turnowsky

Der liberale Premierminister Justin Trudeau hatte im August Neuwahlen ausgeschrieben. Ähnlich wie Frederiksen hatte er durch den Umgang mit der Corona-Krise an Popularität gewonnen.

2015 wurde er als politischer Rockstar gefeiert, nachdem er mit einem modernen Stil seiner Partei, den Liberalen, einen fulminanten Wahlsieg und die absolute Mehrheit beschert hat. Vier Jahre später war der Lack nach Kritik seiner Klimapolitik und einer Blackfacing-Affäre ab, und er verlor die absolute Mehrheit.

Im August wollte er dann die während der Corona-Krise wiedergewonnene Popularität nutzen, um erneut allein regieren zu können. Doch die Wählerinnen und Wähler nahmen es ihm übel, dass er ohne Not Neuwahlen ausgeschrieben hatte. Allzu durchschaubar war das Manöver gewesen.

Am Ende hat er nun ungefähr ebenso viele Mandate wie vorher und muss weiterhin eine Minderheitsregierung leiten.

Sollte Frederiksen also mehr als ein Jahr vor dem letztmöglichen Termin Wahlen ausschreiben, könnte es ihr ergehen wie dem Kollegen Trudeau: Außer Spesen nix gewesen.

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