Diese Woche in Kopenhagen

„Gemeinsam, jeder für sich“

Gemeinsam, jeder für sich

Gemeinsam, jeder für sich

Kopenhagen
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Die SVM-Koalition kränkelt vor sich hin – zumindest was die Unterstützung der Wählerschaft betrifft. Walter Turnowsky meint, dass sie sich jetzt eine Kur verschrieben hat. Die drei Parteien sollen eigenständigere Positionen vertreten können.

Während der Corona-Zeit gab die Gesundheitsbehörde die Parole „Sammen, hver for sig“ (Gemeinsam, jeder für sich) aus.

Mittlerweile ist die Pandemie längst vorbei, aber die SVM-Regierung leidet an einer anderen Krankheit: der Schwindsucht. Und das ist gar nicht schön, wenn man doch eine Mehrheitsregierung sein möchte. 

Die Diagnose

Die Wählerinnen und Wähler der drei so unterschiedlichen Parteien entziehen ihnen nämlich die Liebe. Und genau in den Unterschieden liegt das Problem. Wer die Sozialdemokratie gewählt hat, tat das in der Erwartung, dass sozialdemokratische Politik geführt wird. Und wer sein Kreuzchen bei V wie Venstre gemacht hat, hoffte auf eine rechtsliberale Politik.

Nur die Wählerschaft der Moderaten hat so einigermaßen das bekommen, was sie wollte, nämlich die breite Regierung über die Mitte hinweg. Aber selbst sie ist mit der Politik, die jene Regierung führt, nicht so richtig glücklich. 

Die Symptome

Bis vor zweieinhalb Monaten konnten die drei Regierungsparteien sich noch damit trösten, dass es ja nur Umfragen seien. Seit der Europawahl am 9. Juni klappt das aber nicht mehr. Vor allem die Sozialdemokratie musste Federn lassen und landete hinter der Sozialistischen Volkspartei (SF) an zweiter Stelle. Das passt so gar nicht zum Selbstverständnis der alten Arbeiterpartei.

Da hat sich die Regierungsspitze gedacht: Graben wir doch die Parole aus Corona-Zeiten wieder aus. Wir bleiben zwar harmonisch beisammen, lassen aber zu, dass die sozialdemokratische Chefin auch mal etwas Sozialdemokratisches sagt und der Venstre-Häuptling etwas Liberales. 

Die Kur

Und Erstere, Mette Frederiksen heißt sie bekanntlich, hat überlegt, was könnte sozialdemokratischer sein als die Renten für hart arbeitende Menschen? Das hat doch damals so gut funktioniert, als der nette Arne von Fuglsang ihr half, sich den Staatsministersessel zu schnappen.

Die Arne-Rente hat Mette dann auch fleißig erwähnt, als sie ihren neuen Gedanken bei einer Pressekonferenz begründete. Und der Gedanke ist, dass das Rentenalter nicht mehr entsprechend dem erwarteten Lebensalter steigen soll. Einmal macht sie das noch mit, nämlich wenn das Rentenalter der jetzt unter 53-Jährigen auf 70 Jahre steigen soll, aber dann ist Schluss. 

Die Wohlfahrts-Absprache aus dem Jahr 2006 will die Staatsministerin neu verhandeln, schließlich könne das Rentenalter nicht ewig steigen. Als SF im Mai dasselbe sagte, bezeichnete der sozialdemokratische Fraktionssprecher Christian Rabjerg Madsen dies noch als hochgradig verantwortungslos (topmålet af økonomisk uansvarlighed). Doch das war eben vor der Europawahl. Außerdem, so Frederiksen, würde die Sozialdemokratie ja etwas vollkommen anderes vorschlagen, als SF es getan hatte.

Das Geheimrezept

Worin dieses andere besteht, oder überhaupt, was sie vorschlägt, will die Parteichefin jedoch (noch) nicht verraten – was es natürlich ein wenig schwierig macht, den genauen Unterschied zu den Überlegungen von SF einzuschätzen.

Eines war jedoch deutlich herauszuhören: Das Rentenalter soll zukünftig nicht für alle gleich sein. Die bereits erwähnten „hart arbeitenden Menschen“ sollen früher in Rente gehen dürfen.

Und Beispiele, wer das sein könnte, hat Mette auch gleich mitgebracht. Diesmal sind es kein Brauereiarbeiter, sondern Straßenpflastererinnen und -pflasterer, von denen man nicht erwarten könne, dass sie arbeiten „bis sie 85 sind“ und Gefängnispersonal, das nicht bis zum 100. Lebensjahr weitermachen könne.

Dabei hat sie geflissentlich unterschlagen, dass dies erfordern würde, dass die durchschnittliche Lebenserwartung auf 105 beziehungsweise 120 Jahre steigen würde. Trotz aller medizinischen Fortschritte habe ich noch nichts davon gehört, dass dies demnächst geschehen wird. 

Aber vielleicht weiß Mette ja mehr als ich. 

Was sie vielleicht auch weiß, aber nur noch nicht sagen will, ist, wo sie das Geld hernehmen möchte. Mehr Buß- und Bettage, die man abschaffen könnte, haben wir nicht – und da der eine bereits abgeschaffte Feiertag so einiges mit der eingangs erwähnten Schwindsucht zu tun hat, würde die SVM-Koalition diesen Weg wohl nicht ein weiteres Mal gehen. 

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