Diese Woche in Kopenhagen

„Historisch – oder doch alles beim Alten?“

Historisch – oder doch alles beim Alten?

Historisch – oder doch alles beim Alten?

Kopenhagen/Brüssel
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Mette Frederiksen wollte einen „modernen“ EU-Haushalt. Sie hat das Gegenteil erreicht, meint Walter Turnowsky, Korrespondent in Kopenhagen.

Als „historisch“ bezeichneten die EU-Regierungschefs fast einhellig das Ergebnis des Verhandlungsmarathons in Brüssel. Nun ist erst einmal nichts Ungewöhnliches dabei, dass man nach Verhandlungen das Ergebnis feiert. Sobald ein Kompromiss ausgehandelt ist, werden ehemalige Kontrahenten zu nahen Verbündeten. Das ist elementare Verhandlungspsychologie.

Aus dem Foto wo die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, die Ellbogen anstoßen, spricht dann auch vor allem eines: Die Erleichterung darüber, dass überhaupt ein Ergebnis erzielt worden ist.

Doch schaut man etwas genauer darauf, wie das Ergebnis erreicht wurde und was es beinhaltet, so ist es wohl ganz berechtigt, dass die EU-Chefs den Sekt im Kühlschrank gelassen und stattdessen mit Saft gefeiert haben.
Gewiss, ein Hilfspaket von 750 Milliarden Euro (5.580 Milliarden Kronen) sind kein Pappenstiel. Wenn die EU die Ausschüttung der Mittel nicht ganz dumm anpackt, dann wird sie wesentlich dazu beitragen, die Wirtschaft innerhalb der EU wieder in Schwung zu bringen.

Doch während der Verhandlungen wurde vor allem eines deutlich: So gut wie alle Länder haben in erster Linie für ihre nationalen Interessen gekämpft. Wenn es um das gemeinsame Wohl ging, blieb es weitgehend bei Lippenbekenntnissen.
So hat Dänemarks Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) verkündet, ihr ginge es um einen „modernen“ Haushalt. Eine Forderung, die durchaus Sinn ergibt. Denn ist es nicht an der Zeit, dass die EU ihre Mittel stärker für Klima, Innovation und Umwelt ausgibt, dafür aber weniger Strukturmittel und Landwirtschaftssubventionen?

Letzteres dient dem Versuch Bestehendes zu bewahren, welches häufig ein unfruchtbares Unterfangen ist. Fragen Sie mal in Städten wie Frederikshavn, Aalborg und Svendborg nach, wie viel die Subventionierung der dortigen Werften gebracht hat. Oder rufen Sie im Ruhrpott an und hören, was die Unterstützung der Kohle langfristig gebracht hat. Investitionen in den Wandel und in Innovation haben sich schon immer besser gerechnet.

Für solche Ziele zu streiten, wäre also durchaus sinnvoll gewesen. Doch letztlich haben Frederiksen und die sparsame Viererbande (die zur Fünferbande wurde) nicht dafür gekämpft. Am Ende ging es ihnen auch nur in zweiter Linie darum, beim Corona-Hilfspaket den Anteil der Kredite möglichst groß zu halten, sondern darum möglichst billig davonzukommen. In ihrem ersten Kommentar hat Frederiksen dann auch die Erhöhung des dänischen EU-Rabatts als entscheidenden Sieg gefeiert.

Geflissentlich unterschlägt sie dabei, dass die Rabatte für Dänemark und die übrigen „Sparsamen“ ausgerechnet bei den „modernen“ Posten im Haushalt zu Einsparungen, im Vergleich zum Vorschlag der Kommission, führen. So wird unter anderem beim Forschungsprogramm „EU Horizon“ gespart. Frederiksen hat also in dem Punkt das genaue Gegenteil von dem erreicht, was sie als Ziel angegeben hatte.

Frederiksens Herangehensweise ist weder neu noch auf Dänemark begrenzt. Seit Jahrzehnten geht es den meisten EU-Ländern (mit unter anderem Deutschland als teilweiser Ausnahme) darum, möglichst wenig in den gemeinsamen Topf einzuzahlen und möglichst viel herauszuholen. Das kann jedoch nicht Sinn und Zweck der Union sein.

Es kann ja logischerweise niemals mehr ausgezahlt werden als eingezahlt wird. Die Gewinne einer EU-Mitgliedschaft müssen in dem Mehrwert liegen, den die Zusammenarbeit und die Gemeinsamkeit erzeugt. Dies gilt wirtschaftlich, aber auch kulturell und geopolitisch.

Dies ist heute dringender notwendig denn je. Klimakrise, Rivalisieren der Großmächte, Zulauf für autoritäre und rechte Parteien sowie Flucht und Migration, sind nur einige der Stichworte.

In puncto Gemeinsamkeit kann man beim Sondergipfel absolut nicht von einem historischen Ergebnis sprechen. Hier war alles mehr oder weniger beim Alten. Der Widerstand gegen die EU dürfte sich wohl auch aus dieser Tatsache speisen.

Man solle eine Krise nie ungenutzt verstreichen lassen, sagte einst Winston Churchill. Frederiksen und ihre 26 EU-Kollegen haben im ersten Versuch die Chance der Corona-Krise vertan. Doch die Krise ist noch nicht verstrichen. Sie kann immer noch genutzt, um die EU zu erneuern.

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