Nur ein Begriff?

Wenn Frauen getötet werden – Femizide benennen, aber warum?

Wenn Frauen getötet werden – Femizide benennen, aber warum?

Wenn Frauen getötet werden – Femizide benennen, aber warum?

Lea Pook/shz.de
Hamburg
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Keine Femizide steht gesprüht an einer Hauswand. Foto: Martin Müller via www.imago-images.de

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Immer mehr Menschen fordern, die Tötungen von Frauen nicht als Familientragödien zu titulieren – aber warum?

Im November 2020 wurde in Schuby eine Frau wahrscheinlich von ihrem Ehemann ermordet, wonach er das Haus anzündete. Zunächst titelte shz.de mit „Familiendrama in Schuby“. Nach internen Absprachen jedoch wurde die Überschrift verändert in „Femizid in Schuby“. Immer wieder brechen in den Kommentarspalten von Zeitungen Stürme der Entrüstung aus: gegen Wörter wie „Eifersuchtsdrama“ und „Familientragödie“ und für die Benennung von der Tötung einer Frau als „Femizid.“

Aber was ist ein Femizid und warum finden viele die Verwendung dieses Wortes so wichtig?

Es geht nicht um Einzelfälle, sondern Strukturen

Femizid bedeutet, dass eine Frau ermordet wurde, weil sie eine Frau ist. Verfechterinnen und Verfechter dieses Begriffs geht es um eine Thematisierung struktureller Machtverhältnisse.

Die Vorsitzende der djb-Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes (djb) Dr. Leonie Steinl sagt dazu: „Hass auf Frauen ist kein Einzelphänomen, sondern eingebettet in patriarchale gesellschaftliche Strukturen.“ Aber was bedeutet das?

Wenn eine Frau getötet wird, dann meist innerhalb von partnerschaftlichen Beziehungen, besonders nach einer erfolgten oder durch die Frau angekündigten Trennung. Tötungsdelikte werden laut Bundeskriminalamt dreimal häufiger von Männern als von Frauen begangen, aber fast die Hälfte der Opfer sind weiblich.

Tötungsdelikten in Beziehungen gehen oft Misshandlungen voraus – und es ist wahrscheinlicher, dass die misshandelte Partnerin ermordet wird, als dass sie denjenigen ermordet, der sie misshandelt. Männer in Beziehungen müssen sich meist nicht sorgen umgebracht zu werden, auch wenn sie verkünden sich trennen zu wollen – Frauen eher schon. Das zeigt, dass viele Partner immer noch antiquierte Besitzansprüche an ihre Partnerinnen hegen und ihnen keine selbstbestimmten Entscheidungen zugestehen.

„In Deutschland ist durchschnittlich jeden Tag eine Frau von einem versuchten oder vollendeten Tötungsdelikt durch den eigenen Ehemann, Partner oder Ex-Partner betroffen. Jede Woche sterben dabei drei Frauen. […] Das tatbestimmende Motiv ist in diesen Fällen oft patriarchalisches Herrschafts- und Besitzdenken des Täters in Bezug auf eine Frau, die dabei ist, sich diesem zu entziehen. Die Taten sind also Ausdruck […] von geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit“

Deutscher Juristinnenbund (djb)

Cornelia Möhring, stellvertretende Vorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke sagt:

Femizide sind bittere Realität in Deutschland. Allein im Februar sind zwanzig Frauen getötet worden.

Cornelia Möhring, Die Linke

Diese Tötungen sind keine Privatangelegenheit

Da Tötungsdelikte an Frauen häufig im privaten Umfeld stattfinden, ermöglicht der Begriff des Femizids – im Gegensatz zur „Familientragödie“ oder zum „Ehedrama“ – die Tat aus dem privaten – häufig besonders stark von patriarchalen Geschlechternormen geprägten – Raum in eine öffentliche Arena zu verschieben. Es soll deutlich werden, dass es nicht um ein unglückliches Einzelschicksal oder nicht zu verhinderndes und völlig überraschendes Pech geht, sondern um Strukturen, für die gesellschaftlich und politisch Verantwortung übernommen werden kann und muss.

Auch die Rechtsprechung kommt in den Fokus

Und vor allem geht es nicht nur um das Austauschen von Wörtern, sondern um Rechtsprechung, Forschung und Prävention.

Bei Tötungsdelikten gibt es im deutschen Recht zwei Wege, die Richterinnen und Richter einschlagen können: Mord oder Totschlag. Für Totschlag erhält man fünf bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe, für Mord eine lebenslange. Um für Mord verurteilt zu werden muss die Tötung eines Menschen nicht nur als vorsätzlich, sondern auch als besonders verwerflich eingeschätzt werden.

Hat der Täter auch sich selbst geschadet mit der Tat?

Als besonders verwerflich gelten zum Beispiel „niedrige Beweggründe“ – Beweggründe, die besonders unsittlich und „verachtenswert“ sind. Doch die Einschätzung davon, was verachtenswert ist, wird von den Richtern individuell getroffen. Exklusive Besitzansprüche eines Partners können als „niedrige Beweggründe“ gelten.

Doch viele Richter sehen das umgekehrt. Sie beziehen sich in ihrer Argumentation auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2008. Damals bezog das Gericht in seine Entscheidung mit ein, dass "die Trennung von dem Tatopfer ausging und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will". Der Täter habe sich also auch selbst zum Opfer gemacht, indem er seine Frau tötete, weil sie sich trennen wollte – denn er wollte sie ja eigentlich nicht verlieren.

Verständnis für den Täter: Wollte sie sich trennen?

Richter hegen immer wieder Verständnis für den Täter. So werden oftmals vor Gericht keine „niedrigen Beweggründe“ attestiert, wenn die Frau die Trennung initiierte und beim Täter Gefühle der Verzweiflung und Enttäuschung die Tat beeinflussten. Doch da die von der Frau verkündete Trennung der häufigste Anlass für männliche Tötungsdelikte in Partnerschaften ist, plädieren viele dafür, gerade solche Taten härter zu bestrafen, um sie zu verhindern, anstelle die dahinterliegenden Vorstellungen durch mildere Urteile zu bestätigen.

Oftmals wird vor Gericht auch untersucht und in das Urteil mit einbezogen, ob es für die Eifersucht des Ehemanns oder Partners einen triftigen Grund gegeben hat. Das jedoch sei eine Opferumkehr, sagt der djb. Egal, ob die Frau sich trennen wollte oder Anlass zu Eifersucht gegeben hat – Verständnis für einen daraus folgenden Mord zu hegen, gründe auf veraltetem Besitzdenken.

Nach Ehebruch gibt es noch mehr Verständnis für Tötungen

Noch extremer ist es, wenn – wie häufig – ein minder schwerer Fall des Totschlags festgestellt wird, wenn die Frau im Vorhinein Ehebruch begangen hat, was laut djb „auf antiquierten und maskulinen Ehrvorstellen“ basiere. Denn „in einem selbstbestimmten Verhalten des Opfers – sei es ausgedrückt durch einen Ehebruch oder eine Trennung – auf Grundlage der Gleichstellung und Gleichwertigkeit der Frau [darf] keineswegs mehr eine Provokation gesehen werden und ein minderschwerer Fall des Totschlages angenommen werden“.

Derartige Urteile senden ein Signal – es wird Verständnis für den Täter hergestellt und gleichzeitig Frauen signalisiert, dass sie für selbstbestimmtes Verhalten womöglich bestraft werden – und dass die Gesellschaft sie nicht ausreichend schützt. Wenn der Trennung womöglich – wie häufig der Fall – eine langjährige, von körperlicher Gewalt geprägte Beziehung vorausgegangen ist, ist das umso fataler.

Es fehlen Statistiken und Forschung

Das Ziel dieser Auseinandersetzunge sind nicht in erster Linie höhere Strafen, sondern die Anerkennung der potenziellen Tödlichkeit patriarchaler Geschlechternormen und ihre Veränderung.

Femizide als solche zu benennen und als Ausdruck der strukturellen Gewalt an Frauen anzuerkennen, würde einen Schritt aus diesen Strukturen heraus bedeuten. Durch die Verwendung des Begriffs auch vor Gericht, in der polizeilichen Arbeit und in der Wissenschaft könnte unter anderem die Erfassung in Statistiken – zum Beispiel des Bundeskriminalamts – ermöglicht werden. Dadurch wiederum würde die Erforschung erleichtert, denn derzeit fehlen Informationen und Zahlen: Welche Gruppen an Frauen sind besonders betroffen? Unter welchen Umständen? An welcher Stellschraube kann eine effektive Prävention ansetzen? Diese Fragen könnten dann womöglich besser beantwortet und so wirkungsvolle Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.

Schulungen können helfen, Tötungen zu verhindern

Gleichzeitig sollten laut djb Polizei, Verwaltung und Justiz verpflichtend geschult werden. Fachpersonal müsse sensibilisiert werden, aber vor allem fehle es an Kooperation zwischen Behörden, Frauenhäusern, der Polizei und Bildungsorten. Viele Tötungen kündigten sich an und wären zu verhindern.

Wichtig sei aber auch die Täterarbeit – Beratungsstellen sowie ambulante und stationäre Therapieeinrichtungen.

Und nicht zuletzt gehe es vor allem um das, was sich immer noch in den Köpfen abspielt: patriarchale Denkmuster und geschlechtsspezifische Abwertung müssten auf gesellschaftlicher Ebene bekämpft werden. „Dazu bedarf es öffentlichkeitswirksamer Kampagnen zur gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsbildung und Lehrpläne, die Themen wie Gleichstellung, geschlechtsbezogene Gewalt sowie Geschlechterrollenstereotypen auf allen Ebenen des Bildungssystems behandeln“, so der djb.

Und an dieser Stelle spielen auch die Medien, als Verbindung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und als Spiegel der gesellschaftlichen Realität eine Rolle. Auch sie können Tatbestände als das benennen, was sie sind: kein trauriges Drama – ein Einzelfall, der tragisch, unverständlich und schockierend ist, sondern: ein Femizid, ein Mord, der eingebettet in Strukturen stattfindet, gegen die etwas unternommen werden kann, wenn den Tatsachen ins Auge geblickt wird.

 

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