Nahost-Konflikt

Gaza-Gespräche sollen auch Nahost-Flächenbrand verhindern

Gaza-Gespräche sollen auch Nahost-Flächenbrand verhindern

Gaza-Gespräche sollen auch Nahost-Flächenbrand verhindern

dpa
Doha/Tel Aviv
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Israels rechtsextremer Polizeiminister Ben-Gvir sorgt mit einem Besuch des Tempelbergs für scharfe Kritik der USA. Foto: Ohad Zwigenberg/AP/dpa

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Seit Tagen ist Israel in Alarmbereitschaft wegen eines möglichen Angriffs des Irans und seiner Verbündeten. Bei neuen Verhandlungen in Doha über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg steht viel auf dem Spiel.

Begleitet von Sorgen wegen eines drohenden Flächenbrands im Nahen Osten stehen im Konflikt zwischen Israel und der islamistischen Hamas möglicherweise entscheidende Gespräche an. Auf Drängen der Vermittler USA, Katar und Ägypten ist am Donnerstag eine Verhandlungsrunde über eine Waffenruhe geplant, bei der es erneut um den Austausch von Geiseln gegen palästinensische Gefangene gehen soll. Ein Durchbruch könnte aber auch einen Vergeltungsschlag des Irans gegen Israel verhindern - und damit eine Ausweitung des Krieges deutlich über den Gazastreifen hinaus. 

Die Gespräche sollen in Katars Hauptstadt Doha stattfinden, wie die Deutsche Presse-Agentur aus mit den Gesprächen vertrauten Kreisen erfuhr. Teilnehmen sollen wie bei den jüngsten Gesprächen in Rom demnach erneut CIA-Chef William Burns, Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani und Ägyptens Geheimdienstchef Abbas Kamel. Für Israel werde der Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, erwartet. 

Die islamistische Hamas will nicht an den Gesprächen teilnehmen ohne eindeutigen Plan zur Umsetzung der Vorschläge von US-Präsident Joe Biden für eine Waffenruhe. Man werde «nicht unter Beschuss verhandeln», erfuhr die dpa aus Hamas-Kreisen. Dem «Wall Street Journal» zufolge wollen arabische Vermittler die Hamas nach den Gesprächen über die besprochenen Punkte informieren. Die Hamas und Israel verhandeln nicht direkt miteinander.

Nervenkrieg vor Gaza-Gesprächen - Hoffnung auf Erfolg

Nach der Tötung eines wichtigen Vertreters der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon und des Auslandschefs der Hamas in der iranischen Hauptstadt Teheran vor gut zwei Wochen wird seit Tagen ein großer Angriff Irans und seiner Verbündeten auf Israel befürchtet. Die Islamische Republik, die Hisbollah und die islamistische Hamas im Gazastreifen kündigten Vergeltung an. 

Im April hatte der Iran erstmals direkt Israel angegriffen als Vergeltung für einen mutmaßlich israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulargebäude in Syrien. Die Attacke fiel begrenzt aus - die mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern konnten zum Großteil von Israel mit Unterstützung von Partnern und Ländern in der Region abgewehrt werden. Befürchtet wird, dass es nun einen koordinierten Angriff gegen Israel geben könnte - gemeinsam mit der Hisbollah, der Huthi-Miliz im Jemen sowie Iran-treuen Milizen in Syrien und im Irak. Mit schätzungsweise 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern gilt die Hisbollah in der Region als schlagkräftigste Miliz. 

Die israelische Armee ist in Alarmbereitschaft und behält sich nach offiziellen Angaben auch Offensivmaßnahmen vor. Sie kann unter anderem auf die Unterstützung der USA setzen. Diese haben ihre Militärpräsenz in der Region stark ausgebaut. Im Iran gelten die USA wie Israel als erklärte Erzfeinde. Zwischen beiden Ländern wurde mehrfach ein offener militärischer Konflikt befürchtet, vor allem nach der Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch einen US-Drohnenangriff im Jahr 2020 im Irak.

Ausgang der Gespräche ungewiss - Was macht der Iran?

Was die Gespräche bringen können, ist völlig ungewiss. Zuletzt hatten die Verhandlungen kaum Fortschritte gebracht. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies Vorwürfe zurück, neue Bedingungen gestellt und einen Deal so blockiert zu haben. Er warf der Hamas vor, neue Forderungen erhoben zu haben. Netanjahu will die Hamas militärisch zerschlagen. Diese soll nicht mehr in der Lage sein, das Küstengebiet zu regieren. 

Netanjahu regiert in einer Koalition mit ultrareligiösen und rechtsextremen Partnern. Diese sind strikt gegen Zugeständnisse an die Hamas. Seine Gegner werfen Netanjahu vor, sich an seine Koalitionspartner zu klammern, weil er bei Neuwahlen unterliegen könnte. Der Verlust seines Amtes würde wiederum die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen beschleunigen, in die Netanjahu verwickelt sein soll. 

Die USA hatten Ende Mai den Entwurf eines Deals vorgestellt, der zunächst eine vollständige und uneingeschränkte Waffenruhe von sechs Wochen vorsieht. In diesem Zeitraum würde eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen. Im Gegenzug würden Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind. Danach würden die Kämpfe dauerhaft eingestellt und die verbliebenen Geiseln freigelassen. In einer letzten Phase soll demnach der Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.

Einem Fernbleiben der Hamas von den geplanten Gesprächen bauen die Vermittler bereits vor. In dem Fall werde man die Gruppe über die besprochenen Bedingungen für ein Abkommen informieren, zitierte das «Wall Street Journal» arabische Vermittler. 

Die Vermittler hatten Israel und die Hamas kürzlich zu einem Abkommen gedrängt. Man werde versuchen, «kreativ und durchsetzungsfähig zu sein, um die Sache über die Ziellinie zu bringen», sagte zuletzt John Kirby, der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates in den USA.

Irans Dilemma: Rache üben oder Gaza-Gespräche abwarten?

Der Iran hat einen Vergeltungsschlag für die Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija vor fast zwei Wochen angedroht, seitdem aber nicht durchgeführt. «Man kann sich einerseits als revolutionäres und anti-israelisches Land nicht leisten, auf einen Racheakt zu verzichten, andererseits ist man sich aber auch der desaströsen Folgen eines Vergeltungsschlags bewusst», erklärt ein Politologe in Teheran das Dilemma. 

Ein Krieg würde nicht nur die Wirtschaftskrise im Iran verschärfen, sondern könnte auch zu erneuten Unruhen führen. Rechnen müsste Teheran außerdem mit der Beteiligung der USA als wichtigsten Verbündeten Israels - und mit einer israelischen Antwort. Auf den Angriff des Irans im April hatte Israel mit einem begrenzten Schlag reagiert, was dem Iran ermöglichte, auf eine Gegenreaktion zu verzichten. Doch dass Israel eine Luftwaffenbasis in der Provinz Isfahan unweit iranischer Atomanlagen angriff, sahen einige Beobachter durchaus als klare Botschaft Israels an den Iran: dass ein Angriff auf Atomanlagen möglich ist. 

Die Atomanlagen in der Islamischen Republik gelten als mögliche Ziele Israels und seiner Verbündeten. Der Iran behauptet, die Einrichtungen, insbesondere die in Natans in Zentraliran und Fordo südlich Teherans, seien militärisch bestens geschützt. 

Bislang deuteten die Aussagen in Teheran darauf hin, dass der Iran zumindest bis nach den Gaza-Gesprächen von einem Vergeltungsschlag absehen wolle, sagt der iranische Politologe. «Danach werden wir sehen, ob das Regime sich starrköpfig für eine Blutrache oder doch rational für eine politische Option entscheidet.»

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