Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

dpa
Kiew/Moskau
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Ukrainische Soldaten installieren ein Maschinengewehr auf einem Panzer. Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

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Für die Ukraine ist Russlands Gas-Lieferstopp ein Beweis für eine kriminelle Wirtschaftspolitik. Unterdessen protestiert Moskau gegen eine US-Waffenlieferung an Kiew. Die Entwicklungen im Überblick.

Wegen der gestoppten Gasversorgung von Polen und Bulgarien hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Russland «Erpressung» vorgeworfen.

Das Einstellen der Lieferungen zeige, «dass niemand in Europa auf eine normale wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland hoffen» könne, sagte er. Unterdessen beklagte die Ukraine erneut Tote und Verletzte nach russischen Angriffen. Die Lage im prorussischen Separatistengebiet Transnistrien beobachtet die ukrainische Regierung nach Berichten über Explosionen aufmerksam.

Kiew hat «Brückenkopf» Transnistrien im Blick

«Wir haben Transnistrien immer als Brückenkopf betrachtet, von dem gewisse Risiken für uns ausgehen können», sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak nach Angaben der Agentur Unian am Mittwochabend. Die ukrainische Führung sei sich der von Transnistrien ausgehenden Gefahren bewusst, weshalb in den ukrainischen Regionen Odessa und Winnyzja «unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung alles gut durchdacht» sei. Die jüngsten Explosionen bezeichnete er als Versuch der Provokation. «Es ist alles so, wie es die Russische Föderation immer macht.» Rückhalt der Separatisten in der von Moldau abtrünnigen Region ist ein Kontingent dort stationierter russischer Soldaten.

Kiew: Verwaltungschefs in Cherson von Russen entführt

Während der russischen Besatzung wurden im südukrainischen Gebiet Cherson nach Angaben aus Kiew die Chefs von 35 der 49 Verwaltungseinheiten entführt. «17 von ihnen wurden freigelassen, aber viele sind in Gefangenschaft», schrieb die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram. Die russischen Truppen «entführen und foltern die Bewohner der vorübergehend besetzten ukrainischen Gebiete, sie plündern Weltkulturerbestätten».

Das Gebiet Cherson ist fast vollständig von Russland besetzt. Seit Kriegsbeginn gibt es immer wieder Berichte über Verschleppungen von demokratisch gewählten Bürgermeistern und Gebietsvorstehern in besetzten Gebieten, die eine Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht verweigern. Besonders bekannt wurde vor einigen Wochen der Fall des Stadtoberhaupts von Melitopol im Gebiet Saporischschja, der von den Ukrainern gegen mehrere russische Kriegsgefangene freigetauscht wurde.

«Russland betrachtet jeglichen Handel als Waffe»

Präsident Selenskyj kritisierte unterdessen den russischen Lieferstopp für Gas an Polen und Bulgarien scharf. «In dieser Woche hat die russische Führung eine neue Serie von Energieerpressungen gegenüber den Europäern begonnen», sagte er in einer Videobotschaft. «Russland betrachtet nicht nur Gas, sondern auch jeden anderen Handel als Waffe.» Dafür warte Moskau nur auf einen günstigen Moment.

«Entweder um die Europäer damit politisch zu erpressen. Oder um die russische Kriegsmaschinerie zu stärken, die ein geeintes Europa als Ziel ansieht», meinte Selenskyj. Je früher Europa erkenne, dass es im Handel nicht von Russland abhängig sein könne, desto eher werde die Stabilität der europäischen Märkte gewährleistet sein.

Russland kritisiert Weitergabe von US-Hubschraubern

Russland protestierte unterdessen gegen die Weitergabe von Hubschraubern aus russischer Produktion an die Ukraine durch die USA. Der Vertrag von 2011 lege fest, dass die Hubschrauber für Afghanistan vorgesehen seien und nur mit russischer Zustimmung an andere Länder weitergegeben werden dürften, teilte die für militärtechnische Zusammenarbeit zuständige Behörde FSWTS mit. Eine Belieferung der Ukraine sei rechtswidrig und eine grobe Vertragsverletzung.

Vor Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar hatten die USA der Ukraine fünf der ursprünglich für Afghanistan bestimmten Hubschrauber vom Typ Mi-17 überlassen. Mitte April kündigte Washington an, Kiew elf weitere Hubschrauber zu schicken. Die USA hatten die Maschinen russischer Bauart zunächst für die afghanischen Streitkräfte angeschafft, es kam jedoch wegen der Machtübernahme durch die Taliban nicht zu einer Übergabe.

London: Russland ganz aus der Ukraine zurückdrängen

Die britische Außenministerin Liz Truss hat das Ziel formuliert, russische Truppen vollständig aus der Ukraine vertreiben zu wollen. «Wir werden schneller handeln und weiter gehen, um Russland aus der gesamten Ukraine zu verdrängen», sagte Truss am Mittwochabend in London in einer Rede zur Sicherheitspolitik. Damit wären Kommentatoren zufolge nicht nur die seit Ende Februar angegriffenen Regionen gemeint, sondern auch die bereits 2014 von Moskau annektierte Halbinsel Krim und Teile der schon lange umkämpften Donbass-Region.

Truss rief Londons westliche Verbündete dazu auf, ihre Anstrengungen zu verstärken und sprach sich deutlich für die weitere Lieferung schwerer Waffen - darunter auch Flugzeuge - aus. Ein Sieg der Ukraine in diesem Krieg sei nun ein «strategischer Imperativ» für den Westen.

«Wir haben Russland gezeigt, was wir bereit sind zu tun, wenn internationale Regeln missachtet werden», sagte die konservative Politikerin. Man müsse sich nun - etwa mit Blick auf China - auch bereits vor weiteren Aggressionen in der Zukunft schützen.

Verstärkte russische Angriffe im Osten

Die russischen Streitkräfte haben nach Angaben des Generalstabs in Kiew das Tempo ihrer Angriffe im Osten der Ukraine deutlich erhöht. Die russischen Besatzer würden praktisch von allen Seiten intensiv angreifen und Ziele unter Beschuss nehmen, teilte der Stab am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt mit. Moskau ziehe zusätzliche Kräfte in die Nähe von Isjum im Gebiet Charkiw zusammen - mit dem Ziel, die Verteidiger der Ukraine im Osten einzukreisen, hieß es weiter.

Der Gegner strebe vor allem weiter nach voller Kontrolle über die Gebiete Luhansk und Donezk, um einen Landkorridor zur Schwarzmeer-Halbinsel Krim zu etablieren. Nach Darstellung des Generalstabs in Kiew nutzen die russischen Streitkräfte auch weiter den Flughafen von Melitopol im Gebiet Saporischschja als Basis für ihre Kampfflugzeuge und –hubschrauber.

Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, berichtete im Nachrichtenkanal Telegram von schweren Zerstörungen in den umkämpften Städten Lyssytschansk und Popasna. Vier Menschen seien bei russischen Angriffen im Gebiet Luhansk innerhalb eines Tages getötet und vier weitere verletzt worden. Die russische Armee habe mit Luftschlägen und Artillerie Dutzende Male zivile Ziele beschossen, sagte Hajdaj.

Tote und Verletzte durch weiteren Beschuss

Ukrainischen Angaben zufolge wurden durch neuen Beschuss in der Region Charkiw mindestens drei Menschen getötet und sechs verletzt, darunter ein 14 Jahre altes Kind. Die örtliche Verwaltung machte Russland für die zivilen Opfer verantwortlich. Aus der Stadt Cherson, deren Einnahme Russland gemeldet hatte, wurden mehrere Explosionen berichtet. Die Detonationen hätten sich unweit des Fernsehzentrums ereignet, teilten ukrainische Medien mit. Danach sei ein Feuer ausgebrochen. In der Nähe von Odessa schoss die Luftabwehr eine russische Spionagedrohne ab, wie die ukrainische Armee mitteilte. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.

Klitschko lässt ukrainisch-russisches Monument entfernen

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ließ Bürgermeister Vitali Klitschko wegen des russischen Angriffskrieges ein Denkmal für die Freundschaft beider Völker entfernen. Das riesige Monument zweier Arbeiter – eines Ukrainers und eines Russen – wurde abgerissen. Zuerst sei der Kopf des russischen Arbeiters gefallen, sagte Klitschko. Das Bild war am Mittwoch in vielen Medien zu sehen. Insgesamt sei die Demontage nicht einfach gewesen, aber letztlich geglückt. Das habe Symbolkraft. «Wir müssen den Feind und den russischen Besatzer aus unserem Land vertreiben», sagte Klitschko.

UN-Generalsekretär fordert Aufklärung von Kriegsgräueln

UN-Generalsekretär António Guterres unterstützte bei einem Besuch in der ukrainischen Stadt Butscha die Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu den dortigen Kriegsgräueln. Es sei wichtig, den Horror «sorgfältig aufzuklären» und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Guterres in der Vorortgemeinde von Kiew. Er appellierte an Russland, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Die Bilder getöteter ukrainischer Zivilisten aus Butscha hatten Anfang des Monats rund um die Welt für Entsetzen gesorgt.

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