Britische Parlamentswahl
Wahltriumph für Labour läutet neue Ära in Großbritannien ein
Wahltriumph für Labour läutet neue Ära in Großbritannien ein
Wahltriumph für Labour läutet neue Ära in Großbritannien ein
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Historisch, monumental, beispiellos: Beim Labour-Wahlsieg in Großbritannien gehen den Kommentatoren die Superlative aus. Doch dem künftigen Premier steht die größte Herausforderung noch bevor.
Wer eine kaum lösbare Aufgabe vor sich hat, der muss im Englischen einen Berg besteigen. «We have a mountain to climb»: Wir müssen einen Berg erklimmen, hat auch Keir Starmer immer wieder betont, seitdem er die britische Labour-Partei führt. Nun haben seine Sozialdemokraten nicht nur irgendeinen Berggipfel erreicht. «Er hat gerade den Everest bezwungen und ist ins All gestartet», so beschreibt die bekannte Reporterin Beth Rigby vom Sender Sky News das Ergebnis der britischen Parlamentswahl.
Die Schlüssel zur berühmten schwarzen Tür mit der Nummer 10 in der Downing Street gehen nach 14 Jahren konservativer Regierung wieder an Labour über. Gegen Freitagmittag dürfte König Charles III. als Staatsoberhaupt den Parteichef Starmer offiziell mit der Regierungsbildung beauftragen. Der 61-Jährige wird durchregieren können. Der scheidende Premier Rishi Sunak gratulierte ihm am frühen Morgen.
410 der 650 Abgeordneten im Parlament dürften die Sozialdemokraten laut BBC-Prognose stellen - gut doppelt so viele wie bisher. «Labour wird über genügend Sitze verfügen, um selbst die stärkste Oppositionsfraktion zu bilden», scherzt der Journalist Iain Dale.
Sunaks Zeit als Parteichef vor dem Ende
Die politischen Verhältnisse im Vereinigten Königreich stehen kopf. Die Konservative Partei des bisherigen Premierministers Sunak ist vernichtend geschlagen: Auf 144 Mitglieder schrumpft die Fraktion laut Prognose - kaum mehr als ein Drittel der bisherigen Mandate. Sunak selbst bleibt zwar im Parlament. Dennoch dürfte ihn das Ergebnis der «schwierigen Nacht», wie er es nannte, das Amt des Vorsitzenden kosten. In der Partei werden mehrere Anwärter auf seinen Chefposten gehandelt.
Wie groß letztlich die Labour-Mehrheit sein wird, ob 20 oder 200 Mandate, spielt im parlamentarischen System Großbritanniens keine Rolle. Aber natürlich macht ein komfortabler Puffer das Regieren für Starmer einfacher. Je geringer der Vorsprung, desto größer das Risiko, von Quertreibern in den eigenen Reihen bei strittigen Themen erpresst zu werden. Für Starmer scheint der Weg nun frei, seinen selbsterklärten Anspruch umzusetzen und Großbritannien durch ein «Jahrzehnt der nationalen Erneuerung» zu führen.
Tatsächlich könnte die gewaltige Mehrheit die Risiken für den designierten Premier übertünchen. «Labour steht vor massiven politischen Herausforderungen und wird von einem Bündnis in der Wählerschaft getragen, das zwar sehr breit, aber sehr oberflächlich ist», sagt der Politologe Anand Menon vom King's College London. «Es ist also leicht zu erkennen, welche Gefahren sich ergeben.»
Breite Strömungen innerhalb der Labour-Partei
Starmer muss zunächst einmal alle Strömungen innerhalb der Partei bei Laune halten. Labour ist nicht einfach mit der deutschen Schwesterpartei SPD gleichzusetzen. Das Spektrum würde in Deutschland - wenn man einen Vergleich versucht - in etwa von der Linkspartei bis zum eher konservativ orientierten Seeheimer Kreis in der SPD reichen.
Der linke Flügel um Ex-Parteichef Jeremy Corbyn, der 2019 krachend gegen den damaligen konservativen Premier Boris Johnson verlor und anschließend von Starmer aus der Partei gedrängt wurde, dürfte aufbegehren, wenn Labour zu sehr in die politische Mitte rückt. Den Platz dafür haben die Konservativen mit ihrem starken Rechtskurs der vergangenen Jahre freigegeben.
Vor allem aber muss Starmer nun die Britinnen und Briten überzeugen, die nicht seinetwegen für Labour gestimmt haben, sondern um die Konservativen nach 14 Jahren voller Chaos, Skandale und wirtschaftlicher Stagnation abzustrafen. Nicht Labour wurde gewählt, die Tories wurden abgewählt, urteilte Professor John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow, der wohl bekannteste Umfrageforscher im Land, schon vor der Prognose.
Tatsächlich muss Labour auch einige Dämpfer hinnehmen. Spitzenpolitiker Jonathan Ashworth verliert seinen Wahlkreis überraschend an einen unabhängigen, propalästinensischen Kandidaten. Selbst Parteichef Starmer erhält deutlich weniger Stimmen als beim vorigen Mal. Auch ihm setzte ein Bewerber zu, der das israelische Vorgehen im Gazastreifen kritisiert.
Große Mehrheit trotz recht weniger Stimmen
Im britischen Mehrheitswahlrecht gelingt nur dem Sieger eines Wahlkreises der Sprung ins Unterhaus. Stimmen für die unterlegenen Kandidaten haben keine Auswirkungen. Tatsächlich aber geht es durchaus eng zu: Obwohl Labour im Unterhaus fast eine Zweidrittelmehrheit erreichen dürfte, hat die Partei wahrscheinlich deutlich unter 50 Prozent der Stimmen erhalten. Auch die Wahlbeteiligung war anscheinend sehr niedrig.
Das zeigt sich auch im Ergebnis der kleineren Parteien. Die Liberaldemokraten können laut Prognose die Zahl ihrer Sitze verfünffachen, die Rechtspopulisten von Reform UK kommen aus dem Stand auf 13 Abgeordnete - deutlich mehr als erwartet. «Labour muss in der Regierung hart dafür arbeiten, die Wähler an sich zu binden, die 2024 für Starmer gestimmt haben. Weil sie nicht Labour wählen, sondern die Tories loswerden wollten», kommentiert Sky-News-Reporterin Rigby.
Gewaltige Herausforderungen
Die Wählerbindung dürfte schwierig werden. Das Land steht vor enormen Herausforderungen. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS liegt am Boden, es gibt zu wenig Wohnraum, die maroden Gefängnisse sind überfüllt, es herrscht akuter Fachkräftemangel, der Brexit ist noch immer nicht überwunden, das Vertrauen in die Politik erschüttert. Die Liste ließe sich fortführen.
Nur gibt es eigentlich kein Geld, um Verbesserungen zu finanzieren und notwendige Investitionen anzuschieben. Labour will Steuererleichterungen für Privatschulen streichen, Steuerschlupflöcher für wohlhabende Ausländer schließen sowie die Übergewinnabgabe für Energieunternehmen erhöhen. Für Privathaushalte, die ohnehin unter der höchsten Steuerlast seit Jahrzehnten klagen, soll sich aber nichts ändern. Auf Starmer und Labour warten nach der ersten Gipfelbesteigung noch viele weitere Berge.