Bildungsministerium

Gegen das Durcheinander im Klassenzimmer vorgehen

Gegen das Durcheinander im Klassenzimmer

Gegen das Durcheinander im Klassenzimmer

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Foto: Michael Gründel

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Das Nebeneinander von Schulassistenten und -begleitern ist ein Problem. Ein Gutachten zeigt einen Ausweg.

Der erste Schritt ist getan, um ein vielbeklagtes Durcheinander in Klassenzimmern zu sortieren. Unkoordiniert und zu hohen Kosten laufen dort zwei Gattungen von Hilfspersonen nebeneinander her: Schulassistenten einerseits und Schulbegleiter andererseits. Wie sich daraus eine Unterstützungsleistung aus einer Hand formen ließe, skizziert ein Gutachten im Auftrag des Bildungsministeriums.

Das Ressort von Karin Prien (CDU) hat das lang erwartete Papier jetzt veröffentlicht. Autoren sind die „GmbH Consulting für Steuerung und soziale Entwicklung“ in Hamburg und die international tätige Ramboell Management Consulting.

Die Politik hat die Helfer nicht vom Geschehen im Klassenzimmer aus gedacht

Beide Helfertypen sind Ausgeburt der Inklusion, also des Ziels, Kinder mit Beeinträchtigungen oder Auffälligkeiten in regulären Schulen zu unterrichten. Die Erfinder der Inklusion haben die Unterstützung jedoch nicht vom Geschehen im Klassenzimmer aus gedacht, sondern formaljuristisch. Sie haben auf verschiedene Kostenträger und Rechtskreise abgestellt.

Kerngedanke: Ein Schulbegleiter ist eine individuelle Hilfe für ein Kind. Er kümmert sich im Unterricht nur um diesen einen Schützling. Eltern können das beantragen, wenn ihr Nachwuchs alleine nicht zurechtkommt. Schulbegleitung ist eine Sozialleistung, die Kreise oder kreisfreie Städte finanzieren.

Ein Schulassistent hingegen kümmert sich gemeinsam mit dem Lehrer um alle Kinder. Er gehört zum pädagogischen Kernbereich einer Schule. Deshalb bezahlt Schulassistenten das Land.

Dass sich mehrere erwachsene Personen im Klassenraum befinden und sich jeweils nur um eine Person kümmern, ist schwer mit der Vorstellung eines produktiven Unterrichtsverlaufs vereinbar.

Das Gutachten über die Folgen der Schulbegleiter

Das Gutachten benennt offiziell, was Praktiker seit Jahren beklagen: „Schulischer Unterricht und Schulbegleitungen sind nur unter sehr großen Anstrengungen (teil-)kompatibel.“ Die dauerhafte Einzelfallunterstützung in Form eines Schulbegleiters „kann zu Stigmatisierungen und Ausgrenzungen des unterstützten Kindes führen“. Wird dadurch doch permanent allen vor Augen geführt, dass dieses Kind eben nicht wie alle anderen ist. „Auch, dass sich durch die Gewährung mehrerer Schulbegleitungen als Einzelfallhilfen mehrere erwachsene Personen im Klassenraum befinden und sich jeweils nur um eine Person kümmern, ist schwer mit der Vorstellung eines produktiven Unterrichtsverlaufs vereinbar.“

Der dringende Rat der Experten: „Wenn es neben dem Lehrpersonal weitere Personen im Unterricht geben muss, dann sollten diese deshalb ebenfalls vorrangig systemisch agieren.“ Systemisch heißt: Zu Gunsten aller und rundherum abgestimmt mit der Lehrkraft. Stichwort: Förderung aus einer Hand.

Bisher kommt erst eine Schulassistenz auf 149 Kinder

Deshalb treten die Gutachter dafür ein, die Schulassistenz so massiv auszubauen, dass Schulbegleiter weitgehend überflüssig werden. Derzeit hat noch längst nicht jede Klasse ständig eine Assistenz: Rein rechnerisch kommt nur eine Kraft auf 149 Grundschüler.

Rechtlich sehen die Autoren kein Problem. Wenn die Unterstützung eines Schülers durch schulische Angebote ausreiche, entfalle der jugend- oder sozialhilferechtliche Bedarf für individuelle Leistungen wie Schulbegleitung. Die Kreise müssten Anträge dann nicht mehr gewähren.

Assistenten ausbauen bis Begleiter überflüssig sind

Von mehr Schulassistenten würden nicht nur (Lern-)Behinderte profitieren, sondern auch Hochbegabte, Schüler mit Migrationshintergrund oder ungünstigen sozialen Ausgangslagen, heißt es. Zwei gewichtige Argumente haben Umfragen unter Lehrern ergeben: Assistenten haben sich als deutlich qualifizierter erwiesen als Begleiter. Und bereits jetzt wirken Schulassistenten an der Umsetzung von Förderangeboten auch für einzelne Kinder mit. Ihr Tätigkeitsfeld ragt also ohnehin schon in das von Schulbegleitern hinein.

Finanzpolitisch wird es ein schwerer Weg

Also einfach ein Knopfdruck und los? Bildungs- und sozialpolitisch spricht alles dafür. Finanzpolitisch sind hingegen Verdauungsschwierigkeiten absehbar. Das Land zahlte bei einer Reform heftig drauf. Am dornenreichsten ist eine Übergangsphase. In der würde die Erweiterung der Schulassistenz beginnen, die Nachfrage nach Schulbegleitungen aber noch hoch sein. Ein weitgehender Verzicht auf sie sei erst bei der Endausbaustufe der Assistenten realistisch. Drei bis vier Schuljahre werde das dauern.

Nach vier bis fünf Jahren würde eine Reform billiger

Dann erwarten die Gutachter, dass das reformierte System günstiger wird. Das beruht auf der Annahme, dass ohne Reform die Ausgaben für die Schulbegleitung durch verstärkte Nachfrage wie bisher um etwa zehn Prozent pro Jahr steigen. Verglichen damit wäre der Ausbau der schulischen Assistenz an Grundschulen nach vier bis fünf Jahren erstmals billiger als das Szenario ohne. Die Gesamtkosten für das reformierte System würden sich dann laut Prognose auf 71,6 Millionen Euro belaufen. Änderte man nichts, gehen die Experten von 73,7 Millionen Euro aus, davon aus dem Landeshaushalt allerdings „nur“ 31,5 Millionen. Die Spareffekte bei den Schulbegleitungen kämen fast ausschließlich Kreisen zu gute. Das Land müsste demgegenüber mehr Schulassistenten allein bezahlen.

Die Autoren raten, Kreise und kreisfreie Städte zu einer anteiligen Finanzierung der Schulassistenten zu bewegen. Das wird dort alles andere als Begeisterung auslösen, andererseits mögen auch die Kommunen den davongaloppierenden Ausgaben für stetig mehr Schulbegleitungen immer weniger zusehen. Deshalb kann man dort eine gewisse Motivation unterstellen, sich zu bewegen. Einfacher wäre gewesen, man hätte dieses absehbare Thema in die Verhandlungen über die Reform des kommunalen Finanzausgleichs eingespeist. Doch die ist ja unlängst erst in Kraft getreten.

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