Politik

Kanzlerin mit Demut – nicht mit Antworten für die Zukunft

Kanzlerin mit Demut – nicht mit Antworten für die Zukunft

Kanzlerin mit Demut – nicht mit Antworten für die Zukunft

Der Nordschleswiger
Der Nordschleswiger
Kopenhagen/Lübeck
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Angela Merkel auf einem Wahlplakat aus dem Jahr 2005 Foto: John Macdougall/AFP/Ritzau Scanpix

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Der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident und frühere SPD-Bundesvorsitzende Björn Engholm bewertet die 16-jährige Bilanz von CDU-Kanzlerin Angela Merkel mit Lob und Tadel.

In der Fernsehsendung „Dansk-tysk med Matlok“ auf DK4 mit dem Untertitel „Tyskland efter Merkel“ sagte Engholm: „Merkel erreicht bei Umfragen nach wie vor höchste Werte, und das kommt nicht so von ungefähr. Ich würde sagen, ihr Spitzenwert bei den Persönlichkeitsbeurteilungen liegt daran, dass sie im Wesentlichen öffentlich bescheiden aufgetreten ist. Sie hat nie mehr aus sich gemacht als sie ist. Sie hat sich nie mit Glanz und Gloria umgeben. Sie stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Das mögen die Deutschen. Sie ist so etwas wie eine gehobene deutsche Hausfrau mit Anstand. Das ist ein sehr schönes Merkmal für einen Politiker, weil damit auch ein Quäntchen Demut verbunden ist. Das hat manchen in der deutschen Geschichte gefehlt – und das fehlt auch heute“, so Engholm beim Interview in seiner Heimatstadt Lübeck.  

Kritisch stellt Engholm jedoch fest: „Auf der anderen Seite muss man fragen: Sie hat 16 Jahre regiert. Hat sie die Gesellschaft darauf vorbereitet, was jetzt kommt? Denn wir stehen vor riesigen Herausforderungen. Wir stehen vor der Herausforderung nicht nur der Digitalisierung, ein Riesenthema, wo die Deutschen hinterherhinken, wir stehen vor der Bewältigung einer Klimakrise, müssen Maßstäbe setzen für die Welt. Es geht um die  Neuordnung der außenpolitischen Verhältnisse. Was passiert mit Europa im Verhältnis zu Russland und China und  wie bewältigen wir die künftige Migration? Wir wissen: Wenn die Klimakrise nicht gelöst wird, dann wächst die Migration. Da sind die Antworten von Frau Merkel, die sie auf die Fragen nach ihrer Kanzlerschaft gegeben hat, für mich persönlich nicht ausreichend“, so Engholm, der im Interview auch die Ära Schmidt-Brandt und Kohl kommentiert.

Was Engholm heute in Deutschland vermisst?

„Wir brauchen Leute, die weit über den Tellerrand gucken – Denker mit einem großen Verstand und mit einer großen Portion Vernunft. Die gibt es ja durchaus – allerdings nicht viele in den Parteien. Die sollten ihre Ideen entwickeln. Wo stehen Deutschland und Europa in 20 Jahren? Wohin soll der Zug fahren? Da gibt es bei uns zu wenig intellektuelle Bewegung. Es gibt doch kluge Leute, die uns sagen können, wie sieht eine kultivierte, ökonomisch erfolgreiche und zugleich sozial gestaltete Gesellschaft in 20 Jahren aus.“

Die mutigen Anstöße kommen nicht immer aus den Parteien, wo man nach Ansicht von Engholm zu sehr fixiert ist auf eine Wahlperiode nach dem Motto: Ich will gewählt werden, aber nicht die Welt verändern.

„Wir benötigen jedoch Leute, die sagen, dass wir große Teile der Welt verändern müssen, wenn wir in Zukunft gemeinschaftlich überleben wollen. Dazu brauchen wir Denkanstöße.“

Im Interview auf DK4 spricht Björn Engholm auch über den Wandel in den deutsch-dänischen Beziehungen seit seiner Amtszeit, über die aktive Rolle der Minderheiten, über die von ihm befürwortete deutsche Wiedervereinigung  und die  Fehler im Wiedervereinigungs-Prozess bis heute.

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