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Nach Studie zu Missbrauch: Forderung nach Konsequenzen

Nach Studie zu Missbrauch: Forderung nach Konsequenzen

Nach Studie zu Missbrauch: Forderung nach Konsequenzen

dpa
Hannover
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Nach der Vorstellung der Studienergebnisse zu sexualisierter Gewalt und Missbrauch der evangelischer Kirche, werden Forderungen nach Konsequenzen laut. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

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Mindestens 2225 Betroffene, 1259 mutmaßliche Täter - und eine sehr hohe Dunkelziffer: Die Studie zum sexuellen Missbrauch hat auch die evangelische Kirche erschüttert. Wie geht es nun weiter?

Die Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche hat Kritik am Vorgehen und Forderungen nach Konsequenzen hervorgerufen. Betroffene warnen, trotz der Studie habe die Kirche das Problem noch nicht für sich erkannt.

Werde ein Problem nicht erkannt, könne man es nicht lösen, sagte Katharina Kracht, Vertreterin der Betroffenen und Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes, dem Bremer «Weser-Kurier». «Mir ist ganz wichtig zu sagen, dass die Kirche nicht nur in der Vergangenheit geschlafen hat, sondern mindestens auf Ebene der Landeskirchen und häufig auf der der Diakonie noch immer schläft.»

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sagte den Partnerzeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft, Landeskirchen und Landesverbände der Diakonie stünden «in der Verantwortung, jetzt die richtigen Schritte zu unternehmen».

Claus betonte: «Es ist deutlich geworden, dass es in der evangelischen Kirche mehr noch als in der katholischen Kirche oder etwa im Sport an Strukturen mangelt, um die sexuelle Gewalt aufzuarbeiten.» Kracht sagte: «Ich fühle mich als Betroffene heute noch weniger ernst genommen, als ich das 2015 tat, als ich mich bei meiner Landeskirche gemeldet habe.»

Mindestens 2225 Betroffene und 1259 mutmaßliche Täter hatte die Untersuchung zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie für die vergangenen Jahrzehnte dokumentiert. Von der «Spitze der Spitze des Eisbergs» sprach Studienleiter Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover.

Frage nach Entschädigungen

Dabei sei die Frage nach Entschädigungen nicht ausreichend beantwortet, kritisierte Claus. «Es darf nicht sein, dass Betroffene selbst Beträge nennen und die Entschädigungen aushandeln sollen. Das muss im landeskirchlichen Kontext geschehen», sagte sie. Der «taz» (Freitag) sagte sie, ein Gesetz zur Stärkung der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs solle schnell umgesetzt werden. Es müsse klar sein, dass Aufarbeitung ein grundlegendes Recht der Betroffenen sei. «Ich sehe das tatsächlich als Notwendigkeit an», sagte sie zu dem Gesetzesvorhaben. Dieses sei derzeit in der Ressortabstimmung.

Die Betroffeneninitiative «Eckiger Tisch» monierte, die Studie werfe «mehr Fragen auf, als sie beantworten kann». In einer Mitteilung hieß es: «Offenbar war die EKD nicht bereit oder in der Lage, umfassenden Zugang zu den Personalakten zu gewähren. Werden wir jetzt weitere Jahre warten müssen, bis die EKD die Missbrauchsfälle in ihren Einrichtungen konkret aufklären lassen wird?»

Auswertung von Disziplinarakten

Die in der Studie ermittelten Fallzahlen basieren auf Akten der Landeskirchen und der Diakonie, außerdem flossen den Landeskirchen und Diakonischen Werken bekannte Fälle ein. Die Wissenschaftler konnten aber nicht die Personalakten aller Pfarrer und Diakone auswerten, sondern in erster Linie Disziplinarakten. Claus forderte: «Es müssen Personalakten ausgewertet werden, es muss die Frage gestellt werden, wer verantwortlich war oder immer noch ist.»

Auf Grundlage ihrer Methode kamen die Experten auf eine geschätzte Gesamtzahl von 3497 Beschuldigten. Die präsentierten Zahlen würden das Ausmaß aber «deutlich unterschätzen», hatte Wazlawik gesagt und betont, dass «keinerlei Vergleiche» mit der katholischen Kirche oder anderen Institutionen gezogen werden könnten.

Kritik am Umgang mit den Akten

Eine 2018 veröffentlichte Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche hatte nach der Auswertung von fast 40.000 Personalakten aus der Zeit zwischen 1945 und 2014 ergeben, dass 1670 katholische Priester und Diakone beschuldigt wurden, denen 3677 Kinder und Jugendliche als Betroffene zugeordnet werden konnten.

Der Historiker Thomas Großbölting betonte nach der Veröffentlichung der Studie die auffallenden Parallelen zwischen den beiden Kirchen. Die Idee verschiedener konfessioneller Kulturen habe sich damit erledigt, sagte der Hamburger Wissenschaftler dem «Kölner Stadt-Anzeiger». «Vorbei ist es auch mit dem selbst entschuldigenden Narrativ der evangelischen Kirche, dass Demokratie, Partizipation, föderale Strukturen dem Missbrauch entgegengewirkt hätten. Ich muss im Gegenteil sagen: Die Ähnlichkeiten in beiden Kirchen sind frappierend.»

Der Kölner Staatsrechtsprofessor Stephan Rixen, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs auf Bundesebene, kritisierte vor allem den Umgang mit den Akten. «Die Auswertung der Personalakten hätte sich mit Sicherheit organisieren lassen, wenn das gewollt gewesen wäre», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Dies zeige die Studie der katholischen Kirche. «An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Will es die EKD wirklich wissen?», sagte Rixen.

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