Sozialreform

Streit ums Bürgergeld bis zur letzten Minute

Streit ums Bürgergeld bis zur letzten Minute

Streit ums Bürgergeld bis zur letzten Minute

dpa
Berlin
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Das geplante Bürgergeld soll das heutige Hartz-IV-System ablösen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

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Es soll die größte Sozialreform der Ampel werden - und für Arbeitslose in Deutschland vieles besser machen. Doch die Union lehnt das Regelwerk ab. Wo könnte es in dieser Woche Kompromisse geben?

Wegen des Streits um das geplante Bürgergeld steht die mit Abstand höchste Anhebung der Regelsätze seit Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 auf der Kippe.

Die Deutsche Presse-Agentur erfuhr von mehreren Seiten, bei den vertraulichen Verhandlungen zwischen Ampel und Union gebe es noch keine Einigung. Betroffen sind mehr als 5,3 Millionen Menschen, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld bekommen. So sollen die Bezüge von Alleinstehenden zum 1. Januar um mehr als 50 Euro auf 502 Euro steigen. Einen von der Union vorgeschlagenen ausschließlichen Anstieg der Sätze ohne die eigentliche Reform lehnt die Ampel ab.

Eine Einigung ist laut Bundesagentur für Arbeit bis Ende dieses Monats nötig, damit die Auszahlung der höheren Sätze dann auch technisch umgesetzt werden kann. Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat soll an diesem Mittwochabend eine Lösung besiegeln, nachdem der von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegte Entwurf in der Länderkammer vorerst durchgefallen war. Im Machtpoker um das Prestigeprojekt der Ampel will die Union die Regelsatzerhöhung notfalls ohne Reform durch den Bundestag bringen - dagegen stemmt sich die Koalition. Was sind die Streitpunkte, Einigungsmöglichkeiten und Ziele beim Bürgergeld?

Sanktionen - die Ausgangslage

CDU-Chef Friedrich Merz, selbst Mitglied im Vermittlungsausschuss, sagte am Samstag bei der Jungen Union über das Bürgergeld: «Das muss auch mit Sanktionen begleitet werden.» Laut Gesetzentwurf soll es künftig in den ersten sechs Monaten keine Leistungsminderungen geben, wenn jemand mit dem Jobcenter verabredete Maßnahmeteilnahmen oder Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge unterlässt. Leistungsminderungen in jährlich rund 63 000 Fällen sollen so entbehrlich werden. Sanktionen wegen mehrfachem Nichtmelden beim Jobcenter soll es dagegen auch in dieser «Vertrauenszeit» in Höhe von bis zu 10 Prozent weiter geben können. Laut dem FDP-Politiker Johannes Vogel wären 80 Prozent der Sanktionen weiter möglich.

Schon 2019 hat das Bundesverfassungsgericht Sanktionsgrenzen gesetzt: Es untersagte damals noch mögliche Kürzungen der Bezüge von 60 Prozent beim zweiten Pflichtverstoß pro Jahr als unzumutbar. 30 Prozent weniger blieben erlaubt. Merz räumte ein, der Spielraum sei «dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes entsprechend» eng. Die Ampel sieht nach sechs Monaten bei einer Pflichtverletzung 20 Prozent weniger Leistung vor, bei jedem weiteren Mal 30 Prozent - außer es käme so zu außergewöhnlichen Härten. Erklärt jemand glaubhaft, den Pflichten doch nachzukommen, soll die Sanktion entfallen. Kosten der Unterkunft und Heizung werden laut Entwurf nicht gemindert.

Sanktionen - der Einigungskorridor

Zur Disposition könnten die sechs Monate «Vertrauenszeit» und die dabei geltenden genauen Regeln stehen - und die Höhe unterhalb der 30-Prozent-Schwelle sowie das weitere Vorgehen später.

Schonvermögen - die Ausgangslage

Der Gesetzentwurf sieht eine zweijährige Übergangszeit für Wohnen und Vermögen vor. In dieser «Karenzzeit» sollen angemessene Kosten für Miete und Heizung übernommen werden. Erspartes soll nicht aufgebraucht werden müssen, wenn es sich nicht um erhebliches Vermögen handelt. Als erheblich gelten 60.000 Euro und 30.000 Euro für jede weitere Person in der sogenannten Bedarfsgemeinschaft. Selbst genutzte Grundstücke oder Eigentumswohnungen sollen nicht berücksichtigt werden. Auch fürs Alter angespartes Geld nicht. Auch ab dem dritten Jahr sollen bei Eigentum größere Wohnflächen und mehr Vermögensgegenstände freigestellt werden.

Schonvermögen - der Einigungskorridor

Statt 60.000 Euro könnte Betroffenen weniger Geld zugestanden werden. Das könnte auch abhängig gemacht werden von der Dauer der Einzahlung; jüngere Leistungsbeziehende könnten dann weniger behalten dürfen. Änderungen sind auch bei den weiteren Regeln im Detail denkbar.

Zuverdienst - auch ein zentraler Punkt

Wer zwischen 520 und 1000 Euro verdient, soll künftig mehr von seinem Einkommen behalten können. Die Freibeträge in diesem Bereich sollen auf 30 Prozent angehoben werden. Die Freibeträge für Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende sollen auf 520 Euro erhöht werden.

Der FDP-Politiker Vogel erläutert: «Heute kann zum Beispiel Annika, die in einer Hartz-IV-Familie groß wird und im Minijob arbeitet, von 520 Euro nur 184 Euro behalten. Wenn Ayse, deren Eltern finanziell auf eigenen Beinen stehen, denselben Minijob macht, dann kann sie 520 Euro behalten.» Künftig sollten die Menschen nicht mehr die Erfahrung machen, «dass sich ihre Anstrengung nicht lohnt». Für die FDP sind «noch leistungsfreundlichere Zuverdienstregeln» denkbar.

Keine Kritik am Reform-Ziel

Die Kernziele der Reform sind nicht in der Diskussion: mehr Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit sowie Überwindung der Hilfebedürftigkeit. Geplant ist, dass jede und jeder Leistungsbeziehende eine persönliche Ansprechpartnerin oder einen
Ansprechpartner bekommt. Im Gespräch soll ein Kooperationsplan erstellt werden. Weit weniger sollen Betroffene mit möglichen rechtlichen Folgen bei Nichtbefolgung von Verabredungen konfrontiert werden. Es soll noch mehr Weiterbildung, Umschulung, Ausbildung, Berufsorientierung und aktivierende Programme für sie geben. Abgeschafft werden soll der Vorrang auf rasche Vermittlung in Arbeit, wodurch viele in Helferjobs landen. Diese Reformbestandteile sollen erst ab Juli greifen. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet dann mit spürbar mehr Arbeit in den Jobcentern.

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